Lebensstil kann einen Unterschied bei der Lebenserwartung von mehr als 12 Jahren machen
Da in den USA kaum Präventivmedizin praktiziert werde, haben sich Wissenschaftler angeschaut, welche Lebensstil-Risiken zu einer verkürzten Lebenserwartung und zu einem vorzeitigen Tod beitragen
Verglichen mit anderen westlichen Staaten haben die Amerikaner eine niedrigere Lebenserwartung, allerdings nur geringfügig. So betrug die durchschnittliche geschätzte Lebenserwartung bei Geburt 2017 in Monaco 89,4 Jahre, in Japan 83,7 Jahre, in der Schweiz 82,6 Jahre oder im nur auf Platz 34 landenden Deutschland 80,8 Jahre. Die USA, eines der reichsten Länder der Erde und mit den höchsten Gesundheitskosten (17% vom BIP), landen mit 80 Jahren Lebenserwartung bei Geburt auf Platz 43.
Wissenschaftler von der Harvard University haben nun anhand von zwei Langzeitstudien, in denen mehr als 120.000 Amerikaner bis zu 34 Jahre beobachtet wurden, versucht herauszufinden, welche Lebensstil-Faktoren zur Lebenserwartung und zu einem vorzeitigen Tod beitragen. Während der Beobachtungszeit starben 42.167 Menschen. In ihrem Beitrag für die Zeitschrift Circulation weisen sie darauf hin, dass das Gesundheitssystem in den USA vorwiegend auf die Entwicklung von Medikamenten und die Behandlung von Krankheiten ausgerichtet sei, nicht aber auf Prävention. Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs seien die häufigsten und teuersten Erkrankungen, gleichzeitig würden hier Präventivmaßnahmen gut greifen.
Ausgewählt wurden 5 Faktoren für ein geringeres Gesundheitsrisiko: niemals geraucht zu haben, ein BMI zwischen 18,5 und 24,9 kg kg/m2 (Normalgewicht), über 30 Minuten mäßiger oder anstrengender körperlicher Aktivität täglich, mäßiger Alkoholkonsum und eine hochwertige Ernährung nach dem Alternate Healthy Eating Index. Die Verlässlichkeit der Untersuchung schränkt allerdings ein, dass die Angaben, abgesehen vom BMI, auf Berichte der Teilnehmer zurückgehen.
Erwartbar war, dass die Mortalität der Teilnehmer geringer und die Lebenserwartung höher ist, je mehr der 5 Faktoren für einen gesunden Lebensstil zutrafen. Menschen, die alle 5 Faktoren erfüllten, hatten im Alter von 50 Jahren noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von 43,1 Jahren (Frauen: 41,3-44,9, Männer: 35,8-39,4). Wer keine der Gesundheitsfaktoren beachtete, konnte hingegen nur mit weiteren 29 Jahren (Frauen: 28.3-29,8, Männer: 24,7-26,2) rechnen. Anders dargestellt: Wer in den 30 Jahren, die die Studie abdeckt, gesund gelebt hat, hat eine 82 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit, an einer Herzerkrankung zu sterben, und ein 65 Prozent geringeres Risiko, einem Krebs zu erliegen.
Wer nie geraucht hat, normalgewichtig ist, sich körperlich regelmäßig bewegt, sich gut ernährt und wenig Alkohol trinkt, kann, so die Wissenschaftler, also mit 12,2 zusätzlichen Jahren für Männer und 14 für Frauen rechnen. Wer vier der Regeln einhält, kann noch mit einer durchschnittlich 11,4 Jahren längeren Lebenserwartung rechnen. Was auch bedeutet, dass sich die Kluft zwischen Männern und Frauen bei der Lebenserwartung zumindest nicht durch die 5 Faktoren schließen lässt.
Aber nur 8 Prozent der untersuchten Population folgten den 5 Regeln der Lebensführung. Das wäre deutlich weniger als die 15 Prozent, die es noch 1988 waren. Die Wissenschaftler führen dies überwiegend auf die Zunahme des Übergewichts und der Fettleibigkeit sowie auf weniger körperliche Bewegung zurück. Allerdings ist in den letzten Jahrzehnten die Lebenserwartung weiter gestiegen, auch wenn neue Daten zeigen, dass der kontinuierliche Anstieg beendet sein könnte.
Der Unterschied wäre also gewaltig und abhängig davon, wie man lebt, nicht welche genetische Risiken der eigene Körper mit sich bringt. Das würde die Lebenserwartung noch stärker in die Selbstverantwortung rücken, auch wenn die Wissenschaftler darauf verweisen, dass ärmere Menschen eine geringere Lebenserwartung haben, was auch auf deren Umwelt (Arbeitsbedingungen, soziale Normen, Wohnungen/Häuser, Grünflächen/Parks, Luft/Lärm, Lebensmittelangebote etc.) zurückzuführen ist. So würden ärmere Menschen in relativ reichen Wohngegenden auch eine längere Lebenserwartung haben als Menschen derselben soziökonomischen Schicht, die in ärmeren Wohnvierteln leben.
Die Ergebnisse der Studie streichen, so Frank Hu, der leitende Autor, "die Bedeutung der Beachtung von Gewohnheiten eines gesunden Lebensstils zur Verbesserung des längeren Lebens der US-Bevölkerung" heraus. Das werde aber kaum gemacht, daher müsste mehr Nachdruck auf die Schaffung von gesunder Ernährung, gesunder gebauter Umwelt und gesunder sozialer Umwelten geachtet werden, um gesunde Ernährung und Lebensstile zu fördern.
Der Epidemiologe und Koautor Meir Stampfer greift erwartungsgemäß zum Aufruf zur individuellen Selbstverantwortung: "Ich denke, die Menschen müssen aufwachen und persönliche Verantwortung übernehmen, aber als Gesellschaft müssen wir es den Menschen einfacher machen, dies zu machen." Ganz abwegig ist offenbar, die gesellschaftlichen Bedingungen zu ändern, es geht nur um die Einzelnen, denen geholfen werden soll, aus ihrem selbstverantworteten Verhalten auszubrechen.