Kurzgeschorene Rasen müssen peinlich werden

Seite 2: "Gärten des Grauens"

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Schon vor Jahrzehnten gab es eine kleine Bewegung für Naturgärten, für den biologischen Anbau von Obst und Gemüse sowie "wilde Ecken" für eine bunte Fauna. Doch sie hat sich nicht durchgesetzt. Es dominiert allüberall der Wettstreit um das sterilste Terrain mit der Pflichtdisziplin "Englischer Rasen": kein Gänseblümchen darf sich breitmachen in diesen Bonsai-Getreidefeldern. Wer sich nicht freiwillig der Gartenzwergarmee anschließt, wird von den Nachbarn eingereiht.

Wer will sich bei dieser Bestandsaufnahme wundern, dass die Biodiversität dramatisch zurückgegangen ist? Wo und von was sollten denn Insekten leben, die Pflanzensamen verbreiten (Zoochorie) und Vögeln wie Kleinsäugern als Nahrung dienen? Der moderne Unverstand ökologischer Zusammenhänge zeigt sich beispielhaft an unserer Schmetterlingsfreude: Selbst im ein oder anderen Sterilgarten steht ein asiatischer Schmetterlingsstrauch (Buddleja davidii). Schmetterlinge sind allerdings die längste Zeit ihres Lebens Raupen, und als diese werden sie tatkräftig bekämpft, am effektivsten, indem Falter in unseren durchgekärcherten Gärten einfach keine geeigneten Futterpflanzen mehr finden, an denen sie ihre Eier ablegen könnten.

Es sind erstaunlicher- bis peinlicherweise vor allem Behörden, die sich effektiv für Biodiversität stark machen und der Natur wieder etwas mehr Gestaltungsraum zugestehen. Nicht nur die Naturschutzabteilungen, die oft genug eher Museen betreiben ("berühren verboten") anstatt die Natur machen zu lassen, vor allem die klassischen Garten- und Grünflächenämter, welche sich nicht zuletzt vom Klimawandel genötigt sehen, ökologisch wertlose Zierde gegen wild Wachsendes zu tauschen. Beispiel Eckernförde: Wiesen dürfen wachsen, Rabatten werden mit ausdauernden, einheimischen Pflanzen besetzt, pflegeintensive Rosenbeete wurden durch "Blüten-Dünen mit Seegras-Unterlage" ersetzt - passend zum nahen Ostseestrand. Die Stadt Eckernförde ist Gründungsmitglied des Bündnisses für biologische Vielfalt mit derzeit 180 Mitgliedern - dreimal so viele wie bei der Gründung 2012.

Schulgelände mit Kurzrasen. Bild: T. Rieg

Jörg Sibbel, Bürgermeister von Eckernförde, ist Vorsitzender des Bündnisses, zu Fachfragen verweist er jedoch lieber an seinen Leiter der Abteilung Naturschutz und Landschaftsplanung im Bauamt, Michael Packschies. Der kennt die Diskrepanz zwischen behaupteter Naturliebe und tatsächlicher Naturakzeptanz aus seiner Arbeit nur zu gut: "Ohne begleitende Öffentlichkeitsarbeit hat Renaturierung wenig Erfolg", sagt er im Gespräch mit Telepolis. Es gebe zwar eine zunehmende Bereitschaft, der Natur Raum zu geben, "aber da ist natürlich auch die Fraktion der Schottergärten".

Die stolzen Gestalter solcher "Gärten des Grauens" (Bilder auf Facebook) sind konstitutionell wenig begeistert, wenn irgendwo eine Kuhblume oder gar eine Distel blüht. Packschies' Erfahrung: Das Zulassen natürlicher Vielfalt muss als gewollt erkennbar sein, es darf nicht nach Schlendrian ausschauen. Deshalb stellen viele Kommunen an nicht kurzgemähten Wiesen Schilder auf, die sagen: Es ist Absicht, dass hier "Wildblumen" blühen, es ist keine Sparmaßnahme.

