Leeres Ölfass
Metallica knüppeln sich an die Spitze der Charts. Und wie!
Letzten Samstag. Metallica treten bei RTLs "Top of the Pops" auf. Ob Alexander, der dort seinen Knüller "Stay with me" vorstellte, sich ein Autogramm geholt hat? So mancher Metallica-Fan ist enttäuscht: "Treten die da etwa auf? Gott, wie tief sind die gesunken? :Ž-(" Ein Blick in die deutschen Albumcharts... Platz 5 (letzte Woche noch 2): Daniel Küblböcks "Positive Energie"; Platz 3 (Neueinstieg): "The Final Album" von Modern Talking; Platz 1 (schon seit vier Wochen): Metallica mit "St. Anger". Moment mal. Modern Talking steigen nicht auf 1 ein? Seit wann schreibt Dieter Bohlen Metallicas Songs? Tut er nicht. Ein Grund, sich mit "der letzten der großen Rockbands" (Playboy) und ihrem Straßenfeger auseinander zu setzen.
Eject. Play. Riff. Speed Metal. Eine Freundin sagt: "Das ist nicht ziemlich schnell. Das ist Krach." Nach einem Mal hören, bleibt von Metallicas neuem Album "St. Anger" nicht viel hängen. Was als erstes auffällt, ist der Klang der Snare Drum, die metallisch nachklingt wie ein leeres Ölfass. Dieses sei jedoch kein Produktionsfehler sondern so gewollt, bestätigt Steffan Chirazi, Chefredakteur der offiziellen Metallica-Zeitschrift "So What!". Sie wollten es diesmal simpler halten und nicht sechs Wochen am Drumsound feilen, wie zu Zeiten von "Enter Sandman" und "Nothing Else Matters". Das Ergebnis ist eine gewöhnungsbedürftige Produktion. Chirazi findet es sehr lustig, dass Produzent Bob Rock für Jahre dafür kritisiert worden ist, dass er den Sound so rundgeschliffen hat. "Nun kriegt er Schläge für das Gegenteil."
Um zunächst Befürchtungen vieler aus dem Weg zu räumen: "St. Anger" klingt nicht nach "Load" und auch nicht nach Nu Metal, sondern erfrischend nach... Metallica. Mehr Substanz, weniger Verpackung - das ist die neue Formel. Schwere Kost: Man muss das Album schon ein paar mal durchhören, bis es sich einem erschließt. Es besticht durch häufige Tempo- und Stimmungswechsel. Der Song "Sweet Amber" etwa glänzt durch einen erdigen Groove, der an die Queens of the Stone Age erinnert. Gegen Ende dann werden Erinnerungen an den 88er Klassiker "One" wach. James Hetfields Gesang ist vielseitig wie nie zuvor: Mal einfühlsam und ruhig, mal grollend tief, mal hysterisch... aber immer typisch Jaymz. Ein Riff jagt das andere. Robert Reisinger, Vorsitzender des deutschen Fanclubs German Power Wolves, ist sich sicher, dass die Band damit viele alte Fans zurückgewinnen wird. Am häufigsten werden Vergleiche zum Album "... And Justice For All" gezogen: Das erste Lied "Frantic" ist schnell wie der damalige Opener "Blackend"; als zweites der Titeltrack; sehr lange Lieder; keine Hitsingle; keine Ballade; stattdessen kompromisslose Härte.
Musikzeitschrift "Rock Hard": "Neuanfang oder kommerzieller Selbstmord?"
Kommerzieller Selbstmord? Die deutsche Plattenfirma winkt ab. "Wir würden gerne wissen, wer das in Umlauf gebracht hat." Nach drei Tagen war die Platte auf Platz 1, nach drei Wochen war sie schon Platin (für 300.000 verkaufte Einheiten). Für Chirazi ist diese Frage nach dem Kommerz vollkommen irrelevant. "Das wichtigste ist doch, dass die Band eh das gemacht hat, was sie machen wollte." Dass dieses immer so war, weiß, wer Metallicas Biographie kennt. Sie handelt davon, Standards zu setzen.
