Lebensmittel: Wie verbotene Pestizide in deutsche Supermärkte zurückkehren
Importprodukte enthalten Wirkstoffe, die in der EU nicht verkauft, aber hier produziert und exportiert werden dürfen. Ein Gesetzentwurf soll Einhalt gebieten. Warum er zu kurz greift.
Kürzlich ließ das Verbrauchermagazin Öko-Test Teeblätter von 24 Schwarztees auf Spuren von Pestiziden untersuchen. Darunter waren auch zehn Bio-Produkte. Ergebnis: Das beauftragte Labor fand insgesamt zwölf Spritzgifte. Sechs davon sind in Deutschland verboten oder nicht mehr zugelassen.
Fast alle Gifte wurden vom Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN) als "hochgefährlich" einstuft. Nur bei zwei der überprüften Schwarztees waren die Inhaltsstoffe einwandfrei, sodass diese mit "sehr gut" bewertet wurden. In einigen Fällen enthielt ein Produkt sogar sieben verschiedene Pestizide – darunter zwei, die in der EU im Anbau nicht zugelassen sind.
Namentlich waren dies der Schwarztee Cornwall Ceylon-Assam von Norma sowie die Westminster Schwarztee-Mischung von Aldi Nord. Beide wurden mit "ungenügend" benotet. Dieser enthielt einen zu hohen Gehalt an Chlorat. Wird über einen längeren Zeitraum und zu viel davon aufgenommen wird, kann der Wirkstoff die Aufnahme von Jod hemmen und die Schilddrüse schädigen.
Nachgewiesen wurden auch das Insektizid Clothianidin, das reproduktionstoxische Insektizid Thiacloprid, das ebenso wie das der als Akarizid verwendete Wirkstoff Propargit unter Verdacht steht, Krebs zu erregen. Darüber hinaus fand sich in den getesteten konventionellen Tees das umstrittene Herbizid Glyphosat, das im Teeanbau zumindest in Sri Lanka seit Jahren flächendeckend gespritzt wird, wie aus einem Bericht von Bayer hervorgeht.
Auch in einem Bio-Tee von dm wurde ein Pestizid gefunden – und zwar das Kontaktgift Dicofol gegen Spinnmilben. Das Gift steht auf einer Liste von international hoch geächteten persistenten Schadstoffen und ist in der EU im Anbau seit Jahren verboten. Allerdings war dies der einzige Bio-Tee mit Pestizidspuren.
Zwar nehmen Teetrinker vergleichsweise kleine Giftmengen auf. Allerdings ist die Wechselwirkung diverser Pestizidspuren bislang wenig erforscht. Giftiger als für EU-Konsumenten dürften die Giftstoffe für die Tee-Produzenten in Indien, Sri Lanka, Kenia oder Malawi sein, wo die Bauern die Pestizide häufig ganz ohne Schutzkleidung spritzen.
Die Folgen sind Vergiftungserscheinungen - oft mit tödlichem Ausgang. Ein weiterer Kritikpunkt sind die menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen viele der Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Plantagen arbeiten. So pflücken die Arbeiterinnen häufig im Akkord und bekommen am Ende des Tages oft so wenig Geld, dass sie noch nicht einmal die Kosten für Unterkunft und Lebensmittel zahlen können.
Auch in Zitrusfrüchten reisen verbotene Pestizide um die Welt
In einem anderen Fall fand Greenpeace verbotene Pestizide in Limetten: Dafür kauften Aktivisten zu Beginn dieses Jahres brasilianische Limetten in Supermärkten in acht EU-Ländern, die im Labor auf Pestizidbelastungen hin untersucht wurden. Das Labor fand Rückstände zahlreicher Pestizide, die in Europa hergestellt und nach Brasilien exportiert werden: ein Desinfektionsmittel, drei Herbizide, zehn Fungizide und 13 Insektizide nachgewiesen.
Insgesamt wurden 27 verschiedene Wirkstoffe gefunden. Sechs davon sind in der EU nicht zugelassen. Einer der gefundenen, in der EU verbotenen, Wirkstoffe ist Alpha-Cypermethrin, der sich – glaubt man der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit – negativ auf das menschliche Hormonsystem und die DNA auswirkt.
In Deutschland wurden die Limetten in Supermärkten und Großmärkten in Hamburg, Hannover, Köln, Leipzig und Stuttgart gekauft und in einem zertifizierten Labor getestet.
