Krupp - eine deutsche Familie

Mitten in der Wirtschaftskrise feiert das ZDF die Unternehmerfamilie Krupp

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Sie waren die Waffenlieferanten für Kaiser, Führer und Republik. Und weil sie gute Geschäftsleute waren, versorgten sie auch die jeweiligen Feinde von Deutschland mit ihren Waffen. Der Name Krupp stand für Größe, Macht, Reichtum. Doch am Ende war die Familie so reich und ihr Unternehmen so mächtig, dass Krupp für die junge Bundesrepublik zum Problem wurde. Und am Ende schafften sie sich selbst ab, das Familienunternehmen wurde zur Stiftung, der Name Krupp erlosch. So wie die Feuer in den Hochöfen, von denen es in Deutschland nur noch wenige gibt.

Fritz Krupp (Fritz Karl, Mitte) präsentiert während einer Führung durch die Kruppwerke das Herzstück des Konzerns - den Stahlhammer. Zur Blütezeit von Fritz Krupp standen in den Essener Hallen mehrere Dutzend Stahlhammer, für die Dreharbeiten konnte gerade noch einer ausfindig gemacht werden. Bild: Stephanie Kulbach, ZDF

Abgesang auf die gute alte Zeit

Ausgerechnet im September begannen die Dreharbeiten zu "Krupp – eine deutsche Familie". In jenem Monat also, der als Beginn der aktuellen Banken- und Wirtschaftskrise in die Geschichte eingehen wird. Als das Projekt im Winter 2007 lanciert wurde, konnte ja niemand ahnen, dass just im September die US-Bank Lehman Brothers zusammenbrechen und eine Wirtschaftskrise auslösen würde, deren Ende noch nicht absehbar ist. Und doch passt alles zusammen. Aktuell ist in Deutschland eine große Sehnsucht zu spüren, eine Sehnsucht nach geordneten Verhältnissen, nach starken Führungspersönlichkeiten, nach Unternehmen, die für ihre Mitarbeiter kämpfen, kurz: nach den guten alten Zeiten. Im Krupp-Dreiteiler selbst tauchen die guten alten Zeiten nur in der Verneinung auf. Jeder weiß: "die guten alten Zeiten sind vorbei". Am Ende heißt es gar, Krupp sei nichts weiter als ein Mythos, etwas, was die Bundesrepublik brauche, um sich selbst zu spiegeln.

Warum Krupp und warum jetzt?

Dass die Geschichte der Familie Krupp ausgerechnet jetzt im Fernsehen läuft, ist ein seltsamer Zufall. Denn laut Günter van Endert, Leiter der ZDF-Spielfilmredaktion, war die Verfilmung der Firmen- und Familiengeschichte Krupp nur eine Frage der Zeit. "Krupp schwebte schon lange als Thema im Raum", so van Endert. Die Frage war nie, ob man die Geschichte der Krupps verfilmen würde, sondern wie. "Man muss einen Zugang finden, der historisch wahrhaftig ist und gleichzeitig einen runden, packenden Film produzieren, der möglichst viele Menschen anspricht," sagt van Endert. Deshalb rückte man einen Konflikt ins Zentrum, der das Kernproblem des Familienunternehmens Krupp vor Augen führt: die Verflechtung von Familie und Unternehmen, von Privatem und Öffentlichem. Es geht um das Leiden und die Lust an der Macht, die im Hause Krupp einzig und allein auf den Schultern des bzw. der Erstgeborenen lastete, ja zu lasten hatte, denn selbst wenn es jüngere Geschwister gab, die sich in der Firma engangieren wollten, so waren sie höchstens als Stellvertreter geduldet.

Leitthema und Rahmenhandlung des Films ist der Mutter-Sohn-Konflikt zwischen Bertha und Alfried, der in der Auflösung des 1811 gegründeten Familienunternehmens mündet. Denn Alfried Krupp verwandelt das Unternehmen im Jahr 1966 in eine Stiftung. Damit gibt es keinen Alleinerben mehr. Gründe gibt es dafür viele. Zum einen ist der Erbanwärter, Alfrieds einziger Sohn Arndt, in der Familie eine persona non grata, entstammt er doch einer klassischen Mésalliance. Die Ehe des Krupp-Erben Alfried mit der Hamburger Kaufmannstochter Anneliese Bahr genügte nicht den Ansprüchen einer dynastisch denkenden Familie. Also sorgte Alfrieds Mutter Bertha dafür, dass die Ehe geschieden wurde, indem sie Alfried zwang, sich zwischen seiner Frau und der Firma zu entscheiden. Zweitens interessierte sich Arndt von Bohlen schlichtweg nicht für eine Karriere als Unternehmer; er verzichtete auf ein Erbe von rund drei Milliarden und führte stattdessen mit einer Abfindung von jährlich zwei Millionen Mark ein Jet-Set-Leben. Drittens hätte die anfallende Erbschaftssteuer ein enormes Loch in die Unternehmenskasse gerissen.

