Kurdistan nach Unabhängigkeitsvotum: Gesprächsbereitschaft und Drohungen

Bild: Screenshot, Video/YouTube

Kriegsdrohungen und Zeichen der Annäherung zwischen Barzani und Bagdad. Der große Vermittler Talabani fehlt

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Am Freitagnachmittag sieht die Lage kritisch aus. Laut der kurdischen Publikation Rudaw, die der Barzani-Regierung in Erbil nicht unbedingt fern steht, befürchtet der KRG-Premierminister kriegerische Konfrontationen bei Kirkuk. Nechirvan Barzani habe an den Sicherheitsrat der UN appeliert, "schnell einzugreifen", um einen Krieg zwischen irakischen Streitkräften und Peschmerga zu verhindern

Kommandeure der Peshmerga hätten Journalisten berichtet, dass die irakischen Streitkräfte am Donnerstagabend Drohungen ausgesprochen und verlangt hätten, dass sich die Peschmerga hinter eine 2003 vereinbarte "grüne Linie" zurückziehen.

Welches Gewicht die Drohungen haben, wie kriegskritisch die aktuelle Situation tatsächlich ist, ist aus der Ferne schwer zu bestimmen. Mit eingerechnet werden muss wie immer, dass über Medien auch Konflikte angefacht werden oder Einfluss darauf ausgeübt wird. Denn Auseinandersetzungen wurden bislang noch nicht gemeldet, nur Spekulationen darüber. Allerdings spricht auch Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in einer Pressemitteilung davon, dass ein Angriff auf Kirkuk befürchtet werde:

"Der irakische Generalstab dementiert zwar, dass eine Militäroperation zur Rückeroberung von Kirkuk gestartet wurde. Doch nach Informationen der GfbV aus Irakisch-Kurdistan werden immer mehr schiitische Milizen vor allem in den beiden Ortschaften Beshir und Taza Kormatu nicht weit von Kirkuk zusammengezogen."

Der Generalstab der irakischen Armee dementierte Vorbereitungen für eine Operation in Kirkuk.

Nach Stand der letzten Tage sprach alles dafür, dass sich die irakische Regierung von militärischen Abenteuern zurückhält, wofür sich auch, wie Erbil geltend macht, die USA ausgesprochen hatten.

In einer politisch brisanten Lage nach dem Unabhängigkeitsreferendum im Nordirak, verloren die Kurden und Kurdinnen mit dem Tod Jalal Talabanis am 3. Oktober einen ihrer wichtigsten politischen Akteure - nicht nur für die Autonomieregion. Talabani war Vorsitzender der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) und der erste kurdische Staatspräsident des Irak.

Am Rande der Beerdigung von Talabani kam es zu Gesprächen zwischen Masud Barzani und dem neu gewählten Chef der führenden Partei in Nordsyrien, Shauz Hassan (PYD). Gespräche gab es auch zwischen Barzani und der irakischen Regierung. Beides passt Ankara überhaupt nicht ins Konzept.

Erdogans Plan der Zwietracht scheint zu scheitern

Das hatte sich Erdogan ganz anders vorgestellt. Schon wieder schreiben die Kurden sein Drehbuch um. Nach dem Säbelrasseln von Ankara, Bagdad und Teheran und der Drohung mit Grenzschließung und Embargo sollen sich am vergangenen Wochenende Barzani und die irakische Regierung auf einen 4 Punkte-Plan zur Lösung der Differenzen zwischen Erbil und Bagdad geeinigt haben.

Der Vorsitzende des Präsidentschaftsrates der kurdischen Autonomieregion, Fuad Hussein, erklärte, alle drei Parteien, Masud Barzani sowie die irakischen Vizepräsidenten Iyad Allavi und Usame Nuceyfi, hätten sich darauf geeinigt, so schnell wie möglich Treffen mit allen Beteiligten und den politischen Parteien durchzuführen, um die angespannte Atmosphäre im Irak zu beseitigen.

