Lebensmittelpreise: Hoffnungsschimmer für die Tafeln
Für Händler soll es steuerlich günstiger werden, abgelaufene Produkte für Bedürftige zu spenden, stellt Agrarminister Özdemir in Aussicht
Seit ihrer Gründung im Jahr 1993 gehören die Tafeln zum Leben vieler Menschen. Rentnerinnen, Hartz-IV-Bezieher, Flüchtlinge – ja, auch Studenten gehören zu ihren "Kunden". Sie alle eint, dass sie nicht genug Geld zur Verfügung haben, um einen Monat über die Runden zu kommen. Ohne die Tafeln sähe es für diese Menschen schlecht aus – und steigende Preise auf Lebensmittel setzen sie weiter unter Druck.
Die Diskussion über "Ramschpreise für Lebensmittel" hatte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir angestoßen. Lebensmittel müssten teurer werden, erklärte der Grünen-Politiker, da ansonsten Bauernhöfe in den Ruin getrieben und sowohl Klima als auch Umwelt zu stark belastet würden. Zwar sollten Lebensmittel kein Luxusgut werden, doch sollten die Preise "die ökologische Wahrheit stärker ausdrücken".
Arme Menschen dürften sich dann (gesunde) Lebensmittel noch weniger leisten können. Damit sie aber nicht ganz auf der Strecke bleiben, will Özdemir die Rolle von Einrichtungen wie den Tafeln stärken. Denn er will es dem Handel erleichtern, ihnen unverkaufte Lebensmittel zu spenden. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) sagte er, die sehr komplizierten rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen dafür sollten gelockert werden.
"Schon ziemlich absurd"
"Gerade im Handel geht es um die Erleichterung von Spenden, damit nicht mehr so viel weggeworfen wird." Bislang sei es für die Händler steuerlich günstiger, Lebensmittel wegzuwerfen, statt sie zu spenden. Özdemir räumte zudem ein, dass die Strafbarkeit des "Containerns", also der eigenmächtigen "Rettung" weggeworfener Lebensmittel aus den Mülltonnen von Supermärkten "schon ziemlich absurd" sei.
Die Lebensmittelpreise im Handel könnten in absehbarer Zeit aber auch ohne das Zutun von Özdemir steigen. Denn im Hintergrund tobt ein Preiskampf zwischen Lebensmittelhändlern und Produzenten. Wie das Handelsblatt berichtet, wollen einige Hersteller Aufschläge auf die Preise im zweistelligen Prozentbereich durchsetzen – und sie gingen dabei mitunter mit rabiaten Methoden vor.
So habe ein Edeka-Sprecher erklärt: "Die marktbeherrschenden Hersteller konfrontieren uns verstärkt mit Forderungen nach Preiserhöhungen, und als Druckmittel setzen sie teilweise auch Lieferstopps ein". Auch Rewe-Chef Lionel Souque erklärte demnach, es habe noch nie so viele Forderungen nach Preiserhöhungen von der Industrie gegeben.
Und nur zum Teil ließen sie sich mit gestiegenen Kosten rechtfertigen. Es gebe aber auch multinationale Konzerne, die einerseits prahlten, wie stark sie ihre Kosten senken konnten, aber dennoch versuchen würden, die Preise nach oben zu treiben.
Wie viel Wahrheit und wie viel Propaganda in diesen Aussagen liegen, lässt sich nicht abschließend klären. Dagegen haben die Entwicklungen in den letzten Monaten gezeigt, dass Klimawandel und Corona-Pandemie zu den Preistreibern gezählt werden müssen.
Der Focus hatte schon im November von zwei Trends berichtet, die für die stark steigenden Preise verantwortlich seien: Einmal sei in vielen landwirtschaftlichen Bereichen weniger produziert worden. In Malaysia hätten demnach Arbeitskräfte bei den Palmöl-Produzenten gefehlt. Gleichzeitig sei die Nachfrage gestiegen.
Ernteverluste durch Extremwetterlagen
Naturkatastrophen und Extremwetterlagen hätten aber auch ihren Anteil. So wurden etwa brasilianische Kaffee- und Orangenplantagen im Frühjahr und im Sommer erst von Dürre, dann von Frost heimgesucht. Trockenheit minderte auch Ernten in den USA und Kanada, während China von Hochwasser betroffen war.
Für Zucker seien die Preise deshalb um 40 Prozent gestiegen. Bei verschiedenen Getreidearten stiegen die Preise um 25 Prozent, genauso bei Fleisch. Und Milchprodukte verteuerten sich um 22 Prozent. Wie das Handelsblatt weiter berichtet, sind auch die Transportkosten in die Höhe geschnellt.
Dirk Van de Put, Chef des US-Lebensmittelkonzerns Mondelez, habe demnach moniert: "Überall fehlt es an Lastwagen und Lkw-Fahrern". In Europa hätten sich die Transportkosten um 20 bis 30 Prozent verteuert und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen.
Diese Trends und Entwicklungen könnten für mehr als elf Millionen Menschen in Deutschland bedeuten, dass sie in diesem Jahr noch weniger Lebensmittel von ihren kärglichen Einkommen und Regelsätzen kaufen können. Denn so viele Menschen leben in Deutschland auf Hartz-IV-Niveau oder darunter, erklärte die Armutsforscherin Irene Becker in einem Interview.
Nur 156 Euro sind im Regelbedarf der Grundsicherung für einen Erwachsenen pro Monat für Lebensmittel und alkoholfreie Getränke vorgesehen. Laut Becker sei das etwa ein Viertel weniger als das, was in der Mitte der Gesellschaft für Ernährung ausgegeben werde.
Für Kinder schwanken die Beträge altersabhängig zwischen 94 und 166 Euro. Eine Familie mit zwei kleinen Kindern in einem Hartz-IV-Haushalt bekommt demnach 469 Euro im Monat für die Ernährung der gesamten Familie – also etwa 115 Euro pro Woche. Das ist nicht viel. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man von diesem Budget einfach zu Bio-Lebensmitteln greifen kann.
Armutsforscherin Irene Becker
Damit arme Menschen durch höhere Lebensmittelpreise nicht noch weiter ausgegrenzt werden, muss der Staat armen Menschen mehr Geld geben. Die Grundsicherung müsste angehoben werden, auch Wohngeld und der Mindestlohn. Auch Unterstützerinnen der Tafeln kritisieren zum Teil, dass in einem reichen Land überhaupt Menschen auf solche Einrichtungen angewiesen sind.