Leere Meere: Fischbestände am Limit
- Leere Meere: Fischbestände am Limit
- Welche Auswirkungen hat die Fischerei auf regionale biogeochemische Stoffkreisläufe?
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Weil in Nord- und Ostsee Fischbestände kollabieren, führt die EU endlich Fangmengenbegrenzungen ein. Die permanente Überfischung reduziert nicht nur Fischbestände, sie hat auch andere Konsequenzen
Klimawandel und jahrzehntelange Überfischung kommerziell genutzter Fischbestände haben das Vorkommen von Hering und Dorsch in der Ostsee extrem schrumpfen lassen. Für den Dorsch in der westlichen Ostsee sei der Punkt, ab dem keine Erholung mehr möglich ist, sogar bereits überschritten, erklären Wissenschaftler der Universitäten Hamburg, Kiel und Leipzig in einem im Juli 2021 veröffentlichten Report. Zumindest stehen die Chancen für seine Erholung schlecht.
Jahrelang wurden die Warnungen von Wissenschaftlern und Naturschutzorganisationen ignoriert. Der Fischereiindustrie, die stets auf kurzfristige Profite setzte, wurden keinerlei Grenzen gesetzt. Glaubt man dem Thünen-Institut, verhinderte im Fall des Dorsches ein institutioneller Konflikt zwischen Ministerrat und Europaparlament die Anpassung eines Managementplans über Jahre hinweg.
Die Fragen zur europäischen Einigung seien damals wichtiger gewesen als die Festsetzung nachhaltiger Fangmengen. Mit den schwindenden Fischpopulationen steht auch die Fischerei vor dem Kollaps. Um den Bestand in letzter Minute zu retten, rangen sich die EU-Agrarminister nun zu einem Verbot der Befischung des Dorsches in der westlichen Ostsee durch. Eine geringe Fangquote gibt es lediglich noch für Dorschbeifänge in der Schollenfischerei.
Ganz konkret fehlt es dem Dorsch an Nachwuchs. Bisher durften Jungfische bereits ab einer Größe von 38 Zentimeter gefangen und vermarktet werden, ohne sich vorher fortgepflanzt zu haben. Im Fokus der Fischerei stehen die erwachsenen 70 Zentimeter langen Dorsche. Erwachsene Tiere können bis zu einem Meter lang werden. In diesem Stadium legen die Tiere bis zu 20 Millionen Eier.
Wie Studien zeigen, haben die Nachkommen der großen Dorsche gegenüber dem Nachwuchs kleinerer Tiere deutlich höhere Überlebenschancen. Würde man für den Dorsch Schutzgebiete einrichten, so wie sie Greenpeace seit Jahren fordert, könnten die Fische ungestört laichen, dann würden sich die Bestände vielleicht innerhalb weniger Jahre wieder erholen.
Zwar gebe es seit 2008 so genannte Schutzgebiete, doch die seien nicht das Papier wert, auf dem sie stehen, kritisiert die Umweltorganisation, denn sie werden trotz allem weiter befischt. So versenkten Greenpeace-Aktivisten im Sommer 2020 Steine in den Schutzgebieten Adlergrund und Fehmarnbelt, um die Steinriffe effektiv vor der Grundschleppnetzfischerei zu schützen.
Auch der Klimawandel spielt eine Rolle beim Zusammenbruch der Dorschbestände. Auf Grund der Verschiebung der Jahreszeiten hat sich die Produktivität des Herings der westlichen Ostsee im Vergleich zu den 1990-er Jahren sogar halbiert. Dem im September 2021 veröffentlichten Copernicus Ocean State Report zufolge steigt der Pegel in der Ostsee seit 1993 jedes Jahr durchschnittlich um 4,5 Millimeter an. Zum Vergleich: Der Meeresspiegel der Ozeane weltweit steigt im Schnitt um 3,1 Millimeter.
Die Ostsee verzeichnet damit den weltweit höchsten Meeresspiegelanstieg . Zwar habe die Höhe des Meeresspiegels auf die Fischbestände des europäischen Binnenmeeres keinen erkennbaren Einfluss, betonen Experten, wohl aber auf die Fischerei, denn Fischerboote sind auf Häfen angewiesen.
Auch in der Nordsee sorgen Hitze- und Kältewellen für starke Schwankungen der Wassertemperatur. Das wirkt sich auf die Populationen und den Fang von Seezunge, Hummer, Seebarsch, Meerbarbe und Taschenkrebsen aus. Während einige von den höheren Wassertemperaturen profitieren, haben andere Arten darunter zu leiden.
Neue Fangquoten für Ostseefische
Im Fall des Ostdorsches hat die durch Überdüngung ausgelöste Sauerstoffarmut in der Tiefe eine größere Auswirkung auf die Bestände als deren Befischung. Dennoch darf nur ein Beifangmenge von 598 Tonnen befischt werden. Beim Dorsch der westlichen Ostsee erlaubt der Rat 490 Tonnen Beifangmenge in der Plattfischfischerei sowie ein Tagesfanglimit von einem Dorsch pro Tag und Angler.
Während der Schonzeit ist das Angeln ebenso verboten wie die Fischerei in Gebieten mit mehr als 20 Meter Wassertiefe. Werde das Fanglimit eingehalten, habe der Dorschbestand eine mehr als fünfzigprozentige Chance, sich langsam zu erholen, heißt es.
