Künstliche Keimzellen für ungewöhnliche Familien

Die Darstellung zeigt, wie Zhou et al. männliche Keimzellen aus embryonalen Stammzellen erzeugt haben, mit denen sich gesunde Nachkommen produzieren ließen. Bild: Zhou, Wang, and Yuan et al./Cell Stem Cell 2016

Forscher wollen Spermien und Eizellen in der Petrischale erzeugen, die in Zukunft auch neuartige Formen der Fortpflanzung ermöglichen könnten

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Jüngste Erfolge bei Mäusen rücken die künstliche Erzeugung von Keimzellen in greifbare Nähe. Beim Menschen soll dies zur Behandlung von Unfruchtbarkeit beitragen, aber es eröffnet auch Alternativen zur klassischen Vater-Mutter-Kind-Familie. Manche Bioethiker glauben, dass zumindest eine dieser Alternativen ernsthaft diskutiert werden sollte.

Sechs Mäuse, deren Vater gerade einmal das Stadium eines Zellhaufens erreicht hatte, könnten Vorboten einer neuen Form der Reproduktionsmedizin sein. Chinesische Forscher züchteten die Tiere aus Keimzellen, die im Labor aus den Stammzellen eines wenige Tage alten Embryos entstanden. Auch Menschen sollen von dieser Methode profitieren - als Therapie bei Unfruchtbarkeit.

An Bedarf mangelt es nicht: Bis zu 15 % aller Paare haben Probleme mit der Fortpflanzung, oftmals verursacht durch eine gestörte Entwicklung der Keimzellen. Spermien und Eizellen aus dem Reagenzglas könnten manche dieser Probleme lösen. Und da sich auch induzierte pluripotente Stammzellen, die sich problemlos aus der Haut erzeugen lassen, für dieses Verfahren eignen, stände dem Traum vom eigenen Kind nichts mehr im Wege.

Keimzellen aus dem Reagenzglas

Bei Mäusen ist diese Forschung schon weit vorangeschritten. Kürzlich gelang es chinesischen Forschern um Qi Zhou aus Peking, zentrale Phasen der Entwicklung männlicher Keimzellen im Reagenzglas nachzuvollziehen. Dabei entstanden die direkten Vorläufer von Spermazellen, sogenannte Spermatiden. Auch wenn diesen noch eine Geißel zur Fortbewegung fehlt, eignen sie sich bereits für die künstliche Befruchtung: So kamen sechs Tiere zur Welt, die augenscheinlich gesund und zeugungsfähig waren.

Zwar lässt die Studie noch einige Fragen offen, aber grundsätzlich scheinen die größten Hindernisse aus dem Weg geräumt. Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis die künstliche Erzeugung von Keimzellen - zumindest im Labor - zur Routine wird. Dies gilt explizit auch für den Menschen: Die Behandlung von Unfruchtbarkeit war von Beginn an ein erklärtes Ziel dieser Forschung.

Neue Formen der Fortpflanzung

Ethische Kontroversen hat dies bislang nicht ausgelöst - aber dies könnte sich schnell ändern. Denn das biologische Geschlecht ist eine Grenze, an die sich Stammzellen im Labor nur bedingt halten. Wird die künstliche Erzeugung von Keimzellen konsequent vorangetrieben, sind neue Formen der Fortpflanzung denkbar, die sich radikal von einer natürlichen Zeugung unterscheiden. Ein Vater und eine Mutter stellen dann nur noch eine von mehreren Möglichkeiten dar, um ein Kind zu zeugen.

Forscher sind zumindest bei Mäusen dazu in der Lage, aus männlichen Zellen nicht nur Spermien, sondern auch fortpflanzungsfähige Eizellen zu erzeugen. Bei einer künstlichen Befruchtung könnte ein Mann also die biologische Funktion einer Mutter übernehmen. Und zumindest theoretisch ist es auch möglich, dass aus weiblichen Zellen Spermien entstehen - auch wenn die Hürden hierbei höher sind.

Das Geschlecht der Elternteile könnte in Zukunft also nur noch eine untergeordnete Rolle spielen, und sogar deren Anzahl ließe sich variieren. Nachkommen einer einzelnen Personen oder Kinder mit drei oder mehr Elternteilen - viele Konstellationen werden auf einmal denkbar. Das wirft Fragen auf: Darf man die Grenzen der natürlichen Fortpflanzung überschreiten? Und falls ja, welche der Optionen sind ethisch vertretbar?

Unter Bioethikern ist diese Diskussion bereits seit Jahren im Gange. Die Bioethikern Sonia Suter von der US-amerikanischen George-Washington-Universität hat dazu einen bemerkenswerten Beitrag geliefert. Fernab aller moralisierenden Reflexe stellte sie ein klares Kriterium auf, dass die Debatte auf ein sachliches Fundament stellt: das Wohl des Kindes. Wenn neue Formen der Fortpflanzung die Bindung innerhalb der Familie stärken, wird auch das Kind davon profitieren - das Verfahren wäre damit ethisch akzeptabel.

Gleichgeschlechtliche Eltern

In ihrem Aufsatz analysiert Suter alle denkbaren Konstellationen. Sie beginnt mit der Situation bei homosexuellen Paaren: Eine künstliche Befruchtung könnte "natürliche" Keimzellen mit solchen vereinigen, die einer der Partner im Reagenzglas erzeugen ließ. Das Kind erhielte von den gleichgeschlechtlichen Partnern jeweils die Hälfte des Erbguts, wäre also mit beiden gleichermaßen biologisch verwandt.

Laut Suter böte diese Variante - verglichen mit der heutigen Praxis - einige Vorteile. In vielen Ländern ist es bereits legal, dass gleichgeschlechtliche Paare mittels Samen- und Eizellspenden eigene Familien gründen. Vor diesem Hintergrund wäre es inkonsequent, einem der Partner die biologische Elternschaft zu verweigern, und es verstieße zudem gegen das Gebot der Gleichbehandlung. Auch das Kind würde profitieren, da eine genetische Verwandtschaft mit beiden Elternteilen die familiäre Bindung unterstützt.

Die Einwände sind absehbar: Der Prozess sei "unnatürlich" oder der Mensch versuche "Gott zu spielen". Doch auch die künstliche Befruchtung hat mit einem "natürlichen" Zeugungsakt nur noch wenig gemein, dennoch ist das Verfahren seit Jahrzehnten weithin akzeptiert. Der Einwand der "Unnatürlichkeit" scheint vor diesem Hintergrund kaum noch stichhaltig.