Die Treffen sollen mit einer offenen Agenda geführt werden. Die sofortige Aufhebung der Sanktionen gegen die Autonomieregion ist ebenfalls Teil der Vier-Punkte-Vereinbarung. Barzani gab am vergangenen Samstag eine Erklärung ab und sagte, man wolle die Probleme mit der Bagdad-Administration im Dialog lösen.

Der irakische Ministerpräsident Haider Al-Abadi erklärte allerdings am Dienstag auf einer Pressekonferenz, Gespräche könne es erst geben, wenn die KRG das Referendum für ungültig erkläre. Andererseits schloss er, entgegen verschiedener Pressemeldungen, ein militärisches Vorgehen gegen die nordirakischen Kurden aus.

Annäherung von PYD und KDP bereitet türkischer Regierung Kopfzerbrechen

Am Rande der Beerdigungszeremonie für den kurdischen Politiker Jalal Talabani trafen sich Masud Barzani und der neu gewählte Chef der führenden Partei der demokratischen Föderation Nordsyrien, PYD. Laut Augenzeugenberichten sollen die Gespräche in freundschaftlicher Atmosphäre stattgefunden haben.

Während es zwischen der PYD und der PUK im Kampf gegen den IS eine enge Zusammenarbeit gibt - die PUK unterstützte die PYD militärisch, finanziell und logistisch - war das Verhältnis zwischen KDP und PYD immer von Konkurrenz geprägt. Bis heute gibt es seitens Barzani ein Embargo gegenüber der demokratischen Föderation Nordsyriens. Jalal Talabanis Bemühungen um eine Annäherung scheinen nun Früchte zu tragen

Gelingt es den beiden Parteien, die politischen Differenzen beizulegen, gäbe es für die irakische Autonomieregion eine Möglichkeit, sich aus der Abhängigkeit von der Türkei teilweise zu befreien. Über eine stillgelegte Pipeline könnte mittelfristig das Öl aus dem Nordirak über die kurdischen Regionen in Nordsyrien in die Nähe des Mittelmeeres transportiert werden. Damit wäre Erdogans Plan, die kurdische Autonomieregion im Irak wegen ihrer Unabhängigkeitsbestrebungen auszuhungern, gescheitert.

Im Zusammenhang mit dieser Möglichkeit ist auch die eilige Offensive der türkischen Armee im syrischen Idlib zu sehen. Wenn es der Türkei gelingt, einen Korridor von Jarablus bis Idlib zu besetzen, wäre dieser Weg des Öltransportes abgeschnitten, denn die Pipeline müsste durch Idlib ans Mittelmeer geführt werden.

Aber die Möglichkeiten des türkischen Militärs sind beschränkt. Die türkischen Bemühungen stoßen nämlich bei den verschiedenen Islamisten in Idlib nicht auf Gegenliebe, vor allem nicht bei Teilen der al-Nusra-Front. Dieser Al Qaida-Ableger würde sich heftig wehren, wenn die türkische Armee ihre Hochburg Idlib vollständig übernehmen würde.

Deshalb ist das wahrscheinlichste Szenario, dass die türkische Armee vorerst nur einige strategische Punkte in der Provinz Idlib besetzt, und zwar im Rahmen geheimer Absprachen mit al-Nusra. Denn nach wie vor ist die weitere Einkesselung des kurdischen Kanton Afrin das wichtigste Ziel Erdogans.

Die Idlib-Operation bietet ihm die Möglichkeit nun auch im Süden Afrins türkische Stützpunkte aufzubauen und den Kanton auch von dort aus mit seiner Artillerie zu terrorisieren. So erklärtedenn auch Hassan Saleh, Mitglied des Kurdischen Nationalkongresses und der PUK in Syrien:

Das Ziel der türkischen Regierung in Idlib ist es die Kurden an der Verbindung der kurdischen Kantone und der Ausrufung eines Föderation zu hindern.

Hassan Saleh