Kurze Rede, langer Sinn
Nach der konstituierenden Sitzung des Vorbereitungskomitees für das Internet Governance Forums wächst die Hoffnung, dass es möglicherweise tatsächlich eine Innovation darstellt
Geredet werden soll viel auf dem Internet Governance Forum (IGF), die Reden aber sollen so kurz wie möglich sein. Das Schreckensszenario, mit dem sich die von Kofi Annan berufene "Internet Governance Forum Advisory Group" (IGF-AG) bei ihrer konstituierenden Sitzung vergangene Woche in Genf auseinander zu setzen hatte war, was passiert, wenn alle Regierungen der über 190 UN-Mitgliedstaaten sowie Hunderte von Unternehmen und nichtstaatlichen Organisationen auf dem viertätigen Forum im November 2006 in Athen eine Rede halten wollen? Würde man das traditionelle UN-Prozedere auf das IGF anwenden, dann wäre der Sinn des vom Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) beschlossenen Forums schon verloren noch ehe es begonnen hätte.
Dialog statt Monolog
Das IGF wurde ja erfunden mit dem Ziel, einen "Dialog" zwischen verschiedenen Stakeholdern - die bislang kaum oder gar nicht miteinander geredet haben - zu befördern und nicht eine neue Bühne für die großen Monologe von Ministern oder Geschäftsführern zu schaffen. Das IGF soll wie das Internet selbst werden, eine interaktive Kommunikationsplattform, über die Sender und Empfänger auf gleicher Ebene miteinander verbunden sind.
Das IGF, so hatte es die Working Group on Internet Governance (WGIG) vorgeschlagen und der WSIS-Gipfel im November 2005 in Tunis beschlossen, soll im echt alt-griechischen Sinne eine "Agora" werden, ein Marktplatz der Ideen, wo die neuesten Nachrichten verbreitet und unterschiedlichste Meinungen ausgetauscht werden, wo die Betroffenen und Beteiligten, die das Internet entwickeln, managen oder einfach nur nutzen, die sich rasant vermehrenden problematischen Begleiterscheinungen der weltweiten "Internetisierung" aus verschiedenen Perspektiven beleuchten und dabei kreative Lösungen finden wie all die Probleme so gelöst oder gemanagt werden können, damit das Internet stabil, funktionsfähig, innovativ und vor allem ein freier, sicherer und bezahlbarer Raum für jedermann bleibt oder wird.
Als Lösung, ministerielle Redeflut oder unternehmerische Selbstdarstellung zu kanalisieren, präsentierte die IGF-AG die durchaus pfiffige Idee, jedem Redewilligen die Möglichkeit zu geben, sein vorbereitetes Statement nicht von einem hölzernen Rednerpult aus, sondern vor einer digitalen Videokamera zu präsentieren. All die Videos - ein Einzelstatement darf nicht länger als fünf Minuten sein - werden dann "en suite" über Dutzende von Bildschirmen in der Konferenzhalle als Endlosschleife flimmern und jeder, der Lust hat, sich das anzusehen, kann sich das reinziehen oder auch einfach runterladen, denn alle Videodateien stehen auch als Download im Internet zur freien Verfügung. Wer also das Statement der kommenden finnischen EU-Präsidentschaft, die Rede des Kommunikationsministers aus dem Kongo oder die Präsentation des CEOs von ICANN hören will, ein Click genügt.
Auf diese Weise soll Raum geschaffen werden für einen echten Dialog. Die Podien im olympischen Konferenzzentrum in Athen werden also nicht mit "Panelisten" voll gestopft. Stattdessen sucht man jetzt kundige und abgebrühte Moderatoren, die durch straffe Gesprächführungen das übliche Chaos und Dampfgeplaudere von TV-Talkshows à la Christiansen vermeiden. Diese Moderatoren sollen dazu noch in der Lage sein, die Diskussion zielführend zu konkreten Schlussfolgerungen und Empfehlungen zu bringen, um sie dann, so die konzeptionelle Idee, auf den Weg in die Dutzenden von Entscheidungsgremien zu bringen, die sich mit einzelnen Aspekten von "Internet Governance" beschäftigen.
Das IGF hat also selbst keine Entscheidungskompetenz, es will aber die Entscheider - von den IP-Adressverwaltern bis zu den Strafverfolgungsbehörden, die den Cyberkriminellen auf der Spur sind, von den Menschenrechtsorganisationen bis zu den Suchmaschinebetreibern, von den Ministerien bis zu Unternehmen - zusammenbringen und sie auf diese Weise befähigen, sinnvolle Beschlüsse zu fassen, die auf umfassender Kenntnis basieren und die legitimen und fundamentalen Interessen der anderen Stakeholder mit berücksichtigen. Dass dies ein idealistischer Ansatz ist, bestreitet keiner. Ob es funktioniert, weiß auch keiner. Aber es nicht zu versuchen, wäre angesichts mangelnder Alternativen und eines wachsenden Problemdrucks eine Versündigung an der globalen Internet Community.
Aufbruch in Neuland
Dass die IGF-AG sich auf einen solchen Pfad begibt, der in ein auf UN-Ebene noch völlig unerforschtes Konferenzland führt, ist zunächst erst einmal eine erfreuliche Nachricht und war so nicht ohne weiteres zu erwarten. Immerhin ist die Schaffung des IGF das Ergebnis eines jahrelangen zähen Ringens um die Kontrolle über das Internet. Nachdem die streitenden (Regierungs-)Parteien beim zweiten Weltgipfel erkennen mussten, dass sich das über Jahre hinweg von unten entwickelte System des Internet-Management nicht revolutionieren oder einfach unter staatliche Kontrolle stellen lässt, einigte man sich darauf, wenigstens die Diskussion darüber fortzusetzen, wenngleich die unterschiedlichen Gruppierungen dabei unterschiedliche Hintergedanken hatten. Während die einen darauf spekulieren, dass aus dem Dialog heraus langsam aber sicher Modelle für die Internet-Aufsicht entstehen, rechnen die anderen damit, dass solche Aufsichtspläne durch die Diskussion ad absurdum geführt werden und mit der Zeit von der Tagesordnung verschwinden. Möglich auch, so hoffen Dritte, kommt am Schluss etwas heraus, das wir heute noch gar nicht kennen. Eine neue Erfindung sozusagen.
