Lebensmittelverschwendung: "Containern" bald straffrei, wenn Supermärkte mitspielen?
Özdemir und Buschmann schlagen vor: Wer Lebensmittel aus mehr oder weniger frei zugänglichen Mülltonnen nimmt, soll nicht mehr bestraft werden. Ein Problem bleibt die "Überwindung eines physischen Hindernisses".
Niemand will ernsthaft Lebensmittelverschwendung verteidigen. Nur kam die Gesetzgebung in Deutschland bisher diesbezüglich nicht aus dem Knick. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) konnte sich nun mit seinem für Justiz zuständigen Kabinettskollegen Marco Buschmann (FDP) auf einen nicht gerade revolutionären Vorstoß einigen, um – wenigstens teilweise – die "Rettung" weggeworfener Lebensmittel zu entkriminalisieren. Bisher kann es an sich schon als Diebstahl bestraft werden, solche aus den Mülltonnen von Discountern zu nehmen.
Beide Minister setzen sich nun dafür ein, "dass Strafverfahren wegen des sogenannten Containerns eingestellt werden sollten, wenn dies die Umstände im Einzelfall zulassen". In einem gemeinsamen Schreiben an die Justizressorts der Länder werben sie um Unterstützung für den Vorschlag des Bundeslandes Hamburg, der eine entsprechende Änderung der Richtlinien für Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) vorsieht.
"Wenn sich Menschen weggeworfene Lebensmittel mit nach Hause nehmen, ohne dabei eine Sachbeschädigung oder einen Hausfriedensbruch zu begehen, dann muss das nach meiner Meinung nicht weiter strafrechtlich verfolgt werden", erklärte Buschmann am Dienstag.
Märkte und Filialleiter entscheiden frei über Barrieren
Weiterhin bestraft werden soll das "Containern" demnach in Fällen, "bei denen auch ein Hausfriedensbruch vorliegt, der über die Überwindung eines physischen Hindernisses ohne Entfaltung eines wesentlichen Aufwands hinausgeht oder gleichzeitig den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllt."
Über eine Mauer zu klettern und weggeworfene Lebensmittel aus unverschlossenen Mülltonnen zu nehmen, bleibt demnach straffrei.
Eine wirksame Maßnahme gegen Lebensmittelverschwendung ist das alleine noch nicht, denn Supermarktketten und Filialleiter müssten dabei "mitspielen": Wenn sie sich entscheiden, um weggeworfene Lebensmittel weiterhin entsprechende Barrieren zu errichten, damit durch legales "Containern" keine Kaufkraft verloren geht, wäre es weiterhin illegal, sich Zugang zu verschaffen. Damit kann auch die FDP leben, deren Klientel nichts gegen freiwillige Charity hat.
Nach eigenen Worten sieht die Bundesregierung aber "das hohe Aufkommen von Lebensmittelabfällen und -verlusten" auch vor dem Hintergrund der Folgen für Klima, Umwelt und Biodiversität als "große gesellschaftliche Herausforderung".
Frankreich ist längst einen Schritt weiter
Der große Wurf ist die vorgeschlagene Änderung der Richtlinien für Straf- und Bußgeldverfahren vor diesem Hintergrund nicht. Beispielsweise in Frankreich gibt es seit Jahren ein Gesetz, dass die Supermärkte in die Pflicht nimmt.
Das seit 2016 im Nachbarland geltende Regelwerk verbietet den Märkten, unverkaufte Lebensmittel unbrauchbar zu machen und verpflichtet sie stattdessen, diese an soziale Einrichtungen zu spenden. 2018 wurde das Gesetz auf die gesamte Gastronomie ausgeweitet. Wer sich nicht daran hält, kann mit einer Strafe von bis zu 0,1 Prozent des Umsatzes – nicht nur des Gewinns – sanktioniert werden.