Künstliches Auge
Ein Chip, der direkt in den visuellen Cortex implantiert wird, kann Erblindeten wieder rudimentäres Sehen ermöglichen
Der kurz nach seiner Geburt erblindete Popsänger Stevie Wonder, der Ende des letzten Jahres für Nachrichten sorgte, nachdem er ankündigte, er wolle sich ein Retina-Implantat einsetzen lassen, um wieder sehen zu können, wird zwar noch weiter auf technische Wunder warten müssen, doch für Menschen, die erst später erblindet sind, könnte auch eine andere Art von Neurotechnologie imstande sein, sie wieder sehen zu lassen.
Stevie Wonder ist wohl von übertriebenen Berichten technischer Fortschritte zu seinem Wunsch getrieben worden, denn an Retina-Implantaten wird zwar geforscht, aber sie worden noch nicht dauerhaft in Menschen eingepflanzt. Die Microchips, die mit einer winzigen Kamera verbunden sind, können auch nur Retinazellen stimulieren, die noch intakt sind. Die mit nur wenigen Rezeptoren versehenen Chips können auch nur ein rudimentäres Sehen wiederherstellen, denn die Retina hat mehr als eine Million Nervenzellen. Überdies scheinen Retina-Implantate nur für wenige Erkrankungen wie Retinitis pigmentosa Besserung zu versprechen. Menschen, die wie Stevie Wonder nie das Sehen "gelernt" haben, könnten womöglich mit neuronalen Impulsen, die über den optischen Nerv in das Gehirn gelangen, auch gar nicht viel anfangen, denn das Gehirn weiß nicht, wie es diese in Bilder umsetzen soll.
Vom Dobelle Institute, das auch "neurologische Schrittmacher" für die Atmung, die Linderung von Schmerzen und urogenitale System herstellt, wurde jetzt eine andere Neurotechnologie vorgestellt, bei der ein Chip nicht in die Retina, sondern direkt an der Oberfläche des visuellen Cortex implantiert wird. Zumindest ist die dauerhafte Implantation eines Chips hier schon gelungen. Schon 1978 hatte man zwei blinden Menschen am Columbia-Presbyterian Medical Center in New York die Chips implantiert, die sich noch immer im Gehirn befinden, bei einem der Patienten, einem 62 Jahre alten Mann, der mit 36 Jahren völlig erblindet ist, konnte jetzt mit dem "Dobelle Eye" und verbesserter Hard- und Software wieder die Sehkraft in einem schmalen visuellen Tunnel hergestellt werden, so dass er sogar große Buchstaben erkennen und sich in einem Raum bewegen kann.
Das "Dobelle Eye" besteht aus einer Mikrokamera und einem Ultraschall-Entfernungssensor, die auf einer Brille angebracht sind. Die Sensoren sind über ein Kabel mit einem 2,5 Kg schweren Minicomputer verbunden, den der patient am Gürtel trägt. Nach der Verarbeitung der Daten durch ein Imaging-System und der Vereinfachung des Bildes durch Entfernen des Rauschens werden die elektrischen Impulse ebenfalls über ein Kabel an den Chip übermittelt, der mit 68 Platinelektroden ausgestattet ist. Jede der Elektroden kann bis zu vier Phosphene erzeugen, die sich für den Patienten auf einer schwarzen Hintergrundfläche von 20 x 5 cm befinden. Die sich verändernden Lichtmuster ergeben so ein Schwarz-Weiß-Bild, das man erst zu interpretieren lernen muss und natürlich in keiner Weise an die normale Sicht heranreicht. Schwierigkeiten bereitet offenbar vor allem auch der Eindruck der Tiefe, also wie weit etwas entfernt ist, so dass der Patient immer noch sehr vorsichtig gehen muss und einen Arm ausstreckt, um Zusammenstöße zu vermeiden.
Nachdem der Patient gelernt hatte, das System zu benutzen, kann er jetzt Buchstaben mit einer Größe von 5 Zentimetern in einer Entfernung von 1,5 Metern erkennen: "Auch wenn der Chip mit relativ wenigen Elektroden eine Tunnelsicht erzeugt, kann der Patient sich in fremden Umgebungen wie der U-Bahn New Yorks bewegen. Wenn man die Minikamera durch ein spezielles elektronisches Interface ersetzt, kann der Patient auch lernen, Fernsehbilder zu 'sehen', einen Computer zu benutzen und Zugang zum Internet zu erhalten." Bislang wird das System allerdings lediglich an zwei oder drei Tagen in der Woche im Labor aktiviert. Im Laufe des Jahres soll eine verbesserte Version des "Dobelle Eye" auf den Markt kommen.