Laschets alternative Fakten
Die Energie- und Klimawochenschau: Zunehmende Tendenz zu Extremwetter und die Frage nach mehr Klimaschutz in Deutschland
Die Hochwasserregionen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind glücklicherweise am Wochenende glimpflich davongekommen. Der Deutsche Wetterdienst hatte vor starken Gewittern gewarnt, aufgrund von gesättigten Böden und zerstörter oder blockierter Abflussmöglichkeiten könnten auch kleinere Regenmengen zu neuen Problemen führen. Dafür traf es einige Orte im benachbarten Belgien. Menschen kamen glücklicherweise nicht zu Schaden.
Im indischen Bundesstaat Maharashtra verursachte der Erdrutsche und Überschwemmungen, bei denen mindestens 159 Menschen ums Leben kamen. Ebenfalls aufgrund von Überschwemmungen mussten auf den Philippinen Zehntausende ihre Häuser verlassen. In der chinesischen Provinz Henan fiel zwischen dem 17. und 21. Juli so viel Regen, dass es der durchschnittlichen Jahresniederschlagsmenge entsprach.
In der Stadt Zhengzhou liefen U-Bahntunnel voll Wasser und Menschen ertranken in Zügen. Soweit ein Ausschnitt der Starkregenereignisse der letzten Woche. Die andere Seite der Klimakrise sind Waldbrände allerorten. So brennt es derzeit auf Sardinien, in Jakutien ist die Rauchbelastung so stark, dass sich Einwohner:innen der Region bei der Regierung beschweren und in New York herrscht wegen der Waldbrände im Westen des Kontinents Smog. Auch dies dürft eine unvollständige Zusammenstellung sein.
Eine Million Tote durch Extremwetter in 50 Jahren
Dürren, Stürme, Überschwemmungen und extreme Temperaturen haben in den letzten 50 Jahren über eine Million Menschenleben gekostet, geht aus einer Analyse der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) hervor. Überschwemmungen und Stürme richteten die höchsten ökonomischen Schäden an, wobei in Europa das Hochwasser von 2002 mit rund 14 Milliarden Euro das teuerste Schadensereignis war.
Beunruhigend ist vor allem die Bilanz der WMO, dass die Häufigkeit und Stärke von gefährlichen Wetterereignissen und damit verbundenen Überschwemmungen mit dem Klimawandel zunehmen. Aber zunehmend tragen auch Starkregenepisoden den Fußabdruck des Klimawandels.
Da sich die Atmosphäre erwärmt, speichert sie mehr Feuchtigkeit, was bedeutet, dass es bei Stürmen mehr regnet und "die Gefahr von Überschwemmungen steigt", sagt WMO-Generalsekretär Petteri Taalas.
Kein Land - ob Industrie- oder Entwicklungsland - ist immun. Der Klimawandel ist hier und jetzt. Es ist zwingend notwendig, mehr in die Anpassung an den Klimawandel zu investieren, und eine Möglichkeit, dies zu tun, ist die Stärkung von Multi-Risiko-Frühwarnsystemen.
Petteri Taalas, WMO-Generalsekretär
Auch wenn die Bilder der jüngsten Zerstörung durch die Wassermassen in Deutschland erschüttern - in Europa ist die Zahl der Hitzetoten bislang weit höher als die durch Stürme oder Überschwemmungen. In den Hitzewellen von 2003 und 2010 starben in Europa insgesamt 127.946 Menschen. Der "WMO Atlas of Mortality and Economic Losses from Weather, Climate and Water Extremes (1970-2019)", aus dem diese Zahlen stammen, soll vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September veröffentlicht werden.
Laschet, Merz und der Klimaschutz
In Deutschland sind Klimaschutz und -anpassung nach der Hochwasserkatastrophe nun doch noch zum Wahlkampfthema geworden, wenngleich bei der Sonntagsfrage noch immer ein leichtes Plus für CDU/CSU und ein leichtes Minus bei den Grünen zu verzeichnen war.
Der Spitzenkandidat der CDU/CSU und derzeitige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Armin Laschet laviert dabei einigermaßen herum, wenn er einerseits mehr Tempo beim Klimaschutz fordert und andererseits einen Politikwechsel angesichts eines Einzelereignisses, nämlich der Hochwasserkatastrophe, ablehnt.
Nach einem Sommerinterview beim ZDF am Sonntag werfen Umweltverbände Laschet vor, Falschinformationen zu verbreiten. Wörtlich sagt Laschet:
Wir haben eine Kohlekommission gehabt mit Wissenschaftlern, mit Greenpeace, mit dem BUND, mit Professor Schellnhuber (…) und die haben das Datum 2038 vorgeschlagen, weil sie die ökologischen, aber auch sozialen Fragen insbesondere in der Lausitz, im Osten Deutschlands im Blick haben.
Armin Laschet
CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet lügt oder ist falsch informiert, wenn er behauptet, BUND und Greenpeace hätten in der Kohlekommission 2038 für den Kohleausstieg vorgeschlagen. Ganz im Gegenteil: Wir haben immer klargemacht, dass ein so spätes Ausstiegsdatum für ernsthaften Klimaschutz viel zu spät ist und deshalb auch in einem Sondervotum einen Kohleausstieg bis spätestens 2030 gefordert. Dies ist öffentlich im Abschlussbericht der Kohlekommission nachzulesen
Olaf Bandt, BUND-Vorsitzender
Friedrich Merz, gescheiterter Kanzlerkandidat der CDU , spricht unterdessen im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland eine Wahrheit aus, die Klimaforschende sicherlich unterschreiben können, aber wohl kaum als Argument gegen mehr Klimaschutz anführen würden:
Wir dürfen auch nicht den Eindruck erwecken, als würde noch mehr Klimaschutz in Deutschland solche dramatischen Ereignisse gänzlich verhindern. Überflutungen wird es immer wieder geben, selbst wenn man sofort die kompletten Vorstellungen von Fridays for Future übernehmen würde.
