Kunst als Lauschangriff

Ein Gespräch mit Marko Peljhan über dessen Projekt Makrolab

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Marko Peljhan startete bei der documenta X seinen privaten Infowar. Vierzig Tage lebte der Slowene in seinem selbstgebauten Labor Makrolab auf dem Lutterberg in der Nähe von Kassel. Von dort klinkte er sich in die Telefonate ein, die in dieser Zeit über internationale Telekommunikationssatelliten liefen. Der Amerikaner Brain Springer, mit dem zusammen er das Projekt durchführte, schrieb später: "Wir näherten uns dem Himmel über dem Lutterberg als einer lebendigen Bücherei... aus deren Regalen uns Stimmen, Bilder und Datenkommunikation entgegenströmten." Die Resultate dieser Streifzüge durch den Äther wurden auf einer Website dokumentiert. Zwar ist Makrolab keine Netzkunst im engeren Sinne, weil das Internet nur dazu diente, die Makrolab-Aktivitäten zu veröffentlichen. Aber das Projekt reiht sich ein in die lange Reihe von künstlerischen Arbeiten mit Satelliten, die in den letzten zwanzig Jahren von Künstlern durchgeführt wurden und als Vorläufer der Netzkunst betrachtet werden können.

Marko, du hast als Künstler viel mit Radio- und Satellitenübertragungen gearbeitet. Wie bist du dazu gekommen?

Marko Peljhan: Ich bin ein Radiofan, seit ich 11 Jahre alt war. In Jugoslawien gab es während des Sozialismus eine große Radioszene. Als ich ein Teenager war, gingen wir immer in den Radio-Club und redeten über Kurzwellenradio mit Leuten in der ganzen Welt. Wenn ich heute daran denke, glaube ich, daß das sehr wichtig für mich war, weil es eine sehr globale Erfahrung gewesen ist.

Es klingt ein bißchen wie Internet vor dem Internet...

Marko Peljhan: Ja, aber für mich war diese ganze Radioszene ganz normal, ein Teil meines täglichen Lebens, über den ich nicht weiter nachdachte, sondern der mir vollkommen selbstverständlich vorkam. Zu einem wichtigen Teil meiner künstlerischen Arbeit wurde das erst viel später. Diese Radioclubs wurden natürlich in einem gewissen Maß vom Regime überwacht, aber es war trotzdem sehr offen und freiheitlich. Jeder konnte Mitglied werden, eine Prüfung ablegen und mitmachen.

Wie hat sich das zu einem Kunstprojekt entwickelt?

Marko Peljhan: Zunächstmal gar nicht. Ich habe 1989 angefangen, Performances zu machen. Als ich 1992 die Theater- und Radioakademie beendet hatte, habe ich eine Organisation mit dem Namen Projekt Atol gegründet. Ein Atoll ist eine Insel, die aus einem Korallenriff besteht, das eine bestimmte Form hat, mit einem Zentrum, um das sich ein Ring legt. Und es wächst, es ist am Leben. Der Name hat mit der utopischen Vision zu tun, sich selbst in Isolation zu begeben, sich seine eigene Insel zu bauen, aus der Gesellschaft auszubrechen. Das Makrolab bei der Documenta 1997 war die erste Manifestation dieses Vorhabens.

Was du bei der Documenta mit Makrolab gemacht hast, war aber eigentlich nichts anderes als Satelliten abzuhören, oder?

Marko Peljhan: So könnte man es sagen, aber es steckt mehr dahinter. Das ganze Projekt ist als ein zehnjähriger Prozeß gedacht. Es gibt drei Themengebiete, mit denen sich das Projekt beschäftigt und die alle globale Ausmaße haben. Eins ist Telekommunikation, das zweite ist das Wetter und elektromagnetische Systeme und das dritte ist Migration und Navigation. Der erste Teil, den wir bei der Documenta gemacht haben, hatte mit Telekommunikation zu tun und den ganzen Fragen, die damit zusammenhängen. Dabei handelt es sich um sehr ernsthafte politische und ethische Themen.

Was genau hast du denn nun in Kassel bei der Documenta gemacht?

Marko Peljhan: Wir haben uns angesehen, was auf den Inmarsat Satelliten passiert, zum Beispiel wer sie zu welchen Zwecken benutzt. Das ist ein gutes Instrument, um globale und politische Vorgänge zu verstehen. Die Leute, die diese Satelliten benutzen, sind meist in politischen oder ökonomischen Machtpositionen. Von Kassel aus haben wir zum Beispiel UN-Konferenzschaltungen mitgehört, die sich mit der Situation in Sierra Leone beschäftigt haben. Davon war zu dieser Zeit im Westen so gut wie nichts bekannt. Es hat vielleicht eine kurze Meldung in der Zeitung gegeben, aber über die Satelliten konnte man sehr explizite Unterhaltungen mithören. Wir wurden dadurch zu Zeugen davon, wie Politik wirklich gemacht wird. Mit dieser Methode hat Brian Springer - mit dem ich bei diesem Projekt zusammengearbeitet habe - auch seinen Film "Spin" gemacht, für den er ungeschnittenes TV-Material von einem Satelliten abgefangen hat, um zu zeigen, wie es beim Fernsehen hinter den Kulissen zugeht.