Insofern war es nicht verwunderlich, dass die Vorbereitung des IGF zunächst erneut durch die politischen Mühlen der Globaldiplomatie gedreht wurde. Dabei ging es nicht unwesentlich darum, wie denn das Komitee, das das erste IGF vorbereiten soll, zusammengesetzt ist, wer also bestimmen kann, was und wie diskutiert wird. Ursprünglich hatte die chinesische Regierung, unterstützt von der Gruppe der 77 der Entwicklungsländer, die Idee, ein zwischenstaatliches Büro zu schaffen, dass die Konferenz im Sinne einer UN-Tagung vorbereitet. Dagegen stand der Vorschlag der nichtstaatlichen Stakeholder aus der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft, die durch den WSIS-Gipfel als nahezu gleichberechtigte Partner bei der globalen Internet-Verwaltung formelle Anerkennung erhalten hatten, ein kleines "Programmkomitee" zu bilden, das einen "Call for Papers" formuliert und dann nach einer "Peer Review" Themen- und Rednerlisten aufstellt.
Nach wochenlangen Tauziehen hinter den New Yorker und Genfer Kulissen erblickte schließlich eine "Advisory Group" genanntes Gremium das Licht der Internet-Welt. Diese IGF-AG hat jetzt 48 staatliche und nichtstaatliche Mitglieder, wobei die Regierungen in der AG die formelle Mehrheit haben. Der Trick bei der Sache ist jedoch der, dass die "Advisory Group", wie der Name eben sagt, nichts mehr ist als ein "Beratungsgremium".
Die Entscheidung, zumindest für das erste IGF im November 2006 in Athen, liegt beim UN-Generalsekretär, der diese Entscheidungsmacht wiederum an seinen ehemaligen Stellvertreter, den indischen Diplomaten Nitin Desai delegiert hat. Desai steht nach seiner Zwangs-Pensionierung - bei der UN muss man mit 60 in Rente gehen - nun Kofi Annan in Form eines "One Dollar Job" als persönlicher "Internet-Berater" zur Verfügung und hat sich schon als Vorsitzender der WGIG Meriten erworben. Desai war es denn auch, der vergangene Woche in Genf mit Unterstützung des Schweizer Botschafters Markus Kummer, der das IGF-Sekretariat in Genf leitet, die zunächst sperrige Diskussion in der IGF-AG entschlackte und auf die mehr praktischen Punkte konzentrierte.
Herausgekommen ist bei der ersten IGF-AG Sitzung dabei nicht nur das oben beschriebene innovative Organisationsmodell, sondern auch eine Orientierung für die inhaltliche Diskussion. Demnach soll das Forum vier Schwerpunkte diskutieren. Sicherheit, Zugang, Vielfalt und Offenheit des Netzes. Kleinere Arbeitsgruppem der IFG-AG werden diesen Überschriften demnächst mit detaillierteren Unterthemen klarere Konturen geben. Zuvor aber hat man erst einmal die globale Internet-Gemeinschaft aufgefordert, bis zum 15. Juli 2006 präzisierende Vorschläge zu machen. Das Arrangement für Athen ist dann so, dass sich die einzelnen Themen durch alle vier Konferenztage ziehen, aber in unterschiedlichen Formen - als Plenarveranstaltung, Workshops oder Poster-Sessions - behandelt werden. Dazu soll es über eine verlängerte Mittagspause im Konferenzfoyer eine gigantische "Internet Plaza" geben, wo wie auf dem Areopag in Athen Hinz und Kunz miteinander ins Gespräch kommen sollen. Die griechischen Gastgeber rechnen im Moment mit 1.000 Teilnehmern, möglicherweise werden es noch mehr.
Das Bemerkenswerte an der Vorgehensweise ist, dass sich - bislang jedenfalls - das IGF trotz aller politischen Fuchteleien "von oben" langsam und kontinuierlich "von unten" entwickelt in einer offenen und transparenten Weise und unter fairen und gleichberechtigten Einschluss aller Stakeholder. Entsteht hier tatsächlich ein neuer innovativer Mechanismus für das internationale Management einer Globalressource des 21. Jahrhunderts?
Ob diese "Internet-Olympiade" funktioniert ist im Moment unklar. Die Sache verdient aber eine Chance. Im "Kalten Krieg" hieß es immer, lieber zehnmal verhandeln als einmal schießen. Das IGF folgt ein wenig dieser Philosophie. Solange alle Stakeholder miteinander reden, vermeiden sie jedenfalls für den Moment ein durchaus mögliches desaströses Kontroll- und Fragmentionsgemetzel, das das Internet in seine Einzelteile zerlegen und die ebenso universelle wie phantastische Option der freien Kommunikation von jedermann mit jedermann wieder verunmöglichen könnte. Also reden wir mal.
Wolfgang Kleinwächter ist Professor für internationale Kommunikationspolitik an der Universität Aarhus. Er war Mitglied der UN Working Group on Internet Governance (WGIG) und wurde jetzt vom Vorsitzenden des IGF, Nitin Desai, als dessen "Special Adviser" berufen. Der Artikel gibt seine persönlichen Ansichten wieder.