Ein Neuanfang ist das Album aber allemal. Nach dem überaus erfolgreichen schwarzen Album (15 Millionen verkaufte Exemplare) und der anschließenden Mammuttour geriet die Band in eine kreative Schaffenskrise. Die Alben "Load" (1996) und "Reload" (1997) verkauften sich zwar jeweils um die vier Millionen mal, musikalisch wirkte die Band aber irgendwie ideen- und kraftlos. Zudem schreckten die Bandfotos viele Fans ab, die nun mal eher auf Jeans und Leder statt auf Cajal und Pelz stehen. Ulrich und Gitarrist Kirk Hammett aber gefielen sich im U2- und Mick-Jagger-Image, ganz im Gegenteil zu Hetfield und Bassist Jason Newstedt. Hammett sagt heute über diese kurze Phase, es war der "Zeitgeist des Moments". Heute weiß man, dass es mit dem Segen in der "Metallica Family" nicht nur damals, sondern eigentlich immer schon nicht zum besten bestellt war.
Rückblick 2001: Egoprobleme bringen Metallica fast ans Ende
"Es gab Tage", blickt James Hetfield zurück, "da wären Lars und ich am liebsten mit Messern aufeinander losgegangen." Außenseiter Jason Newstedt ist in 14 Jahren nur an drei Liedern beteiligt worden. "Jasons Songs passten einfach nicht zu uns", sagt Hetfield heute. In der Konsequenz spielte Newstedt in mehreren Nebenprojekten, Hetfield verbot ihm aber stets, Material davon zu veröffentlichen. Hammett, Ruhepol und Vermittler in der Band, drückte es so aus: "James verlangt Loyalität und ich respektiere das, aber ich glaube nicht, dass er sich über die Konsequenzen bewusst ist. Jason isst, schläft und atmet Musik. Ich finde es moralisch falsch, jemanden von dem abzuhalten, was ihn froh macht." Im Januar 2001 verließ Newstedt frustriert die Band.
Irgendwann Mitte 2001 stand Metallicas Existenz vollends in den Sternen. "Von heute auf morgen", erzählt Reisinger, "war James Hetfield für niemanden mehr zu erreichen." Nach einer Weile kam ein Anruf vom Management, Hetfield hätte gesagt, es gäbe "kein neues Album, keine Konzerte, keine Band". Juli 2001 wurden dann die Fans eingeweiht Hetfield sei in einer Anstalt, um seinen Alkoholismus behandeln zu lassen. Plötzlich fiel es allen wieder ein. Zum Beispiel, dass Hammett sich an die komplette Tour von 1983 nicht erinnern kann und dass der Alkohol immer ein ständiger Begleiter der Band war. Doch auch diese Klippe haben Metallica genommen, nicht zuletzt durch zweijährige Hilfe eines Bandtherapeuten. Im Dezember kam dann die Erlösung für die Fans: "Eure Geduld wird belohnt werden."
Das aktuelle Album ist somit das Produkt einer gereinigten Band, die sich auf ihre Spontaneität verlässt und sich gegenseitig Respekt zollt. Für Jason Newsted kommt diese Situation jedoch zu spät. Der neue Bassist Robert Trujillo, früher bei den Suicidal Tendencies und in Ozzy Osbournes Band, dürfte jedoch davon profitieren. Newstedt veröffentlicht seit seinem Ausstieg seine eigene Musik über seine Plattenfirma Chophouse Records, stieg bei Voivod und nicht zuletzt bei... Ozzy ein.
Das geschäftliche Konzept hinter der "'tallica family"
Es wäre natürlich gelogen zu sagen, kommerzielle Beweggründe spielten bei Metallica überhaupt keine Rolle. Sie spielen es eben nur nicht bei der Musik. Die PR-Kampagne, mit der die Veröffentlichung vorbereitet wurde, war äußerst professionell. Bereits im Januar 2003 wurden Musikjournalisten ins Studio eingeladen, um das Wort zu verbreiten. Im Februar wurden Album und Tour erstmals angekündigt. Im Mai wurde die Band - zeitlich genau passend - von MTV als Aushängeschild geehrt. Der Veröffentlichung folgten Promoauftritte in Europa, nicht nur bei "Rock am Ring" und anderen Festivals sondern auch bei TV Total, Viva und eben Top of the Pops.