Krupps Waffenproduktion für die Nazis läuft auf Hochtouren und der Führer kommt zu Besuch auf Villa Hügel. Familie Krupp mit ihrer Belegschaft empfängt Hitler mit dem Hitlergruß auf ihrem Anwesen. Bild: Stephanie Kulbach, ZDF

Schon bei der Übergabe der Firma von Gustav Krupp an Alfried Krupp im Jahr 1943 hätte die Erbschaftssteuer das Unternehmen ein Vermögen gekostet: Bei einem Konzernvermögen von über einer Milliarde Reichsmark wären rund 400 Millionen Reichsmark Erbschaftsteuer fällig gewesen. Abhilfe schaffte die so genannte "Lex Krupp" von 1943, auch bekannt als "Erlaß des Führers über das Familienunternehmen der Firma Fried. Krupp". Das Gesetz, das Hitler auf Betreiben der Familie Krupp erließ, befreite die Krupps von der Erbschaftssteuer und sicherte den Fortbestand als Familienunternehmen, das an den jeweiligen Alleinerben weitergereicht wird. Schließlich konnte man mitten im Zweiten Weltkrieg nicht den Fortbestand von Deutschlands Waffenschmiede Nummer eins aufs Spiel setzen.

Der Kaiser als Kuppler

Auch Krupp-Großkunde Kaiser Wilhelm II. hatte dafür Sorge getragen, dass Firma und Familie untrennbar miteinander verbunden blieben, und dass der Name Krupp nicht schon früher ausstarb. Friedrich Alfred Krupp, besser bekannt als Fritz Krupp, hatte nämlich zwei Töchter, Alleinerbin wurde die Erstgeborene, Bertha, doch mit ihrer Heirat wäre der Name Krupp untergegangen. Also verfügte der Kaiser, dass das jeweilige Familienoberhaupt seinem Nachnamen den Namen "Krupp" voranstellen durfte, vorausgesetzt, das Unternehmen blieb in Familienhand. Den passenden Gatten suchte der Kaiser auch gleich aus, und so wurde aus dem Diplomaten Gustav von Bohlen und Halbach nach der Heirat mit Bertha Krupp der Konzernchef Gustav Krupp von Bohlen und Halbach.

Hoher Besuch auf Villa Hügel: Gustav (Heino Ferch, r.) empfängt Kaiser Wilhelm (Michael Schenk, l.). Der Kaiser persönlich hat Gustav als Gemahl für Bertha ausgesucht und ihn mit dem "Erbtitel" Krupp ausgestattet. (hinten, v.r.n.l.: Theo Trebs, Valerie Koch und Barbara Auer). Bild: Stephanie Kulbach, ZDF

All dies und noch viel mehr erzählt der Film, und statt drei mal neunzig Minuten hätte man auch locker eine ganze Serie drehen können. Da muss man unwillkürlich an die "Buddenbrooks"denken, an Thomas Manns Roman mit dem Untertitel "Verfall einer Familie" und dessen diverse Verfilmungen, darunter eine von 1979 in elf Teilen fürs Fernsehen, die aktuellste als Großproduktion fürs Kino, co-produziert von der ARD [http://www.imdb.com/title/tt1058601/]. Und tatsächlich kommt der Roman im Film vor, als Lektüre der jungen Krupp-Schwestern Bertha und Barbara. Deren Privatlehrerin findet das Buch schlichtweg "skandalös", doch Barbaras Verehrer und späterer Ehemann Tilo von Wilmowsky verteidigt dieses Zeugnis der Moderne.

Tilo (Stephan Luca), Barbara (Marie Zielcke, l.) und Bertha (Valerie Koch, r.) diskutieren beim Spaziergang durch die Parkanlagen der Villa Hügel über die "Buddenbrooks" von Thomas Mann. Bild: Stephanie Kulbach, ZDF

Krupp meets Buddenbrooks

Sind die Krupps die Antwort des ZDF auf die Buddenbrooks? "Nein", sagt Günther van Endert, aber es gäbe da durchaus ein paar Familiengeschichten, deren Verfilmung ebenfalls ein Thema wäre. Zum Beispiel die Wertheims, die Begründer des modernen Kaufhauswesens. Ähnlich wie bei den Krupps gibt es bei den Wertheims ja nicht nur eine Familiengeschichte zu erzählen, vielmehr geht es zugleich um Themen wie das jüdische Großbürgertum und die schleichende Arisierung im Dritten Reich. Anders ausgedrückt: interessant sind Unternehmerfamilien, deren Schicksal auf faszinierende – und manchmal auch tragische – Weise mit der Geschichte unseres Landes verwoben ist.