Friedrich Merz
Die Vorstellung von Fridays for Future ist es übrigens, dass Deutschland seinen Beitrag zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels leisten soll, wozu es sich mit dem Klimaabkommen von Paris verpflichtet hat - und zwar unter Merz‘ Parteikollegin Angela Merkel.
Der Klimawissenschaftler Carl Schleussner erklärte auf der Pressekonferenz von Fridays for Future und Scientists for Future am Freitag:
Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob Klimaerwärmung zu Extremwettern beiträgt, sondern nur noch wie stark.
Carl Schleussner
Und dementsprechend auch, welches Ausmaß von Extremwettern in Zukunft noch kommen könnte, denn: "Die persönliche Erfahrung läuft den wahren Risiken des Klimawandels hinterher", so Schleussner.
Das Argument für mehr Klimaschutz ist leider nicht, dass damit Hochwasserkatastrophen wie die soeben erlebte gänzlich verhindert werden können, sondern dass dadurch vielleicht verhindert wird, dass es noch häufigere und schlimmere Katastrophen gibt. Denn Fakt ist: Heute ausgestoßenes Kohlendioxid in der Atmosphäre heizt das Klima noch in 1000 Jahren an, denn dann werden immer noch 15 bis 40 Prozent davon vorhanden sein.
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert, ebenfalls engagiert bei Scientists for Future, betonte, dass mit jedem heute für Klimaschutz investierten Euro in Zukunft 15 Euro für Klimaschäden gespart werden könnten. Fridays for Future-Sprecherin Annika Rittmann forderte von der künftigen Bundesregierung einen rechtzeitigen Kohleausstieg und stellte fest, dass derzeit keine Partei einen Plan für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels habe.
In den zerstörten Ortschaften stellten sich die Menschen zum Teil die Frage, ob es sich lohne, ihr Haus überhaupt wiederaufzubauen, berichtete ein weiterer Aktivist von Fridays for Future.
Ökologische Hochwasserprävention
Das ist in der Tat eine ziemlich komplexe Fragestellung, denn manche Grundstücke könnten einer neuen Risikobewertung womöglich nicht standhalten. Manche Orte könnten aber auch sicherer werden, wenn an anderer Stelle besserer Hochwasserschutz betrieben würde. Der BUND hat am vergangenen Donnerstag 16 Punkte für den Dürre- und Hochwasserschutz vorgelegt.
Beides müsse angesichts der extremen Dürre der letzten Sommer zusammengedacht werden, so Olaf Bandt. Dabei geht es zum Teil um altbekannte Forderung: Überflutungsflächen wie Flussauen müssten wiederhergestellt und in einen guten Zustand gebracht werden, die Flächenversiegelung gebremst werden.
Dies betreffe auch den Bau neuer Autobahnen. Bei der Ausweisung von Siedlungsflächen müsse eine neue Risikobewertung erfolgen, Städte sollten als Schwammstädte, die Wasser im Boden aufnehmen und speichern können konzipiert werden und in der Land- und Forstwirtschaft müsse der Bodenverdichtung entgegengewirkt werden.
Doch nochmal zurück zur Frage nach einem schnelleren Kohleausstieg und mehr Tempo beim Klimaschutz. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat berechnet, dass in Deutschland eine vollständige Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre möglich wäre.
Dabei geht es um weit mehr als die Stromversorgung bzw. weite Bereiche des Energiesystems würden dann elektrifiziert. Die Stromnachfrage würde sich von 500 Terawattstunden im Jahr 2018 mehr als verdoppeln.
Um dem Ziel einer Vollversorgung durch erneuerbare Energien schnell näher zu kommen, müssen EU-, Bundes- und Landesebene enger und koordinierter zusammenarbeiten. 100-Prozent-Erneuerbare-Szenarien sollten in die Planung des gesamten Energiesystems einbezogen werden, vor allem in die Netzplanung - sowohl für Deutschland als auch für Europa. (…) Auch der Netzentwicklungsplan in Deutschland basiert nach wie vor auf einem hohen Anteil fossiler Erdgasverstromung.
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
Die Einigung zwischen Deutschland und den USA, dass die Fertigstellung der Erdgaspipeline Nord Stream 2 nun nicht mehr behindert werden solle, ist in diesem Zusammenhang keine gute Nachricht. Mit der Erdgaspipeline wird erneut zum Erhalt des fossilen Energiesystems beigetragen. Das DIW hatte schon in einer früheren Studie dargelegt, dass mit Nord Stream 2 Überkapazitäten geschaffen würden.
Polizei stoppt Pilger:innen
Während der Katholik Armin Laschet Märchen über die Kohlekommission erzählen kann, wurde in seinem Bundesland eine Gruppe von Pilger:innen von der Polizei bedrängt, weil sie ein kapitalismuskritisches Zitat des Papstes vor sich hertrug.
Die Polizei Hamm stoppte die Gruppe, die auf dem "Kreuzweg für die Schöpfung" von Gorleben nach Garzweiler unterwegs ist und bei ihrem Kreuzweg auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam macht. Ein ausführlicher Bericht hier: Wie christenfreundlich ist die CDU?