Le Pen: Chancen vergeigt

Emmanuel Macron, Marine Le Pen. Bilder: Public Domain

TV-Duell mit Amtsinhaber Macron: Die Kandidatin bricht bei den Themen Putin, Kaufkraft und Windkraft ein

Ein Opfer jedenfalls forderte das mit einiger Spannung erwartete Fernsehduell des Stichwahlkandidaten und der Stichwahlkandidatin für die französische Präsidentschaftswahl am gestrigen Abend. Von punkt 21 Uhr bis um circa 23.45 Uhr debattierten Emmanuel Macron und Marine Le Pen unter der Moderation von Gilles Bouleau und Léa Salamé, zweier Prominenter des privaten respektive öffentlich-rechtlichen französischen Fernsehen.

Umfragen hatten zuvor ergeben, dass 25 Prozent der befragten Französinnen und Franzosen dem Ausgang des TV-Duells und dem Erscheinungsbild der beiden Debattierenden eine Bedeutung für ihre mögliche Wahlentscheidung zumaßen.

An den armen Übersetzer in Gebärdensprache dachten dabei zahlreiche User bei den neuen sozialen Medien, die Bildkommentare dazu verfassten und lostwitterten oder -posteten. Er war das Opfer schlechthin. Wie überträgt man die Metaphern, die vor allem Amtsinhaber und Kandidat Emmanuel Macron an vielen Stellen verwendete ("Die EU ist wie eine Eigentümergemeinschaft, und der Wohnungsbesitzer Frankreich entscheidet nicht allein, ob die Hausfassade erneuert wird") in Taubstummensprache?

Und, bitte, wie übersetzt man die Passage, in der Emmanuel Macron den Namen Gérard Majax nannte, in Anspielung auf einen in den 1980er Jahren durch TV-Auftritte prominenten Magier – sinngemäß, um seiner Herausforderin Le Pen dadurch haushaltspolitische Taschenspielertricks vorzuwerfen?

Klarer oder zumindest relativ klar scheint hingegen, wer bei der Debatte tendenziell gewonnen hat. Eine erste Umfrage des Instituts ELABE aus der Nacht hat ergeben, dass 59 Prozent der befragten Zuschauerinnen und Zuschauer unter dem Strich Macron als ihren Sieger betrachteten, und 39 Prozent Le Pen.

Dies deckt sich mit den Beobachtungen des Verfassers dieser Zeilen, der den argumentativen Schlagabtausch in voller Länge verfolgte. Allerdings handelte es sich nicht um einen K.o.-Sieg wie bei der letzten Debatte zwischen den beiden politischen Figuren am 03. Mai 2017, sondern um einen Punktesieg.

Im Vorfeld hatten viele Beobachter einen anderen Ausgang befürchtet oder, je nach Standpunkt, erhofft. Macron stand dieses Mal nicht nur als Kandidat da, sondern auch als Altpräsident, der für eine Bilanz geradezustehen hatte. Le Pen hatte fünf Jahre Zeit, um sich kompetent zu machen, und vermied es tatsächlich, in konkreten wirtschaftspolitischen Fragen ähnlich manifest unkundig zu erscheinen wie vor fünf Jahren.

Doch Emmanuel Macron hatte sich für den Angriff als die beste Verteidigung entschieden. Er hatte Le Pens Wahlvorschläge genau studiert und attackierte in offensiver Weise, doch dabei konstruktiv wirkend – er gab ihren Bemerkungen dort, wo es sich um Zustandsbeschreibungen von Problemen hielt, des Öfteren ostentativ Recht - und einen allzu aggressiven Eindruck vermeidend, die Inkohärenz ihres Programms.

Als erstes Thema war bei der Los-Ziehung der Fragen "die Kaufkraft" gezogen worden. Dabei hätte Marine Le Pen, so wurde meistens erwartet, punkten müssen, verschrieb sie doch ihren diesjährigen Wahlkampf zum Gutteil genau diesem Thema. Doch die rechtsextreme Bewerberin vergeigte ihre Chance.