Ergebnis: Alle bis auf eine der 52 Proben enthielten Pestizidrückstände. Sechs der in den Limetten gefundenen Wirkstoffe sind in der EU entweder nicht zugelassen oder verboten. Mehr als 90 Prozent der Proben mit Rückständen wiesen einen Giftcocktail aus bis zu sieben verschiedenen Pestiziden auf. In einem Drittel der Proben fand sich das vermutlich krebserregende Herbizid Glyphosat.
Ein Drittel der nachgewiesenen Wirkstoffe findet sich auch in Pestiziden, die von BASF und Bayer in Brasilien verkauft werden. Auch ein Test an "bienenfreundlichen" Zierpflanzen des BUND ergab, dass diese mit gefährlichen Pestiziden ohne EU-Zulassung belastet waren. Diese Doppelstandards dürfen nicht weiter toleriert werden, erklärt BUND-Pestizidexpertin Corinna Hölzel. Der BUND fordert eine Reduktion von Pestiziden um mindestens die Hälfte bis 2030.
Deutschland ist Pestizid-Exportweltmeister
In Europa dürfen Stoffe, die als Gefahr für Umwelt und Gesundheit eingestuft wurden, weiter produziert und exportiert werden. Im Ausland werden sie weiter gespritzt und vergiften Bauern und Feldarbeiter. Das ist der eine Kritikpunkt. Der andere ist: Konsequenterweise müsste die EU den Import von Lebensmitteln verbieten, die mit exakt diesen Spritzgiften belastet sind.
Andernfalls kommen die gefährlichen Gifte immer wieder auf unsere Teller bzw. in unsere Tassen. In Import-Nahrungsmitteln wie Limetten, Mais, Soja und Mangos kommen die Gifte wieder in die EU zurück, kritisiert Lis Cunha, Expertin für Handel bei Greenpeace Deutschland. So hat sich der Export von 2021 zu 2022 sogar verdoppelt. Insgesamt 28 verbotene Stoffe wurden im vergangenen Jahr aus Deutschland zum Export angemeldet.
Nicht zugelassene Pestizide werden aber auch innerhalb der EU eingesetzt - nämlich bei sogenannten Notfallzulassungen. Obwohl der Europäische Gerichtshof diese als unzulässig einstuft, wurden seit Anfang des Jahres in 14 EU-Ländern insgesamt 29 solcher Ausnahmen gewährt.
In Brasilien erkranken Bauern häufiger an Parkinson
Im Fall der in den deutschen Supermärkten gefundenen Limetten lagen die Gifte zwar noch unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte. Solange diese bei den Produkten eingehalten würden, bestehe für deutsche Verbraucher keine Gefahr, erklärt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Ganz anders in Brasilien, wo die Ackergifte aus Deutschland aktiv auf die Felder gespritzt werden.
Als Folge davon treten im Land vermehrt Krankheiten auf, wie Greenpeace vor Ort dokumentierte. Auch Parkinson wird auf den intensiven Kontakt mit Pestiziden zurückgeführt. Allein in Brasilien bringen Wissenschaftler acht der zehn im Jahr 2019 mengenmäßig am meisten verkauften Pestizidwirkstoffe mit der Krankheit in Verbindung.
Ein anderes Beispiel ist Chlorpyrifos: Der Wirkstoff schädigt nachgewiesenermaßen die Gehirnentwicklung von Kindern. Doch in der EU verboten wurde der Stoff erst 2018, als die Gefahren nicht mehr verheimlicht werden konnten. In den Ländern des Globalen Südens allerdings wird es als Insektizid weiter massiv eingesetzt – mit verheerenden Folgen.
Gifte wandern nach Asien und Afrika
Neben den langfristigen Folgen kommt es auch zu akuten Pestizidvergiftungen, wie eine in PMC Public Health veröffentlichten Studie von 2020 dokumentiert. Demnach treten jährlich weltweit etwa 385 Millionen Fälle akuter Vergiftungen auf, darunter etwa 11.000 Todesfälle. Bei einer weltweiten landwirtschaftlichen Bevölkerung von etwa 860 Millionen bedeutet dies, dass nahezu die Hälfte der Landwirte bzw. Landarbeiter jedes Jahr durch Pestizide vergiftet werden.
