Essen retten oder verteuern? - Welten zwischen Grünen und Umweltbewegung
Der frisch gebackene grüne Landwirtschaftsminister will die Wertschätzung für Lebensmittel durch höhere Preise steigern. Wer deren Verschwendung eigenmächtig verhindert, macht sich strafbar
In Frankreich gibt es seit 2016 ein Gesetz, das Supermärkten verbietet, noch genießbare Lebensmittel einfach wegzuwerfen oder gar unbrauchbar zu machen. Die Betreiber von Märkten mit einer Ladenfläche von mehr als 400 Quadratmetern sind seither verpflichtet, unverkaufte Lebensmittel an örtliche Tafeln oder andere gemeinnützige Organisationen zu spenden. In Deutschland macht sich dagegen strafbar, wer nicht gespendete Lebensmittel aus den Mülltonnen von Supermärkten fischt, um sie selbst zu essen oder an Bedürftige zu verteilen. "Containern" gilt hierzulande als Diebstahl.
Während Aktive der Gruppierung "Aufstand der letzten Generation" sich dabei filmen lassen, um die Debatte über ein deutsches "Essen-Retten-Gesetz" als soziale Klimaschutzmaßnahme anzustoßen, hat der frisch gebackene grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir andere Pläne und Prioritäten: Essen muss aus seiner Sicht erst mal teurer werden, damit es wertgeschätzt wird.
Mehr Wertschätzung für Autos?
Der Bild am Sonntag sagte er, es dürfe "keine Ramschpreise für Lebensmittel mehr geben, sie treiben Bauernhöfe in den Ruin, verhindern mehr Tierwohl, befördern das Artensterben und belasten das Klima". Lebensmittel dürften zwar kein Luxusgut werden, doch der Preis müsse "die ökologische Wahrheit stärker ausdrücken". Er wünsche sich, dass die Menschen in Deutschland ihre Lebensmittel genauso wertschätzten wie ihre Autos. "Manchmal habe ich das Gefühl, ein gutes Motoröl ist uns wichtiger als ein gutes Salatöl", so Özdemir.
Kritisiert werden seine Aussagen vor allem deshalb, weil er scheinbar nur an diejenigen dachte, die sich immerhin ein Auto leisten können – und weil die "Ampel"-Regierung bisher keine deutliche Erhöhung der Regelsätze bei Sozialleistungen plant, die demnächst "Bürgergeld" heißen sollen.
"Es geht nur ökosozial, sonst verliert man die Unterstützung der Bevölkerung", sagte Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider der Welt vom Montag. Entsprechende Preissteigerungen müssten "zwingend mit einer deutlichen Erhöhung der Regelsätze einhergehen".
Zwei Studentinnen sind im Jahr 2020 mit einer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gescheitert, nachdem das Amtsgericht Fürstenfeldbruck sie im Vorjahr zu einer Geldstrafe wegen "Containerns" verurteilt hatte. Das oberste deutsche Gericht verwies allerdings auf die Gesetzgebung, deren Sache es sei, "den Bereich strafbaren Handelns verbindlich festzulegen". Das Gericht könne "diese Entscheidung nicht darauf prüfen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat".
Die als "Caro und Franzi" bekannten Studentinnen wollten durch ihre "Container"-Aktion nicht nur Geld sparen, sondern auch aus ökologischen Gründen gegen Lebensmittelverschwendung vorgehen. Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. hatte ihre Verfassungsbeschwerde unterstützt, weil Strafrecht "der Ahndung von sozialschädlichem Verhalten" diene – Lebensmittelverschwendung zu verhindern, sei aber in Zeiten absehbarer Ressourcenknappheit gesellschaftlich wünschenswert.
Wie viele Menschen noch wegen solcher Aktionen strafrechtlich verfolgt werden, bis gesetzgeberisch Abhilfe geschaffen wird, bleibt abzuwarten. Im Koalitionsvertrag der "Ampel"-Bundesregierung findet sich nur das Versprechen: "Wir werden gemeinsam mit allen Beteiligten die Lebensmittelverschwendung verbindlich branchenspezifisch reduzieren, haftungsrechtliche Fragen klären und steuerrechtliche Erleichterung für Spenden ermöglichen."
Hinter Özdemirs Vorstoß stellte sich am Montag der Deutschen Tierschutzbund, der allerdings nicht von pflanzlichen Lebensmitteln wie Salatöl sprach, sondern konkret von einer Tierwohlabgabe auf Fleisch, Milch und Eier. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass dies alleine nicht reichen werde, erklärte der Präsident des Tierschutzbunds, Thomas Schröder.
Gesetzentwurf von German Zero
Der Staat müsse die Transformation mit zusätzlichen Fördergeldern anschieben und einen stabilen Rahmen schaffen, indem die Tierschutzvorgaben im Ordnungsrecht angehoben und Gesetzeslücken geschlossen würden. Der freie Markt werde es alleine nicht schaffen. Am Ende müsse es aus Tier-, Klima- und Umweltschutzgründen auch darum gehen, Tierbestände zu reduzieren und das Angebot pflanzlicher Alternativen weiter auszubauen, forderte Schröder.
Letzteres findet sicherlich in der aktiven Umweltbewegung breite Zustimmung. Von den Grünen und ihren Spitzenpolitikern trennen sie aber inzwischen Welten.
Das geforderte "Essen-Retten-Gesetz" und die Entkriminalisierung des Containerns seien einfache Maßnahmen, die sofort umgesetzt werden könnten, hieß es vergangene Woche in einer Presseeinladung zum "öffentlichen Containern" in Berlin. Einen entsprechenden Gesetzentwurf mit der Überschrift "Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen" hatte der Verein German Zero e. V. im Rahmen eines "1,5-Grad-Gesetzespakets" ausgearbeitet, das sich an den Pariser Klimaschutzzielen orientiert.
Etwa zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel landen jedes Jahr in Deutschland auf dem Müll, davon allerdings gut die Hälfte in Privathaushalten. Letzteres soll aber laut German Zero nicht wie bei Supermärkten durch Verbote reduziert werden. Vorgeschlagen werden stattdessen eine Form des Mindesthaltbarkeitsdatums und Aufklärungsmaßnahmen über dessen Indizwirkung.
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