Kurze Geschichte der fünf Veto-Mächte des UN-Sicherheitsrats

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Im Ukraine-Krieg wird Russland Imperialismus vorgeworfen. Doch auch Frankreich, UK, USA und China agieren bis heute aggressiv. Was ein Check der Großmächte über ihre neokoloniales Verhalten seit 1945 verrät. (Teil 1)

Eines der Grundprinzipien der UN-Charta ist der Schutz der souveränen Rechte der Staaten. Doch seit 1945 haben die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats (Sowjetunion/Russland, Frankreich, Großbritannien, die USA und China) immer wieder militärische Gewalt eingesetzt, um dieses Konzept zu untergraben.

Auch wenn die Aneignung von Territorium seltener geworden ist, ermöglicht die anhaltende militärische Vorherrschaft dem Imperialismus, sich durch wirtschaftliche, politische und kulturelle Kontrolle weiter zu manifestieren.

John P. Ruehl ist Redakteur bei Strategic Policy und schreibt für verschiedene außenpolitische Publikationen.

Die Theorie der Systemrechtfertigung hilft zu erklären, wie politische Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit ungerechte Systeme verteidigen und rationalisieren, und zwar durch die erstaunliche Fähigkeit, in jeder Gesellschaft logische und moralische Kohärenz zu finden. Das "Reframing" neokolonialer Politiken zur Stärkung systemrechtfertigender Narrative, oft durch die Betonung der Notwendigkeit, historische und kulturelle Bindungen zu verteidigen und geopolitische Stabilität zu wahren, war für die Aufrechterhaltung des Status quo in internationalen Angelegenheiten von wesentlicher Bedeutung.

Natürlich haben sich die fünf Mitglieder des UN-Sicherheitsrats oft gegenseitig des Imperialismus und Kolonialismus beschuldigt, um von der Kritik an ihren eigenen Praktiken abzulenken. Doch die Verlängerung dieser Beziehungen in ehemaligen Kolonien oder Einflusssphären führt lediglich dazu, dass Abhängigkeiten fortbestehen, die wirtschaftliche Entwicklung behindert und Instabilität durch Ungleichheit und Ausbeutung gefördert wird.

Frankreich

Als Reaktion auf die Äußerungen des russischen Außenministeriums vom Februar 2023, in denen Frankreich vorgeworfen wurde, afrikanische Länder weiterhin "aus dem Blickwinkel seiner kolonialen Vergangenheit" zu behandeln, warf das französische Außenministerium Russland sein "neokoloniales politisches Engagement" in Afrika vor.

Im Juni beschuldigte der französische Präsident Emmanuel Macron Russland bei einem Besuch in Benin, einer ehemaligen französischen Kolonie, in der es zuletzt 1977 einen Putschversuch französischer Söldner gab, "eine der letzten kolonialen Imperialmächte" zu sein.

Während des Zweiten Weltkriegs nahmen die Unabhängigkeitsbewegungen in den europäischen Kolonien stark zu, und Paris gewährte seinen Besitzungen, die meisten davon in Afrika, 1945 größere Autonomie. Frankreich war jedoch bestrebt, den größten Teil seines Reiches zu behalten, und wurde in die Unabhängigkeitskonflikte in Algerien und Indochina verwickelt.

Die wachsende öffentliche Meinung in Frankreich, die seither als "utilitaristischer Antikolonialismus" bezeichnet wird, förderte unterdessen die Entkolonialisierung, da man meinte, dass das Kaiserreich Frankreich wirtschaftlich behindert und "die Emanzipation der Kolonialvölker unvermeidlich war", wie der französische Journalist Raymond Cartier schrieb.

Frankreich verließ Indochina 1954 als Verlierer, während 1960 14 ehemalige französische Kolonien die Unabhängigkeit erlangten. Nachdem Algerien 1962 seine Unabhängigkeit erlangt hatte, war Frankreichs Imperium so gut wie verschwunden.

Doch wie andere neue unabhängige Staaten waren auch viele ehemalige französische Kolonien instabil und anfällig für die französische Militärmacht oder von ihr abhängig. Seit den 1960er-Jahren hat Frankreich Dutzende von Militärinterventionen und Putschen in Afrika durchgeführt, um befreundete Regierungen zu stabilisieren, feindliche zu stürzen und seine Interessen zu unterstützen.

Die militärische Dominanz Frankreichs hat es ermöglicht, ein freundliches Umfeld für französische multinationale Unternehmen sowie bevorzugende Handelsabkommen und Währungsvereinbarungen zu sichern. In jüngerer Zeit hat das französische Militär seit 2002 immer wieder in Côte d'Ivoire, seit 2013 in den Ländern der Sahelzone (insbesondere Mali) und seit 2016 in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) interveniert.

Die von Frankreich geführten Offensiven wurden von den USA maßgeblich unterstützt. In seiner Rede zu den französischen Einsätzen im Jahr 2019 erklärte Macron, das französische Militär sei nicht "aus neokolonialistischen, imperialistischen oder wirtschaftlichen Gründen dort. Wir sind dort für unsere kollektive Sicherheit und für die Region".

Doch die wachsende antifranzösische Stimmung in den ehemaligen Kolonien hat in den letzten Jahren die historische militärische Dominanz von Paris untergraben. Die engeren Beziehungen zwischen Mali und Russland führten dazu, dass Frankreich 2022 die letzten seiner Truppen aus dem Land abzog und sie durch Kräfte einer privaten Militärfirma (PMC) ersetzte.