Die meisten Fälle ereignen sich in Südasien, gefolgt von Südostasien und Ostafrika. Bereits im Jahr 1990 hatte eine Arbeitsgruppe der WHO die Zahl jährlicher unbeabsichtigter Pestizidvergiftungen auf etwa eine Million geschätzt, mit 20.000 Todesfällen in Folge. Seither sind die Pestizideinsätze weltweit deutlich gestiegen. Auch Partnerorganisationen von Misereor dokumentierten weltweit Fälle eklatanter Häufungen von schweren Erkrankungen und Todesfällen in Gegenden mit hohem Pestizideinsatz, vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika.
Vor diesem Hintergrund ließ PAN Germany gemeinsam mit dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), der Heinrich-Böll-Stiftung, des INKOTA-Netzwerks und der Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Rechtsgutachten zur Umsetzung eines Ausfuhrverbots für gefährliche Pestizide aus Deutschland erstellen.
Lückenhafter Verbotsentwurf löst nicht das Problem mit den Giften
Bereits vor einem Jahr versprach das Bundeslandwirtschaftsministerium, einen Entwurf über ein Exportverbot für gesundheitsschädliche Pestizide auf den Weg zu bringen. Auch ein EU-weites Exportverbot wurde versprochen. Ende Juni schließlich wurde ein Verordnungsentwurf für ein beschränktes Exportverbot für 180 in der EU verbotene Pestizide vorgelegt.
Allerdings fehlen auf der Verbotsliste wichtige gesundheitsschädliche Stoffe, wie zum Beispiel das bienentoxische Imidacloprid und Fungizid Iprodione, das in das Hormonsystem des Menschen eingreift, kritisieren Pestizid-Experten.
Generell sei das Problem, dass der Entwurf lediglich den Export von fertigen Pflanzenschutz-Produkten verbietet. Die giftigen Grundsubstanzen jedoch dürfen weiter exportiert werden. Auch sind der Export von hochgiftigen umweltschädlichen Stoffen - bis auf wenige Ausnahmen - vom Verbot ausgenommen - egal ob als Grundsubstanz oder als fertiges Produkt.
Damit bietet die Verordnung Bayer, BASF, Syngenta und anderen Pestizid-Herstellern riesige Schlupflöcher, um die Pestizid-Ausgangsstoffe zu exportieren: Aus diesen Stoffen können dann außerhalb der EU die fertigen Pestizid-Produkte hergestellt und profitabel verkauft werden.
Handel ohne Doppelmoral erfordert Stopp des EU-Mercosur-Abkommens
Die Ergebnisse der erwähnten Limetten-Studie sind ein weiterer Beweis dafür, dass giftige Substanzen, von denen einige in der EU nicht zugelassen sind, nach Brasilien exportiert und in Form von Rückständen auf Lebensmitteln zurück nach Europa gelangen. Dies geschieht bereits ohne das Freihandelsabkommen, mit dem EU-Mercosur-Abkommen werden derartige Lieferketten zunehmen. Das EU-Mercosur-Abkommen wird die gefährlichen Chemikalien vervielfachen und den Giftkreislauf verstärken, warnt Greepeace-Handelsexpertin Lis Cunha.
Laut Greenpeace werden derzeit auf EU-Pestizidexporte in die Mercosur-Region Zölle von bis zu 14 Prozent erhoben. Das Handelsabkommen Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay würde die Zölle auf mehr als 90 Prozent der EU-Chemikalienexporte, einschließlich Pestiziden, abschaffen. Somit kann die Pestizid-Industrie mit höheren Absatzmengen zu zollfreien Preisen rechnen.
Außerdem würden die Einfuhrkontrollen abgebaut. Die Exporteure könnten sich selbst bescheinigen, dass sie die EU-Richtlinien in Bezug auf Rückstände von Pestiziden einhalten. Kein Wunder also, dass Chemiegiganten wie BASF und Bayer sehr an der Umsetzung des geplanten Abkommen interessiert sind.
Zudem wird sich nicht nur die Menge der eingesetzten Pestizide, sondern auch die Menge der in der EU verkauften pestizidbelasteten Produkte erhöhen. Der gesteigerte Handel mit Pestiziden, aber auch mit Rindfleisch, Autos und andern Konsumgütern würden Klima- und Umweltkrise noch weiter verschärfen, kritisiert die Umweltorganisation. In der Konsequenz muss das Abkommen gestoppt werden.