Ich glaube, du mußt erklären, wie das technisch funktioniert. Kann sich denn jeder in solche Telefongespräche einklinken, die über diese Satelliten gehen?

Marko Peljhan: Der größte Teil der internationalen Ferngespräche läuft über diese Satelliten. Manchmal sind sie verschlüsselt, inzwischen oft auch digitalisiert. Mit der richtigen Ausrüstung kann man die analoge Signale entschlüsseln. Man muß dafür allerdings gute Gründe haben, weil es keine besonders angenehme Tätigkeit ist. Wir haben es eher grob gemacht. Wir hatten weder die Ausstattung noch die Leute, um uns alles anzuhören. Wir mußten uns auf Intuition und auf unser Glück verlassen. Deswegen war es so erschöpfend, weil wir den ganzen Tag mit Suchen verbracht haben.

Ist das, was ihr da macht, legal?

Marko Peljhan: Es ist experimentell. Und es bringt sowohl Wissenschaft und Technologie wie auch die Gesellschaft weiter. Es ist natürlich empfehlenswert, sich mit der rechtlichen Situation vertraut zu machen, weil die in jedem Land anders ist. In Deutschland ist das, was wir gemacht haben, legal, aber man darf das, was man gehört hat, nicht an Dritte weitergeben. In Australien ist es ähnlich, aber in USA oder in Österreich ist die Situation ganz anders. Dort sind die Rechte des Einzelnen zwar vor anderen geschützt, aber nicht vor dem Staat, der als einziger mithören darf.

Aber wäre die Distribution von politisch relevanten Telefonaten nicht entscheidend? Wenn man nur die Telefonate von anderen Leuten abhört, ist das wenig mehr als Voyeurismus. Aber wenn ihr Material entdeckt, das euch wichtig vorkommt, müßte man es doch veröffentlichen, oder?

Marko Peljhan: Ganz klar. Darum wollen wir diese Informationen auch in einem sozialen Sinne nutzen, denn nur dafür machen wir das. Jeder kann die Telefonate von anderen abhören. Es ist nicht besonders schwierig, in die Privatsphäre anderer einzudringen, aber wie ich gesagt habe, ist es auch nicht besonders angenehm. Wir wollen aufzeigen, wie bestimmte Machtstrukturen - oder eine bestimmte Art von Machtmißbrauch - sich der Technologie bedienen und was da verborgen wird. Bei den Vorkommnissen in Sierra Leone oder bei einigen der Waffenhändler, denen wir zugehört haben, gibt es die Sachen, die die wirklich aushandeln, und dann gibt es die offizielle Presseerklärung.

Uns geht es darum, zum Beispiel den Leuten von Greenpeace zu sagen: "Hallo, wußtet ihr eigentlich, daß jeder euren geheimsten Unterredungen zuhören kann?" Die wissen wahrscheinlich gar nicht, daß jedesmal, wenn sie das Satelliten-Telefon auf ihrem Boot benutzten, ihre Gegner alles mithören können. Oder sie wissen es, aber es ist ihnen egal. Ich finde es sehr wichtig zu zeigen, daß die Privatsphäre nicht so geschützt ist, wie es die meisten Leute wahrscheinlich annehmen.

Und wie wollt ihr die Informationen verbreiten, wenn das illegal ist?

Marko Peljhan: Wir wollen eine Firma gründen, denn dann hätten wir das Recht, diese Informationen unter allen Teilhabern zu verbreiten. Man müßte nur eine Aktie von dieser Firma kaufen, um alles zu erfahren, was wir an Informationen und Daten gesammelt haben. Wir suchen noch nach dem richtigen Land, um die Firma zu gründen. Das ist ein längerer Prozeß, aber in den nächsten Jahren wird es passieren.

Man darf nicht vergessen, daß alle Staaten dasselbe machen wie wir. Wenn die Regierungen es tun, warum sollten wir es nicht auch tun? Unsere Privatsphäre wird ununterbrochen von Geheimdienste verletzt. Da spioniert jeder hinter jedem her. Warum also sollten die Bürger nicht damit anfangen, den Geheimdiensten hinterher zu spionieren?

Das Makrolab, in dem ihr während der documenta für 40 Tage gelebt habt, befand sich auf einem Berg außerhalb von Kassel. Da ich selbst nicht auf dem Lutterberg war, erzähl bitte, was für ein Labor ihr da hattet.

Marko Peljhan: Das Makrolab ist so eingerichtet, daß man damit bis zu 40 Tage in jeder beliebigen Gegend überleben kann. Es kann sehr extreme Temperaturen und starken Wind aushalten, weil wir es in der ganzen Welt einsetzen wollen. Es hat alle notwendigen Überlebenseinrichtungen. Es gibt eine Schaltpult mit dem technischen Equipment, Schlafplätze, eine Dusche, Essen, und es ist auch in punkto Energie unabhängig, weil wir Sonnenenergie nutzten. Wir laden Gastwissenschaftler ein, die an spezifischen Projekten arbeiten. Es ist wie ein wissenschaftliches Labor, aber ohne die Formalitäten, in dem man extreme Projekte realisieren kann.