Tatsächlich kann man, angesichts der aktuellen Wirtschaftslage, die Krupp-Saga nicht einfach nur als Familiengeschichte betrachten. Zu drängend ist die Frage, ob Familienunternehmen wie Krupp heute noch möglich wären. Hätte man Regisseur Carlo Rola vor einem Jahr gefragt, dann hätte er "vielleicht die Familie Schaeffler genannt, doch die Schaeffler-Gruppe hat sich mit der Übernahme von Continental überhoben". Aktuell ist sie mit über 12 Milliarden Euro verschuldet. Doch im Grunde gibt es heute nichts Vergleichbares. Und schon damals waren die Krupps einzigartig. Einzigartig in ihrem Selbstverständnis, ihrem Gebaren und in ihrem Einfluss.

Versailles in Essen

Allein die Ausmaße der Villa Hügel, bis in die fünfziger Jahre hinein Wohnsitz der Familie Krupp, machen deutlich, dass es hier um mehr geht als nur ein bisschen Wohlstand. Da hat sich jemand sein eigenes Versailles gebaut, tief im Westen, weit weg von Berlin, wo erst der Kaiser regierte und später dann ein Adolf Hitler. Zeitweise wurden auf dem Anwesen über 600 Angestellte beschäftigt. Der Hofstaat garantierte den standesgemäßen Empfang für all die internationalen Delegationen, die regelmäßig in die Villa Hügel kamen, um Verträge zu verhandeln. Verträge, die direkt zwischen Krupp und ausländischen Regierungen geschlossen wurden.

Diejenigen jedoch, die in der Villa Hügel wohnen mussten, kannten auch die Schattenseiten der gigantischen Behausung. Insbesondere die marode Heizung ist Legende. Auch zwischenmenschlich ging es recht kühl zu im Hause Krupp, und Nachfahrin Sophie Moritz gibt in der Doku "Krupp - Mythos und Wahrheit", die im Anschluss an den ersten Teil des Dreiteilers ausgestrahlt wird, unumwunden zu, dass sie die Bewohner der Villa Hügel nie beneidet hat und froh ist, dass sie nicht in dieser "Eiseskälte" aufwachsen musste.

Auf Villa Hügel wird nicht politisiert

Obwohl Politiker auf Villa Hügel ein- und ausgingen und jeder wusste, dass Krupp von der Rüstung lebte, galt im Hause Krupp das Motto "Auf (Villa) Hügel wird nicht politisiert!" Man machte Geschäfte mit allen Seiten, und schon der Kaiser staunte nicht schlecht, als er erfuhr, dass die deutschen Soldaten beim Boxeraufstand in China mit Waffen von Krupp angegriffen wurden, und zwar mit denselben Waffen, die auch sie benutzten. Persönlich hält Regisseur Carlo Rola wenig vom Motto der Krupps, zumal sie ja aktiv Politik betrieben. Nur durfte man nicht darüber reden und schon gar nichts Frage stellen. Für ihn geht es bei der Verfilmung um "Moral und die Frage: wie führe ich meine Geschäfte". Denn heute hätten viele Manager den Begriff von der "Ich-AG" leider falsch verstanden. Und was die Kruppsche Selbstzensur angeht, so findet Rola, dass in Deutschland "zuviel gekuscht" wird. Allein wenn man an das Thema "Überwachung in Deutschland" denke, an die ganzen Kameras auf den Autobahnen zum Beispiel, die jedes Nummernschild erfassen. "Zu meiner Studienzeit", so Rola, Jahrgang 1958, "wäre stärker protestiert worden". Da ist es nur folgerichtig, dass er sich als nächstes einem anderen deutschen Mythos widmet: Götz von Berlichingen. Der geigt seinem Vorgesetzten unmissverständlich die Meinung.

Apropos Vorgesetzte: Auch das ZDF residiert auf einem Hügel, dem Lerchenberg in Mainz, und dort wird aktuell, wie man überall lesen konnte, im Moment ganz heftig Politik betrieben, oder genauer, es wird versucht, politische Interventionen abzuwehren. Roland Koch nämlich, Ministerpräsident von Hessen und stellvertretender Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrats, möchte unbedingt verhindern, dass der Vertrag von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender über das Jahr 2010 hinaus verlängert wird. Eigentlich sollte die Abstimmung über den Verbleib von Brender beim Sender bereits vergangene Woche stattfinden, aus aktuellem Anlass jedoch wurde sie auf Ende März verschoben. Zur Verwaltungsrat-Debatte kann Günther van Endert "leider nichts sagen". Er ist für die Auswahl der Stoffe zuständig, und es liegt im fern, zu politisieren. Und doch ist es ein bemerkenswerter Zufall, dass ausgerechnet jetzt, mitten in dieser Debatte, die Krupp-Saga ausgestrahlt wird, in der die Vermischung von Privatem und Öffentlichem zum allumfassenden Problem wird.