Kritik unerwünscht?

Seite 2: Kampf um die Deutungshoheit

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Doch zu eintönig klingt mitunter das Klagelied über den bösen, ungehobelten Leser, der scheinbar zu nichts anderem in der Lage ist, als dumm und frech seinen Senf unter die Artikel, Analysen und Kommentare der Medien zu drücken.

Wer sich in den Foren der großen Medien umschaut und beobachtet, wie problematisch teilweise mit Kommentaren umgegangen wird, kommt nicht um den Verdacht herum, dass es bei der Kritik an den Forenbeiträgen längst nicht nur darum geht, auf einen nicht zu akzeptierenden Umgang des Publikums mit den Redaktionen hinzuweisen.

Vergessen werden sollte nicht: Die Gesamtheit aller Kommentare in den Foren stellt auch ein Gegengewicht zu den veröffentlichten Meinungen der jeweiligen Medien da. Hinzu kommt: Oft bieten Kommentare in Foren Informationen, die schnell verdeutlichen, dass ein Journalismus mit Blickschutz abgeliefert wurde. Die von den Lesern angeführten Links, genauso wie das Wissen der Leser, verweist auf die Mängel eines Journalismus, der immer wieder mit zu viel Eifer versucht, die Wahrheit für sich zu beanspruchen, dabei aber Informationen ignoriert, die dem eigenen Wirklichkeitsverständnis im Wege stehen.

Beides jedenfalls, das Meinungsbild, das in den Foren sichtbar wird, genauso wie der Verweis auf Defizite in der Berichterstattung, spielen eine Rolle beim Kampf um die Deutungshoheit, um den es nämlich bei den Klagen über den "bösen Leser" auch geht.

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat einmal darauf verwiesen, dass es in der Politik um die Durchsetzung von Wahrnehmungskategorien geht. Gerade Medien kommt bei dem Erzeugen des Wirklichkeitsverständnisses einer Gesellschaft eine zentrale Rolle zu. Die Kategorien der Wahrnehmung, die Akteure aus dem politischen Feld durchgesetzt sehen möchten (das können positive wie negative Kategorien sein), werden vor allem auch durch Medien in die Gesellschaft getragen.

Festgestellt werden kann daher: Die gesamte Diskussion um die Frage, wie mit Leserforen umgegangen werden sollte, sprich: schließen, öffnen, verbreitern, verkleinern, moderieren, nicht moderieren usw., ist auch eine Diskussion, in der eine nicht zu unterschätzende politische Dimension mitschwingt. Vordergründig mag es nur darum gehen, wie Redaktionen mit der Situation umgehen, dass sie in ihren Foren kritisiert werden, aber im Kern geht es um nichts Geringeres als um die Frage: Wer erhält mit welcher Meinung und Sicht Zugang zu einem begrenzten, aber nicht ganz unwichtigen Teil der Medienöffentlichkeit?