Sprottenfänger dürfen ab kommendem Jahr um 13 Prozent mehr Fisch fangen. Und während im Zentralen Becken der Ostsee 32 Prozent weniger Lachs gefischt werden darf, wurde die Quote für Lachs im Finnischen Meerbusen um sechs Prozent erhöht. Bei der Ostseescholle hingegen wurden die Fangmengen nur um 25 Prozent, anstatt - wie von der Wissenschaft vorgeschlagen - um 53 Prozent erhöht. Seit 2015 müssen per Gesetz alle Beifänge angelandet und gegen die Quoten angerechnet werden.
Ist die Höchstfangmenge ausgeschöpft, muss die Fischerei entsprechend beendet werden. Den Beständen der übrigen Plattfische gehe es derzeit gut.
Während die erlaubte Fangmenge für den Hering im Bottnischen Meerbusen um 72 Prozent und im Rigaer Meerbusen um 21 Prozent angehoben wurde, wurden die Fangmengen für Hering aus der Zentralen Ostsee um 45 Prozent gesenkt. Somit dürfen Fischer weniger Fischbiomasse entnehmen, als die Wissenschaft empfiehlt.
Was den Hering der westlichen Ostsee betrifft, so heißt es einerseits, er dürfe nur noch als Beifang gefangen werden. Andererseits ist die erlaubte Fangmenge von 788 Tonnen für die wenigen Fischereien, in denen Hering als Beifang vorkommt viel zu hoch, klagen die Fischer. Werde die niedrige Quote mit dem Dorsch im Beifang zu schnell erreicht, werde das Fischen schon im März beendet sein, kritisiert ein Fischer im Interwiev mit der ARD.
In der Stellnetzfischerei hingegen darf Hering ganz normal gefangen werden. Gemäß den Empfehlungen der Wissenschaftler wurden die Fangmengen von 2017 bis 2021 allein um 94 Prozent reduziert, für 2022 sind weitere 50 Prozent vorgesehen. Doch während der relative Anteil der deutschen Fischerei an den Fängen aus diesem Bestand über Jahre immer kleiner wird, wird der der für skandinavische Fischer erlaubte Anteil immer größer. Für eine faire Verteilung müssten die Fangmengen im Norden um mindestens 93 Prozent gesenkt werden.
Bei den aktuell beschlossenen Fangmengen habe der Heringsbestand keine Chance auf Erholung, schätzen die Autoren des Thünen-Instituts. Denn die Summe der Fänge aus beiden Gebieten sei immer noch dreimal höher als angemessen. Während den deutschen Küstenfischern die Lebensgrundlage entzogen werde, profitierten dänische, schwedische und norwegische Fischer. Besonders hart trifft es die kleine, handwerkliche Küstenfischerei - und das, obwohl diese kaum zum Rückgang der Fischbestände beigetragen habe.
Weniger Fischkot bindet weniger Kohlenstoff am Meeresboden
Die industrialisierte Fischerei reduziert nicht nur die Bestände, sie wirkt sich auch auf klimarelevante Kohlenstoffkreisläufe in den Meeren und auf die Verfügbarkeit von Sauerstoff aus. So werden mit dem Kot der Fische täglich immense Mengen an Kohlenstoff in bis zu tausend Meter Tiefe transportiert und für Hunderte Jahre am Meeresgrund gespeichert.
Über eine komplexe biologisch-physikalische Kohlenstoffpumpe wird gelöstes Kohlendioxid mit organischen Substanzen von abgestorbenen Pflanzen, Tieren, Plankton sowie Ausscheidungen von Fischen über absinkende Wassermassen in die Tiefe verfrachtet. Hier ist das Kohlendioxid für mehrere Jahrhunderte dem Kreislauf entzogen.
Wegen permanenter Überfischung gelangt immer weniger Fischkot auf den Meeresgrund. Infolgedessen wird dort weniger Kohlendioxid gespeichert. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Daniele Bianchi von der University of California in Los Angeles, die kürzlich im Fachjournal Science Advances veröffentlicht wurde.
Ohne diese - global ausbalancierte - biologische Pumpe läge die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre (aktuell bei 415 ppm, in vorindustrieller Zeit um 280 ppm) um bis zu 150 bis 200 ppm höher, vermuten die Experten. In den Ozeanen ist etwa 45-mal mehr Kohlendioxid gespeichert als in der Atmosphäre und 20-mal mehr als in Vegetation und Böden auf dem Land.
Das Kohlendioxid wird zum einen in Wasser gelöst, zum andern über die Photosynthese von Phytoplankton in Biomasse umgewandelt. Dieses wird vom Zooplankton konsumiert und landet schließlich über die Nahrungskette in den Fischen. Für ihre Berechnungen entwickelten die Forscher ein globales marines Ökosystemmodell, anhand dessen mit Hilfe der zugrunde gelegten Daten die Umweltbedingungen in den Jahren mit den größten Fangmengen widergespiegelt wurden.
Allerdings variieren die Schätzungen zur weltweiten Fischbiomasse erheblich. Bei der Untersuchung wurden nur Meerestiere von zehn Gramm bis hundert Kilogramm Körpergewicht inklusive angelandeter Wirbelloser wie Tintenfische berücksichtigt. In den Jahren mit maximalen Fangmengen ist die Biomasse der befischten Arten um mehr als die Hälfte reduziert worden.
Während noch zehn Prozent des biologischen Materials der aktuell befischten Arten in vorindustrieller Zeit als Fäkalien zum Meeresboden sanken, hat sich die Masse durch die Fischerei bis in die 1990er Jahre um fast die Hälfte reduziert.