Lässt sich wissenschaftliche Leistung messen?

Wer zitiert wird, liegt vorne - in den USA berechnet man Forschungsleistung nach einem Zitat-Index

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In der Schule war alles noch ganz einfach: Worauf es ankam, stand meist unter der Klassenarbeit. Das Schulleben spielte sich ab zwischen 1 und 6. In der Wissenschaft ist die Bewertung von Forschungsergebnissen jedoch ungleich schwieriger. Denn wer versteht schon noch den Formelsalat etwa der Profi-Mathematiker? Aus diesem Grund war es bislang unerlässlich, dem Urteil eines Fachkollegen zu vertrauen, wenn es um die Vergabe von Drittmitteln oder die Genehmigung von neuen Forschungszweigen ging.

Doch je knapper das Geld in den öffentlichen Kassen wird, desto lauter rufen Politik und Medien nach Kriterien, die auch für Außenstehende verständlich sind. Die "Verkaufszahlen" werden für die Wissenschaft immer wichtiger. Und das sind in der Forschung die Erwähnungen eines Autors in anderen Fachpublikationen. Frei nach dem Motto: Wenn der Kollege abschreibt, kann es ja nicht schlecht sein. Es geht also um den Bekanntheitsgrad oder die Aufmerksamkeitsquote, die jemand erzielt. Der Fachbegriff allerdings lautet Bibliometrie. Der internationale Standard ist der Science Citation Index (SCI), erstellt vom US-amerikanischen Institute for Scientific Information (ISI) in Philadelphia. Ursprünglich ein Hilfsmittel zur Bewältigung der Informationsflut, ist der SCI heute das bekannteste Werkzeug für die Evaluierung von Forschungsleistungen. Doch nicht alle Wissenschaftler sind damit glücklich - der Wettbewerb unter den Forschern steht, zumal in Deutschland, noch am Anfang.

"Die Bewertung von Forschungsergebnissen sollte in erster Linie immer inhaltlich-qualitativ vorgenommen werden", meint Matthias Winterhager vom Institut für Wissenschafts- und Technikforschung an der Universität Bielefeld. "Aber die Bibliometrie kann eine Informationsquelle sein, die wichtige Aspekte unabhängig vom subjektiven Urteil einzelner Experten aufdeckt."

Wonach alle Wissenschaftler in der Bibliometrie streben, ist eine möglichst hohe "Zitatrate". Die wird in der Datenbank des SCI ermittelt, in der rund eine Million Dokumente erfasst sind. Der SCI wurde 1963 von Eugene Garfield gegründet. 1973 kam der Social Science Index (SSCI) und 1978 der Arts and Humanities Citation Index (A&HCI) dazu. Zur Erstellung werden zurzeit insgesamt 8000 internationale Fachzeitschriften ausgewertet. Für die naturwissenschaftlichen Disziplinen einschließlich Medizin sind es rund 5300 Zeitschriften mit jährlich rund 650 000 Artikeln und über 12 Millionen Zitaten. Diese Auswahl umfasst zwar nur etwa 10 Prozent der gegenwärtig weltweit erscheinenden wissenschaftlichen Zeitschriften. Doch das ISI weist darauf hin, dass dennoch mehr als 90 Prozent aller Zitierungen erfasst werden.

Das aktuelle Zitatniveau von Deutschland ergibt ein uneinheitliches Bild. Zwischen 1995 und 1999 hat das ISI 293 469 Publikationen aufgenommen, in denen mindestens ein Autor zitiert wurde. Von diesen Artikeln erreichen Beiträge zur Astrophysik die höchste Zitatrate, gefolgt von Artikeln aus der Physik und Chemie. Vor allem in diesen drei Forschungsbereichen liegen die deutschen Ergebnisse laut SCI deutlich über dem Weltdurchschnitt. Auffällig ist, dass jedoch gerade die Umweltforschung nicht im oberen Drittel vertreten ist, und die Pädagogik sogar eine Zitatrate aufweist, die dramatisch unter dem Weltdurchschnitt liegt.

Eine Frage bleibt jedoch: Sagt die Zahl der Zitationen tatsächlich etwas über die Qualität der Forschung aus? "Jein, ziemlich wenig", meint Prof. Heinrich Kuhn von der Ludwig-Maximilians-Universität in München, "es gibt wohl auf allen Gebieten Gelehrte, die sehr wenig veröffentlichen, bei denen aber unter den veröffentlichten Arbeiten einige von höchster Qualität sind."

Tatsächlich ist es wichtig, bei der Bewertung von Forschung andere Faktoren wie etwa das Einwerben von Drittmitteln, Forschungspreise, Ehrungen oder Patente zu berücksichtigen. Die absolute Zahl der Zitierungen pro Publikation eines Autors sagt für sich genommen nämlich wenig. Vielleicht ist die Publikation ja von Fachkollegen nur besonders oft verrissen worden. Außerdem besteht die Gefahr, dass junge Disziplinen im Anfangsstadium unterbewertet werden. Forschung weitab vom wissenschaftlichen Hauptfeld gedeiht nur langsam und wird nicht so schnell mit hohen Zitierraten belohnt. Außerdem besteht die Versuchung, dass sich Wissenschaftler selbst zitieren oder "Zitierkartelle" bilden, um gegenseitig ihre Zitierrate in die Höhe zu treiben.

Des weiteren erliegen Wissenschaftler oft der Gefahr, unter mehreren zitierfähigen Autoren denjenigen mit dem größten Prestige auszuwählen und diesen damit unverhältnismäßig zu begünstigen. Schließlich zitieren Forscher in der Regel Passagen von Kollegen mit der Absicht, die eigenen Ergebnisse zu bestätigen. Und deshalb werden solche bevorzugt, die mit der eigenen Meinung am meisten übereinstimmen. Zitierquoten messen also nicht unbedingt die Qualität von Forschung. Was gemessen und festgestellt werden kann, ist die Wirkung von publizierten Forschungsergebnissen auf andere Fachkollegen.

Der SCI kann eine Hilfe für die Evaluierung von Forschung darstellen. Der alleinige Gradmesser ist es allerdings nicht. Darüber sind sich die Wissenschaftler einig. Noten für die Forschung lassen sich eben noch schwerer objektiv verteilen als in der Schule.