Anders bei Privatgärten: Rein juristisch kann es da von Vorteil sein, gerade nicht von aktiv befördertem Wildwuchs zu sprechen. Michael Packschies nennt ein Beispiel: Als sich Nachbarn beschwerten, auf einem Grundstück in der Gemeinde nähmen die Ahornbäume überhand und stünden zu dicht an ihrem Zaun, konnte der Eigentümer erfolgreich darauf verweisen, er habe diese nicht gepflanzt, sie hätten sich vielmehr selbst ausgesät. Denn das Nachbarrechtsgesetz spricht mit all seinen normierten Mindestabständen für Bäume und Sträucher von "Anpflanzungen". Wer nicht pflanzt, sondern nur zulässt, kann zumindest nach dieser oft angeführten Bestimmung nicht zur Naturvernichtung gezwungen werden. Ebenso sei es eine Mär, Rasen müssten vom Gesetz her kurzgeschoren werden, um die Nachbarn vor Samenflug höher gewachsener Gräser und Kräuter zu bewahren.

Rasen kurz, Laub weg

Kurz gehaltener Rasen ist nur dort sinnvoll, wo er stark vom Menschen strapaziert werden soll, etwa als explizite und viel genutzte Liegewiese. (Wobei die Alten zu berichten wissen, dass in ihrer Jugend Bienenstiche zum Freibadbesuch dazugehörten, weil es einfach gar keine Kapazitäten gab, die Wiesen so kurz zu halten, dass keine Kleeblüten mit Nektar locken konnten.) Ansonsten aber bilden sich Pflanzengesellschaften heraus, die mit den Gegebenheiten zurechtkommen - und weisen in jedem Fall mehr Biodiversität auf als der Englische Rasen. Selbst der nur zeitweise Verzicht auf den Schnitt erhöht schon den ökologischen Wert. Es ist mehr als unsinnig, etwa die Grünflächen von Schulen während der Sommerferien zu mähen, anstatt hier mindestens zwei Monate zu pausieren.

Bild: T. Rieg

Ein anderer nicht zu unterschätzender Beitrag für die Lebensräume Garten und Park ist der Verzicht aufs herbstliche Laubrechen, Wege ausgenommen. Doch noch gehört es zum amtlichen Ordnungsverständnis, verwelkte Blätter und abgebrochene Äste noch unter dem letzten Busch hervorzuholen und als Sondermüll zu deponieren.

"Deutschen Erdgarten" nennt die Biologin Ulrike Aufderheide das überkommene Konzept, alles zu beseitigen, was man nicht selbst gepflanzt hat. Die Autorin zahlreicher Ratgeber für Naturgärten wirbt im Gespräch mit Telepolis auch dafür, Totholz liegen zu lassen. Die Angst, von dem vermodernden Material könnten schädliche Pilze auf Büsche und Bäume übergehen, sei fast immer unbegründet. "Es sei denn, man hat exotische Pflanzen, die sehr empfindlich sind, oder geschwächte Pflanzen, zum Beispiel weil man sie stark beschnitten hat, was natürlich große Wunden hinterlässt und damit Angriffsfläche für Pilze."

Zur "Biologische Vielfalt in Kommunen" haben sich bereits vor neun Jahren 268 Städte und Gemeinden in einer Deklaration verpflichtet. Wiesen wachsen, Laub und Geäst liegen zu lassen, das sind zwei sehr einfache Hilfen für die biologische Vielfalt. Allerdings kann etwas mehr Naturraum nicht kompensieren, wenn die freie Natur immer weiter in kleine Reservate zurückgedrängt wird. Die Deklaration von 2010 spricht diesen besonders heiklen Punkt an: die Begrenzung des Siedlungswachstums. Derzeit werden jeden Tag 62 Hektar Land neu bebaut - ein Ende des Flächenfraßes ist weder in Sicht noch theoretisch geplant.

"Wir haben ja in Deutschland nicht plötzlich eine Wohnungsnot - wir bewohnen nur alle immer mehr Fläche", sagt der Diplom-Geograf Michael Packschies und bestätigt den Blick aus dem Zugfenster.