Kurdische Unabhängigkeit: Bagdad will Flughäfen und Ölexporte übernehmen

Show-Time für Barzani. Screenshot einer Rede vor dem Referendum: Video/YouTube

Machtprobe zwischen der irakischen Zentralregierung und Barzani. Haider al-Abadi spielt die nächsten Karten aus

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Der Volksentscheid im irakischen Kurdistan fiel eindeutig aus. Beinahe 93 Prozent von etwa 3 Millionen abgegebener und gültiger Stimmen votierten für einen unabhängigen Staat. Über politische Lager hinweg sprachen sich die Kurden im Nordirak in großer Einigkeit für einen Kurdenstaat aus. Das ist ein deutliches Zeichen, das Eindruck auf die Weltöffentlichkeit machte und damit Werbung für die Unterstützung der Sache der Kurden.

Neben diesem symbolpolitischen Großeffekt hat die Durchführung des umstrittenen Referendums Reaktionen in der unmittelbaren Umgebung zur Folge, die den Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden der Autonomen Republik Grenzen aufzeigen. Den empfindlichsten Hebel kann der türkische Präsident Erdogan, der das Votum als "null und nichtig" deklarierte, ansetzen. Er hat bereits damit gedroht, die Öllieferungen aus dem irakischen Kurdistan zu stoppen. Das sind die Lebensadern des "unabhängigen Kurdistans".

Die Ölexporte

Bislang beließ es die türkische Führung unter Erdogan bei Einschüchterungen, wozu Militärmanöver an der Grenze zu Kurdistan zusammen mit Teilen der irakischen Armee gehörten. Auch Iran, ein anderer starker Opponent des Unabhängigkeitsvotums, in dessen Kurdengebieten das Referendum gefeiert wurde, reagierte bisher verhalten. Der Flugverkehr zwischen Iran und Kurdistan wurde eingestellt. Es gab offizielle Aussagen, die sich eindeutig gegen das Votum aussprachen, die handfesteren Drohungen kamen von verbündeten schiitischen Milizenführern.

Es ist zunächst die irakische Zentralregierung in Bagdad, die der Autonomen Republik im Augenblick die Grenzen der Unabhängigkeit aufzeigt. Aus Bagdad kamen vor dem Volksentscheid deutliche Worte. Das Votum sei verfassungswidrig, bedrohe die Einheit des irakischen Staates, dessen Teil die Autonome Republik ist, und gefährde den Frieden in der Region.

Jetzt folgten die ersten Schritte, um die Macht zu demonstrieren, welche die Zentralregierung über die Autonome Region hat. Das fängt vergleichsweise harmlos damit an, dass das Ausstellen von Pässen ausgesetzt wird. "Das Netzwerk zwischen den Behörden in Bagdad und in der Region Kurdistan ist wegen technischer Probleme eingestellt", meldet Rudaw. Der "technische Fehler" ereignete sich einen Tag vor dem Referendum, vermutlich nicht zufällig.

Das war aber nur der leise Auftakt, um Abhängigkeiten vorzuführen. Das irakische Parlament beschloss 12 Maßnahmen, darunter die Erlaubnis, dass die irakische Armee in die umstrittenen Gebiete entsandt werden kann. Dazu kommt die Ankündigung, alle Grenzen zu schließen und die Ölexporte unter die Kontrolle der Zentralregierung zu bringen.

Noch ist nicht klar, wie letzteres zuwege gebracht werden soll. Bagdad soll die Regierung der Autonomen Region aufgefordert haben, Papiere zu den ausgehandelten Verträgen auszuliefern sowie Geschäftsunterlagen und Abrechnungen. Wie sich die kurdische Regierung dazu verhalten wird, wenn der Druck hinter dieser Forderung wächst, ist noch offen. Ein Streit um Kirkuk und die Ölfelder hat zusammen mit der Einwillung des irakischen Parlaments, die irakische Armee in die umstrittenen Gebiete zu entsenden, größeres Eskalationspotential (wobei hier internationale Interessen, etwa auch vom russischen Konzern Rosneft im Spiel sind, die sehr an Deeskalation interessiert sein dürften).

Bagdad will Übergabe der Flughäfen

Großes Aufsehen erregte die Entscheidung, dass die Zentralregierung fortan die Verwaltung der beiden internationalen Flughäfen Erbil und Sulaymaniyah übernehmen wird.

Es gibt ein Ultimatum: Bis zum morgigen Freitag soll die Regionalregierung laut Ministerpräsident Haider al-Abadi die Airports übergeben, sonst würden internationale Flüge ausgesetzt. Die Luftfahrtbehörde Iraqi Civil Aviation Authority teilte jedoch schon am Mittwoch mit, dass "internationale Flüge nach und von Erbil und Sulaymaniyah ausgesetzt würden". Die Flughäfen würden nur mehr für Inlandsflüge von irakischen Fluggesellschaften genutzt werden.

Die libanesische Middle East Airlines MEA stellte ihre Flüge vorerst ein, Egypt Air will dies ab Freitag so handhaben, Flydubai ab Samstag. Die deutschen Fluggesellschaften Germania und Lufthansa haben noch keine solche Entscheidung getroffen. Sie beobachten die Situation, werden ihre Sprecher zitiert. Die türkischen Fluglinien stellen ihren Betrieb übrigens nicht ein

Vonseiten der kurdischen Regierung in Erbil heißt es, dass man genauer wissen wolle, was damit konkret gemeint sei, dass Bagdad nun die beiden Flugplätze "überwachen" wolle - mit dem Zusatz, dass man selbst auch einige Karten im Spiel habe, falls der internationale Flugbetrieb eingestellt würde.

Der kurdische Verkehrsminister verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass der Flughafen in Erbil von Mitgliedern der Anti-IS-Koalition genutzt werde. Die in Bagdad angedrohte Maßnahme würde somit die Kapazitäten der Luftwaffe der Koalition einschränken.

Bereitschaft zu Verhandlungen

Einmal dahingestellt, ob dies tatsächlich in einem relevanten Maß der Fall wäre - Bagdad könnte ja eigene Vereinbarungen mit den USA und der Koalition treffen - zeigen sich in dieser Äußerung zwei neuralgische Punkte der Folgen des Unabhängigkeitsvotums: einmal die internationalen Verwicklungen, das größere Spielfeld des Machtspiel zwischen Erbil und Bagdad, in dem Interessen anderer Staaten ein mächtiger Faktor sind, zum anderen - wenn man die Situation zuversichtlich sieht - das grundsätzliche Interesse an Verhandlungen. Die kurdische Regierung, so der Bericht von Rudaw, sei bereit zu Gesprächen mit Bagdad über die Flughafenfrage.

Die politischen Ziele, die der kurdische Clanführer Barzani mit der Volksbefragung erreichen wollte, ist einmal die Festigung seiner Macht durch das "historische Votum". Für Anfang November sind Wahlen in der Autonomen Region angesetzt. Für die Familie Barzani, deren Mitglieder in der Regierung sitzen, ist das Votum, das maßgeblich von Masud Barzani initiiert wurde, die beste Wahlkampagne. Das Votum war eine Show für den umstrittenen Präsidenten, dessen legitime Amtszeit seit Jahren abgelaufen ist.