Im Kern schlug sie etwas vor, was faktisch gar nicht so weit vom Vorhaben ihres nunmehrigen Stichwahlkonkurrenten entfernt liegt: Es ging dabei darum, die Kaufkraft der abhängig Beschäftigten zu erhöhen, ohne das Kapital stärker zu belasten.

Bei Macron soll dies dadurch bewirkt werden, dass er die für die Unternehmen steuer- und sozialabgabenbefreite Prämie, die er im Winter 2018/19 in Reaktion auf die "Gelbwesten"prämie einführte – 1.000 bis 2.000 Euro Jahresprämie, die die Unternehmen von ihren Abgaben abziehen können – verdreifachen möchte.

Le Pen hingegen schlägt vor, den Unternehmen durch angeblich mögliche gigantische Einsparungen durch das Abziehen der Kosten von "Immigration und Sozialbetrug" für die Sozialkassen finanzielle Spielräume zu verschaffen.

Im Kern gefällt dies auch den Rechten aller Couleur. Le Pens rechtsextremer Konkurrent Zemmour wollte gar bis zu einem Viertel des Jahresgehalts über solche de facto steuerfinanzierten Prämien ausschütten lassen.

"Le Pen entschied sich jedoch dafür, den amtierenden Präsidenten aufgrund des Zulagencharakters zu attackieren: "Wenn Sie einen Kredit für einen Wohnungskauf beantragen, dann interessiert der Bänker sich für die Höhe ihres [Grund-]Lohns, nicht für Zulagen, die nicht dauerhaft sein können."

Macron hatte dann leichtes Spiel, ihr zu erwidern: "Aber Ihre Versprechen betreffen auch Zulagen! Als Präsidentin legen Sie ja nicht die Löhne fest, das tut der Arbeitgeber. Sie begünstigen Zulagen." Darauf wusste die Kontrahentin in der Sache nichts mehr zu entgegnen.

Zu den internationalen Beziehungen führten zwar beide ihre Verurteilung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine aus. Macron erinnerte Le Pen jedoch wiederholt an ihre früheren, reichlich Putin-bewunderischen Positionen. Vor allem jedoch strich er den Kredit heraus, den Le Pen im Herbst 2014 (Macron legte das Datum fälschlich auf 2015), eingefädelt durch Wladimir Putin nahestehende Personen im russischen Machtgefüge, bei der First Czech Russian Bank über acht Millionen Euro erhielt und den ihre Partei bis heute abzahlt.

Die Punch-line, also der im allgemeinen Gedächtnis dazu haften bleibende Satz lautet: "Wenn Sie Putin treffen, dann treffen Sie nicht einen politischen Anführer wie andere auch – dann treffen Sie ihren Bankier." Das ist zwar inhaltlich vergröbernd, dürfte jedoch gut hängen bleiben.

In der Energiepolitik wollen beide die Atomkraft ausbauen: Macron gab im Februar dieses Jahres sechs Reaktoren vom Typ EPR in Auftrag, die angeblich – grau ist alle Theorie, wie das Fiasko des EPR-Baus im normannischen Flamanville belegt – bis 2035 fertig werden sollen. Le Pen will ihrer gar zwanzig bis im Jahr 2031 herstellen lassen, was wenig realistisch erscheint.

Doch bot sie ihrem Widersacher eine Angriffsfläche, weil in ihrem Programm auch die Demontage, der Abbau und die Zerstörung aller bestehenden Windkraft-Anlagen in Aussicht gestellt wird. Macron attackierte sie dafür: "Sie wollen bestehende Kapazitäten vom Netz nehmen, ohne dass die neuen fertig wären!" Auch an der Stelle geriet Le Pen in die Defensive.

Vor der Debatte stand Le Pen zuletzt bei gut 45 Prozent der Stimmabsichten gegenüber knapp 55 für Amtsinhaber Macron. Diese Proportion dürfte sich jedenfalls nicht zu ihren Gunsten verschoben haben.