Die Albumveröffentlichung am 10. Juni musste um fünf Tage vorverlegt werden, da bereits zu viele Raubkopien im Internet kursierten. Nachdem Metallica im Streit mit Napster ihren Fans gegenüber als undankbare Geldhaie gegenüberstanden (vgl. Die Geburt von Metallica aus dem Geiste der "Raubkopie") hat auch Lars Ulrich mittlerweile einen Sinneswandel durchlaufen:
Ich habe grenzenlos dämliche Dinge gesagt. Als Limp Bizkit sich ihre Tour mit $2 Millionen von Napster sponsern ließen, sagte ich nur, das wäre totaler Quatsch. Wenn ich den Mund aufmache, kommt meistens etwas irgendwie eloquentes heraus, doch manchmal rede ich einfach nur einen Haufen gequirlte Scheiße. Dessen bin ich mir bewusst.
vgl. Wer ist nun der Public Enemy?
Seit der Einigung mit Napster nutzen Metallica das Internet geschickt für ihre Zwecke.
Metallica im Netz
Der CD wurde nicht nur eine Gratis-DVD beigelegt, um Kaufanreize zu bieten. Der Käufer erhält zusätzlich Zugang zu metallicavault.com, einer kürzlich gestarteten Seite, auf der sich Fans Livemitschnitte früherer Konzerte als mp3 runterladen können und die, laut Ankündigung der Band, zu einem riesigen Livearchiv wachsen soll. Neben der offiziellen URL metallica.com gibt es außerdem noch metontour.com, auf der man die Band nach kostenloser Anmeldung virtuell auf Tour begleiten kann. metclub.com ist die Seite des Fanclubs, bei dem man für $60 pro Jahr nicht nur exklusive Infos und Gimmicks bekommt, sondern auch die Chance, die Band backstage zu treffen. Zur Veröffentlichung des Albums wurde in Deutschland die Seite st-anger.de gestartet. Für 2004 ist außerdem ein Videospiel angekündigt.
Bei all diesen Marketing-Projekten stellt sich die Frage, wer eigentlich das "Gehirn" von Metallica ist. "Es ist wirklich sehr einfach", erklärt Chirazi aus einer Insiderperspektive:
Das Gehirn der Band ist sie selber. Das war immer so und wird immer so bleiben. Sie sind niemandem Antworten schuldig. Sie allein wählen, mit wem sie zusammenarbeiten und in dieser Hinsicht gibt es lediglich eine Menge wichtiger Partnerschaften.
So sei die Idee mit dem Vault und dem Videospiel wahrscheinlich aus Gesprächen mit dem Management und der technischen Realisierbarkeit an sich entstanden. Robert Reisinger ist sich ziemlich sicher, dass Metallica ohne Lars Ulrich nicht da wären, wo sie heute sind: "Ohne, dass Lars etwas abzeichnet, läuft nichts. James ist eher der Mann für die Bühne und was die Musik angeht."
Die Metallica Family
Was hat es also nun auf sich mit der Metallica Family, also der engen Bindung der Fans an die Band? Reisinger gründete vor zehn Jahren den deutschen Fanclub, um seinesgleichen "Metallica in den Alltag" zu bringen. Dieses sei heute erreicht: "Als Fan konnte man in letzter Zeit quasi permanent über das Internet dabei sein." Eine engere Bindung der Band an die Fans hat auch das neue Hauptquartier möglich gemacht, ein Gebäudekomplex, in dem Studio, Proberaum, Büros, Unterkünfte und eben auch der Fanclub untergekommen sind. Der US-Fanclub beschäftigt Vollzeit sieben Personen, insgesamt sind knappe 15 Leute permanent von Metallica angestellt. "Das interessante dabei ist," witzelt Chirazi, "dass alle etwas zu tun zu haben scheinen."
Reisinger ist für sein Engagement von der Band vier Wochen mit auf Promotour durch die USA und Europa genommen worden. Dass Metallica "alles für die Fans geben", wie Scott Ian von der befreundeten Band Anthrax lobt, kann Reisinger nur bestätigen. "Die Security hat nicht schlecht gestaunt, dass die komplette Band vor jedem Konzert 15 Fans aus dem Fanclub getroffen hat". Mit dem neuen Album, weiß er, haben die Metal Masters "viele alte Fans zurückgewonnen".
Zum Schluss noch ein Genusshäppchen für all die, die doch lieber die alte Metallica-Schule mögen: Hier gibt es gratis Songs der Band "Beatallica": Acht Beatles-Songs im klassischen Metallica-Gewand - eine wahre Metal-Satire!
Bandzitate sind meist diesem Playboy-Interview entnommen.