Kurswechsel ist geboten

Sieben Thesen zur Zukunft in den deutsch-polnischen Beziehungen

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  1. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier setzen selbst nach dem deutsch-polnischen Showdown auf dem EU-Gipfel unverändert auf „enge und freundschaftliche Beziehungen" zu Polen. Dieses Ziel klingt ehrenwert, ist aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt falsch und unrealistisch, denn es setzt die falschen Signale auf beiden Seiten der Oder.
  2. Wie die ständigen und gezielten Affronts der Brüder Kaczynski im Vorfeld und während des Gipfels gezeigt haben, ist es fruchtlos und damit sinnlos, mit der gegenwärtigen polnischen Regierung freundliche oder nur normale Beziehungen wie zu anderen EU-Partnern anzustreben. Ein „Weiter so“ aus Geldtransfers in Milliardenhöhe, Goodwill-Gesten und Versöhnungsbemühungen von deutscher Seite prämiert die unnachgiebige Haltung Warschaus. Das führt langfristig erst recht nicht zu den anzustrebenden guten Beziehungen zu Polen, denn es ermutigt die Hardliner in Warschau, diese nach Kräften weiter zu torpedieren. Die Vorstellung, mit freundlichem Entgegenkommen bei Politikern vom Schlage der Kaczynskis, Giertychs und Leppers einen Sinneswandel zu bewirken, hat sich spätestens auf dem EU-Gipfel als naiv erwiesen. Man schwächt dadurch sogar ungewollt die Opposition in Polen, auf die Deutschland angewiesen ist, wenn es langfristig und ernsthaft ein besseres Verhältnis zu Polen wünscht.
  3. Angesichts des Verhaltens der polnischen Regierung ist ein Kurswechsel, sprich ein hartes Verhandeln bei künftigen Finanzverhandlungen zwischen den EU-Staaten geboten. Reagiert Deutschland auf diese Verhandlungsmethoden nicht, ermuntert man andere Nehmerländer zu ähnlich selbstsüchtigem und unverantwortlichem Verhalten. Leider hat der Brüsseler Stimmenkompromiss die deutsche Verhandlungsposition alles andere als verbessert.
  4. Solch ein erkennbarer Kurswechsel der Bundesregierung gegenüber Polen setzt Warschau und der polnischen Bevölkerung das klare Signal, dass die Fortsetzung der betriebenen Deutschlandpolitik nicht in polnischem Interesse liegt, wenn man weiter von den maßgeblich auch von Deutschland finanzierten EU-Fördertöpfen profitieren möchte. Leider ist es nicht auszuschließen, dass die Regierung Kaczynski im Vorfeld der Finanzverhandlungen erneut nicht davor zurückschrecken wird, die Nazi-Verbrechen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Diese Taktik kann man aber nicht verhindern.
  5. Aufgrund der EU-Skepsis und -Ablehnung der polnischen, aber auch traditionell der britischen Regierung ist ein Europa der zwei Geschwindigkeiten zu einer ernst zu nehmenden Alternative geworden. Letztlich wäre sie fair für alle Beteiligten, denn sie bevormundet niemanden. Wer mehr Integration in Europa wünscht, schreitet voran, wer dagegen ist, macht dabei nicht mit. Das ist schlicht und einfach pure Demokratie auf allen Seiten. Das Einbinden von Integrationsbefürwortern und -gegnern bedeutet eine ständige Zerreißprobe für die EU mit ungewissem Ausgang. Eine Einigung zur rechten Zeit auf unterschiedliche Geschwindigkeiten birgt weniger Risiken für Europa.
  6. Konsequenzen im deutsch-polnischen Verhältnis zu ziehen, hat auch europapolitisch den Vorteil, dass sich die deutsche Bevölkerung besser von ihrer Regierung vertreten sieht. Denn das bittere Gefühl, dass die EU-Partnerländer bei Bedarf auf die von Deutschen begangenen Verbrechen während des Nationalsozialismus verweisen, um von der Bundesregierung finanzielle Zugeständnisse zu erreichen, ist weiter verbreitet als manche deutschen Politiker wahrnehmen möchten. Nimmt die deutsche Politik diese Missstimmung in der Bevölkerung gegenüber der EU nicht ernst und ignoriert sie, erleichtert sie damit rechtsradikalen, europafeindlichen Rattenfängern das Handwerk.
  7. Gleichzeitig sollte die deutsche Politik mit gemäßigten und an verbesserten Beziehungen interessierten Kreisen in Polen gezielt das Gespräch suchen. Die Wahlbeteiligung bei den letzten polnischen Parlamentswahlen im Herbst 2005 lag bei nur 40 Prozent. Insofern ist der Rückhalt für die Regierungspartei PiS zahlenmäßig nicht überwältigend und es bleibt die Hoffnung und der Auftrag, langfristig mit den fortschrittlichen Kräften in der polnischen Politik bessere Beziehungen anzustreben. Die offiziellen Beziehungen zu Warschau sollten sich hingegen bis auf weiteres auf das in der EU und unter Nachbarn nötige Normalmaß beschränken. Mehr ist unter den Kaczynskis leider nicht möglich.