Euer Labor war auf einem Berg, der ziemlich weit weg von der Ausstellung selbst ist. Ich glaube, daß die meisten Besucher der Documenta eure Aktivitäten überhaupt nicht wahrgenommen haben...

Marko Peljhan: Auf dem Lutterberg gab es einfach die besten Bedingungen für das, was wir machen wollten. Außerdem vertrete ich die These, daß eine kleine Gruppe von Leuten mehr Code für soziale Evolution erzeugen kann als große soziale Bewegungen. Das ist sozusagen das Gegenmodell zur Revolution der Massen. Ich glaube, daß ein kleines Team mit einem sehr präzise definierten Ziel viel effizienter arbeiten kann.

Auch andere Künstler haben mit Satelliten gearbeitet, zum Beispiel Ingo Günther, Peter Fend, Van Gogh TV, Sherrie Rabinowitz, Kit Galloway und Willoughby Sharp. Aber aus irgendeinem Grund ist das von der Kunstgeschichte kaum zur Kenntnis genommen worden. Es sieht fast so aus, als würde man als Künstler von der Kunstszene nicht mehr beachtet, wenn man mit Satelliten arbeitet.

Marko Peljhan: Makrolab war auf der documenta, also ist es automatisch Teil der Kunstgeschichte, oder? (lacht) Ich glaube, daß das mit der Immaterialität dieser Arbeiten zu tun hat. Wenn die Leute sich das Weltall vorstellen, denken sie an Schwierigkeiten, an Komplexität und an große Entfernungen. Aber das ist gar nicht so, das ist nur eine psychologische Barriere. Natürlich ist ein Satellit sehr extremen Bedingungen ausgesetzt, und man muß in ihn ins All schießen, darum ist es so teuer. Aber eigentlich ist es bloß eine Art Antenne im Weltall.

Im Mai habe ich eine Telekonferenz mit der Raumstation MIR veranstaltet. Alle dachten, daß das technisch unglaublich komplex war, aber das ist es in Wirklichkeit überhaupt nicht. Man muß nur ein paar Signale synchronisieren. Die Leute wissen einfach nicht genug über diese Technologien. Meist wird es mystifiziert, aber wenn man wirklich damit zu arbeiten beginnt, ist es ein Werkzeug wie jedes andere auch. Als ich angefangen habe, mich mit Satelliten zu beschäftigen, habe ich gemerkt, daß das alles militärische Technologie ist. Das ist etwas, über das nachzudenken sehr wichtig ist: der militärische Ursprung von fast allem, was wir benutzen.

Was für Equipment benutzt du? Hast du es selbst gebaut oder kann man diese Sachen in jedem Elektrogeschäft kaufen?

Marko Peljhan: Das meiste Equipment sind ganz normale Geräte. Die gibt es vielleicht nicht in jedem Laden, aber wenn man danach sucht, ist es nicht schwer, sie zu finden. Und wenn man es auf die richtige Weise zusammensetzt, funktioniert es. Man muß natürlich ein bißchen kreativ sein...

Das klingt mehr nach einem Hacker als nach einem Künstler. Wie würdest du dich selbst beschreiben? Bist du ein Künstler, ein Hacker, ein Amateurwissenschaftler?

Marko Peljhan: Solche Bezeichnungen interessieren mich nicht besonders. Aber wenn ich mich selbst mit anderen Leuten vergleiche, die Künstler sind, finde ich, daß wir nicht viel gemeinsam haben. Darum nenne ich meine Arbeit einfach progressive, zeitbasierte Aktivitäten. Mich interessiert es, eine Utopie zu definieren und dabei Grenzen zu überschreiten. Und das ist die Legitimierung, die ein Künstler hat: das Recht, von Zeit zu Zeit etwas verantwortungslos zu handeln.

Die Kunstgruppen aus Slowenien, die die meisten Leute im Westen kennen, sind Laibach und die Neue Slowenische Kunst, die mit sozialistischer und nationalistischer Ikonographie gespielt haben. Deine Arbeit erscheint im Vergleich dazu sehr international. Sie könnte eigentlich von überall her kommen.

Marko Peljhan: Ja, sie ist sehr international oder global wegen der Themen, über die ich arbeite. Aber spirituell ist sie ganz klar osteuropäisch - wegen ihres utopischen Potentials. Wenn ich mit meinen Kollegen aus dem Westen spreche, wundern die sich oft über diesen utopischen Aspekt in meiner Arbeit...

Daß du immer noch an utopische Ideen glaubst, obwohl du im real-existierenden Sozialismus aufgewachsen bist?

Marko Peljhan: Ja. Buckminister Fuller hat gesagt: "Die Welt ist heute zu gefährlich für alles, was nicht utopisch ist." Das war in den 50er Jahren, aber ich finde es immer noch richtig.