Leiden und leiden lassen
Auf der Painstation lernen virtuelle Verlierer real zu leiden
Der Marquis de Sade und Leopold Ritter von Sacher-Masoch wurden leider zu früh geboren, um es zu spielen. Die Teilnehmer des Milgram-Experiments glaubten es zumindest zu spielen. Emilio Largo und James Bond haben es schon 1983 als Welteroberungsspiel "Domination" in "Never say never again" gespielt. Wohl nach dem Spruch "Schmerz ist die Krönung subjektiver Wahrnehmung" (Michael Richter) präsentieren Tilman Reiff und Volker Morawe, zwei Studenten der Kunsthochschule für Medien in Köln, Painstation, ein Computertennisspiel der fossilen Sorte, aber mit dem innovativen Kick für echte Kerle.
Was die beiden Spieldesigner als "Neuzeitliches Duellierungs-Artefakt" glauben bezeichnen zu können, ist das gute alte Balkentennis bzw. Pong, das in dieser Variante aber echt wehtut, wenn der Ramblin Gamblin Man den Ball verfehlt. Dann setzt es Schmerzen. Eine ganze Palette halten die beiden Künstler für die Spieler bereit: Stromstöße, Hitze und selbst Hiebe durch eine Minipeitsche. Alles was das Herz eines Selbstgeißlers halt so begehrt. Die linke Hand des Spielers ruht auf dem quälbereiten Sensorfeld (Pain Execution Unit, PEU) - und wer es nicht mehr aushält und loslässt, hat verloren.
Im Verlauf des Spiels nehmen Tempo und Schmerzdosis zu. Hier muss man nicht den Arzt oder Apotheker fragen, was auf einen zukommt. Das besorgt bereits das Spiel selbst. Nach dem Zufallsprinzip sind zu beiden Seiten des Spielfeldrands Schmerzsymbole (Pain-Inflictor-Symbols) verteilt, die den jeweiligen Schmerztypus anzeigen. Kreator Tilman Reiff erklärt, dass die Spielerfahrung so realistischer werden soll.
Diesem Ideal hat sich auch die Computerspielindustrie verschrieben. Spieler sollen in immer wirklichkeitsnähere Szenarien eingebunden werden, ohne indes dabei die Freuden der erträglichen Leichtigkeit virtuellen Seins missen zu müssen. Ab wann aber ist es kein Spiel mehr, wenn die Grenzen zwischen virtuellem Spaß und blutigem Ernst verwischt werden? Wie war vordem doch das Spielen so bequem. Üppig mit neuen Leben ausgestattet, Blut und zerfetzte Leiber nur als visuelle Pixelmassaker genossen, wartete nur der kleine Frust danach auf den Verlierer.
Reiff sieht den besonderen Reiz der Schmerzstation darin, dass die Nachwuchsgladiatoren unter dem Beifall des Publikums nicht allzu schnell bereit sind, das Handtuch in die Arena zu werfen. Er hat schon Kämpfer gesehen, die mit blutigen Händen und abgelederter Haut den Tisch verlassen, weil sie nicht vor Publikum aufgeben wollten:
"Fällt einer der Kontrahenten in Ohnmacht oder nimmt schon vorher wegen enormer Überschreitung seiner Schmerzgrenze die linke Hand von der PEU, so hat er das Duell verloren und muss im Nieselregen des Zuschauergespötts gepeinigt und verachtet von dannen ziehen, während der strahlende Sieger sich dem Respect der Crowd und der Zuneigung des anderen Geschlechts gewiss sein kann."
Dann also nichts wie ran, ein echter Indianer kennt keinen Schmerz, soll heißen: der Schmerz zahlt sich voll aus - zumindest für wahre Männer, wie es Volker Morawe dem Telepolis-Forum bereits letztes Jahr mitteilte. Sollte Painstation bei solchen Verheißungen zum globalen Game-Event werden, hätte die andere Schmerzkonsole, die nur mit einem läppischen Hand-Arm-Vibrationssyndrom für Dauerzocker aufwarten kann, einen echten Konkurrenten gefunden.
Das Online-Magazin Wired, das Reiff and Morawe nun wohl zum ersten Mal einem größeren Publikum vorstellte, kennt noch andere Schmerzliebhaber. Da wäre etwa Mad Catz aus Santee/Kalifornien. Dessen Bioforce Controller teilt das Leidensschicksal zwischen dem virtuellen alter ego und dem Spieler brüderlich auf. Wer auf dem Monitor verliert, den bestraft das Leben mit einem Stromschlag des Steuergeräts (Die Wirkung von Computerspielen).
Die Painstationer halten freilich ihr Spiel für vorzugswürdig, weil es doch hier um die reale Interaktion zwischen Menschen gehe. Zwar gibt es viele historische Vorläufer maschineller Schmerzzufügung bis hin zu Kafkas erzählerischer Fantasie der Strafkolonie, aber dass nun interaktive Foltergeräte besonders wünschbar sein sollen, erscheint - trotz der vermeintlichen Reaktionen des weiblichen Geschlechts auf wahre Kämpen - vornehmlich als Gag für besonders veranlagte Spielernaturen. Die Kölner Schmerzensmänner halten sich indes nicht für sadistisch fixiert. Ihr Interesse sei es, den Körper stärker in die Technologie einzubinden und die Spieler über das Spielen selbst nachdenken zu lassen. Ein bisschen Spielphilosophie tut immer gut, obwohl doch die Zentralperspektive virtueller Technologien eher darin besteht, Menschen von Leiden freizustellen.
Sollte die virtuelle Spielgemeinde das genauso sehen und auf Dauer nicht leidensbereit sein, könnte "Painstation" zumindest für die virtuelle Aufrüstung von Kriegsspielen die gebotene Ergänzung sein (Willkommen im Virtual Sniper Park). Vielleicht ist das in diesen Tagen so innovationsfreudige Pentagon ja am Schmerztraining interessiert. Eine neue cyberethische Frage könnte aber in Zukunft drängend werden. Was ist, wenn in avancierten Versionen virtueller Schmerzfabriken auch halbintelligente bots, die schmählich versagen, leiden müssen und dazu überhaupt keine Lust haben?