Eine ähnliche Situation trat Monate später in der Zentralafrikanischen Republik ein. 2023 zogen die französischen Truppen aus Burkina Faso ab, wobei Berichten zufolge russische PMC-Verbindungen im Land beobachtet wurden.

Die Frustration über die negativen Auswirkungen des anhaltenden Einflusses Frankreichs in den ehemaligen Kolonien steht auch in direktem Zusammenhang mit Problemen in den in Frankreich lebenden Einwanderergemeinschaften. Die tödliche Erschießung eines nordafrikanischen Teenagers durch die Polizei in den Vororten von Paris im Juni 2023 führte zu nächtlichen Ausschreitungen, wobei Russland und China Frankreich wegen seiner Sicherheitsmaßnahmen Autoritarismus vorwarfen.

Großbritannien

Kurz nach Russlands Einmarsch in der Ukraine prangerte der britische Premierminister Boris Johnson den russischen Präsidenten an, weil er immer noch an eine "imperiale Eroberung" glaube. Doch wie Frankreich wurde auch Großbritannien oft beschuldigt, militärische Gewalt einzusetzen, um britische Interessen in seinem ehemaligen Reich zu fördern, einschließlich der dominanten Rolle britischer Banken und Finanzdienstleister und anderer Unternehmen über Jahrzehnte hinweg.

Als einzige europäische Kolonialmacht, die nicht von Nazi-Deutschland besiegt wurde, entsandte man britische Streitkräfte zur Sicherung Indochinas und Indonesiens, bevor französische und niederländische Streitkräfte nach dem Zweiten Weltkrieg zurückkehren konnten. Doch schon bald konzentrierte sich London auf den Schutz seines eigenen Reiches und der entstehenden unabhängigen Staaten.

Britische Streitkräfte halfen von 1948 bis 1960 bei der Niederschlagung eines kommunistischen Aufstands in Malaysia, kämpften von 1952 bis 1960 im Kenia-Notstand und intervenierten in ehemaligen Kolonien in Afrika, im Nahen Osten, in der Karibik und auf pazifischen Inseln.

Außerdem drangen britische, französische und israelische Streitkräfte 1956 in Ägypten ein, nachdem die ägyptische Regierung den Suezkanal verstaatlicht hatte, bevor sie durch diplomatischen Druck der USA und der Sowjetunion zum Rückzug gezwungen wurden. In den nächsten Jahrzehnten wurden fast alle ehemaligen britischen Kolonien nach und nach in die Unabhängigkeit entlassen. Um 1980 hatte sich die Zahl der britischen Militärinterventionen im Ausland abgeschwächt.

Dennoch hat der Falklandkrieg von 1982 den Blick auf das Vereinigte Königreich als im Niedergang begriffene, imperiale Macht zum Teil geändert. Die erfolgreiche Verteidigung der kleinen, verletzlichen Bevölkerung der Falklandinseln gegen die argentinische Aggression stärkte die Wahrnehmung Großbritanniens als Verteidiger der Menschenrechte und Verfechter des Selbstbestimmungsrechts.

Ferner war Großbritanniens Konzentration auf die Seemacht "wichtig für das Selbstbild des Empire", da Seestärke oft als weniger bedrohlich wahrgenommen wird als Landarmeen. Prominente britische Politiker wie der ehemalige Premierminister David Cameron haben in ähnlicher Weise das Engagement Großbritanniens für den Schutz der Inseln vor dem argentinischen Kolonialismus bekräftigt.

In jüngerer Zeit hat das britische Militär im Jahr 2000 in den Bürgerkrieg in Sierra Leone eingegriffen und ist auch ein wichtiger Partner in den von den USA geführten Kriegen in Afghanistan 2001 und im Irak 2003 gewesen. Und neben den laufenden offiziellen Einsätzen waren britische Spezialeinheiten laut einem Bericht von Action Against Armed Violence von 2011 bis 2023 heimlich in elf Ländern aktiv.

Die noch vorhandene Präsenz der britischen Armee in Übersee hat es oft schwierig gemacht, die "neue und gleichberechtigte Partnerschaft" zwischen Großbritannien und den ehemaligen Kolonien zu begrüßen, für die sich der ehemalige britische Außenminister William Hague 2012 eingesetzt hat.

Die innenpolitische Wahrnehmung von Großbritanniens kolonialem Erbe entzweit die britische Politik und Gesellschaft weiterhin. Winston Churchill, der 2002 in einer BBC-Umfrage zu den 100 großartigsten Briten gewählt wurde, wurde "als Verteidiger eines bedrohten Landes/Volkes/einer bedrohten Kultur bezeichnet, nicht als Vertreter des Empire". Doch während der Anti-Rassismus-Proteste im Vereinigten Königreich im Jahr 2020 wurde eine Statue des ehemaligen Premierministers abgedeckt, um zu verhindern, dass sie von Demonstranten beschädigt wird.

In der Überzeugung, dass er eine Symbolfigur für die Grausamkeit des britischen Kolonialismus ist, zeigt die Verhüllung der Churchill-Statue die gegensätzlichen und sich wandelnden innenpolitischen Ansichten zum britischen Imperialismus.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit der Medienplattform Globetrotter. Hier geht es zum englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.

Der zweite Teil des Artikels von John P. Ruehl mit den UN-Vetomächten Russland, USA und China erscheint morgen.

John P. Ruehl ist ein australisch-amerikanischer Journalist, der in Washington D.C. lebt. Er ist Redakteur bei Strategic Policy und schreibt für verschiedene andere außenpolitische Publikationen. Sein Buch "Budget Superpower: How Russia Challenges the West with an Economy Smaller than Texas'" wurde im Dezember 2022 veröffentlicht.