Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke: Streit um den strahlenden Lösungsansatz

Pragmatismus oder "russisches Roulette mit der Sicherheit der Menschen"? Atomkraft bleibt umstritten. Symbolbild: slightly_different auf Pixabay (Public Domain)

Die "Ampel" muss erst einmal klären, welche Position "ideologisch" ist – die Deutsche Umwelthilfe droht bereits mit dem Gang vor Gericht.

Während die Debatte um eine Laufzeitverlängerung für die drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke die Ampel-Koalition im Bund entzweit, hält die Deutsche Umwelthilfe ein solches Vorhaben sogar für rechtswidrig und will gegebenenfalls dagegen klagen.

Am 31. Dezember dieses Jahres sollten die Kernkraftwerke Neckarwestheim II, Emsland und Isar 2 eigentlich vom Netz – so hat es der Bundestag im Juni 2011 mit großer Mehrheit beschlossen, nachdem wenige Monate zuvor die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima das Risiko verdeutlicht hatte. Den entsprechenden Gesetzentwurf zur Änderung des Atomgesetzes hatten die damaligen Regierungsfraktionen CDU/CSU und FDP eingebracht.

Im Zusammenhang mit dem russischen Angriff auf die Ukraine, dem Ärger über die langjährige Abhängigkeit von russischem Gas und den Schwierigkeiten bei der Beschaffung aus anderen Quellen wird nun aber auch und gerade von Politikern dieser Parteien der Atomausstieg in Frage gestellt.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert nannte Atomkraft am Dienstag im Deutschlandfunk eine "Augen-zu-und-durch-Technologie", die Befürwortern sicherer und günstiger erscheine, als sie tatsächlich sei. FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler hatte Gegnern längerer Laufzeiten vorgeworfen, diese aus "ideologischen" Gründen abzulehnen.

Weiterer Stresstest, um sich nichts nachsagen zu lassen

Kühnert betonte hingegen, der Atomausstieg sei eine völlig unideologische Entscheidung gewesen – auf Basis der Feststellung, dass es sich um eine Hochrisiko-Technologie handle; auch wenn Atomkraft "klimaneutraler" als Kohlekraft sei, wie er auf Nachfrage zugab. Die Frage der Endlagerung radioaktiver Abfälle sei nach wie vor nicht beantwortet, so Kühnert.

Trotzdem lasse die Bundesregierung nun erneut einen Stresstest durchführen, um die Sicherheit der Stromversorgung in Deutschland unter verschärften Bedingungen zu überprüfen – "weil wir uns nicht am Ende nachsagen lassen wollen, nicht alle Möglichkeiten in Erwägung gezogen zu haben, um die Versorgungssicherheit in Deutschland – und zwar von Industrie und Privathaushalten – sicherzustellen", sagte Kühnert.

Ein erster Stresstest hatte im Frühjahr ergeben, dass längere Laufzeiten der verbliebenen Kernkraftwerke dafür nicht benötigt würden. Allein der zweite Stresstest zeige schon, wie unideologisch die Bundesregierung das Thema angehe, betonte Kühnert.

Bei der FDP-Fraktion im Bundestag kam unterdessen die Idee von Unions-Fraktionsvize Jens Spahn (CDU), im Gegenzug für eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten in der Gaskrise die Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen zu unterstützen, eher schlecht an.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr hält nichts von einem solchen "Kuhhandel", wie er am Montag der Deutschen Presse-Agentur sagte. Es müsse alles getan werden, um die drohende Gaslücke zu schließen. Die Verlängerung der AKW-Laufzeiten könne dazu einen nennenswerten Beitrag leisten, das Tempolimit nicht.

"Kein Beitrag zur Energiesicherheit"

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und die Initiative ".ausgestrahlt" bestreiten das allerdings auch im Fall der drei Kernkraftwerke: Deren Weiterbetrieb sei ein "unkalkulierbares und vollkommen unnötiges Sicherheitsrisiko, das keinen Beitrag zur Energiesicherheit leisten würde", erklärten beide Organisationen am Dienstag. Bei einem Gasmangel lägen die Herausforderungen in der Industrie und der Wärmebereitstellung, nicht im Stromsektor.

Gleiches betonte die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Yasmin Fahimi: "Uns drohen keine Probleme bei der Stromerzeugung, sondern im Wärmemarkt", sagte sie den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft. "Da helfen Atomkraftwerke wenig." Bemerkenswert fand sie demnach, dass das Thema gerade in jenen Bundesländern hochkoche, "die die Energiewende weitgehend verschlafen haben". Dabei sei eine kurzfristige Laufzeitverlängerung selbst in Bayern technisch schwierig.

Die Deutsche Umwelthilfe warnt unterdessen eindringlich vor den Gefahren für Mensch und Natur:

Alle drei Atommeiler weisen erhebliche Sicherheitsmängel auf, die letzte Sicherheitsüberprüfung liegt 13 Jahre zurück. Ohne erneute Sicherheitsprüfung – die einige Zeit in Anspruch nehmen würde – wäre ein Weiterbetrieb aus Sicht von DUH und .ausgestrahlt ein Verstoß gegen den Grundrechteschutz. Außerdem sei eine Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig, da mit einem hohen Risiko für Mensch und Umwelt zu rechnen ist.


Deutsche Umwelthilfe (DUH) und .ausgestrahlt in einer gemeinsamen Pressemitteilung

Der Bundesgeschäftsführer der DUH, Sascha Müller-Kraenner, warf den Befürwortern der Laufzeitverlängerung am Dienstag vor, "russisches Roulette mit der Sicherheit der Menschen" zu spielen. "Sollte der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke über den 31. Dezember 2022 hinaus kommen, werden wir dies notfalls per Gericht stoppen", kündigte er an.

Bei den Grünen warb unterdessen Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer als erstes prominentes Parteimitglied offen für eine Laufzeitverlängerung. Diese könne zwar "das Gasproblem nicht lösen", sagte Palmer gegenüber dem Spiegel. "Aber für diesen Winter ist nebensächlich, womit wir Gas sparen – ob mit Kohle, Öl oder Atomkraft." Hauptsache, es komme "nicht zur Kernschmelze der Industrie", betonte Palmer.