Leitkultur aus "deitschen" Landen
- Leitkultur aus "deitschen" Landen
- Wo liegt dann eigentlich Ostdeutschland?
- Wo hört ein rustikales Gepolter auf und wo fängt Volksverhetzung an?
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Der politische Aschermittwoch ist ein Populismuswettbewerb und offenbart einiges über den deutschen Geisteszustand - Eine Nachlese
Rustikal soll es am Aschermittwoch zugehen, und die Akteure geben sich alle Mühe, den an sie gerichteten Erwartungen gerecht zu werden. Man darf also nicht jedes ihrer Worte auf die Goldwaage legen. Wem an intellektueller Hygiene gelegen ist, der schaltet am besten zehn bis zwölf Stunden ab, bis die "überspitzte Politsatire", so der AfD-Politiker André Poggenburg über sich selbst, vorbei ist.
Gleichwohl präsentiert der Tag nach den närrischen Tagen eine spezifische Form des innerdeutschen Diskurses, wie es der Thing bei den alten oder der Reichsparteitag bei den neueren Germanen war. Er dient der Austragung eines Populismuswettbewerbs, dessen Sieger traditionell in Passau gekürt wird, in diesem Jahr also Markus Söder an Stelle des erkrankten Horst Seehofers. Der designierte Ministerpräsident markierte die Dreiländerhalle sogleich als sein "Revier". Die CSU verklärte er zu einer Partei der bürgerlichen Mitte, die aber auch "die demokratische Rechte" bei sich vereinen wolle.
Christianisierung gegen Islamisierung
Dieser Eingebung folgend bekannte sich Söder zu Heimatliebe und Leitkultur. "Das wichtigste emotionale Gefühl unserer Bürgerinnen und Bürger" dürfe nicht lächerlich gemacht werden, weil es "der seelische Anker ist, den ein jeder braucht". Es gibt Gefühle, z.B. Durst, und es gibt "emotionale" Gefühle, z.B. Heimatliebe. Sie artikuliert sich in deutlichen Botschaften an die EU: "Europa ist stark, weil es Deutschland gibt. Aber Deutschland ist nur so erfolgreich, weil es uns Bayern gibt." Riesenjubel.
Was für Außenstehende tatsächlich nach Satire klingt, ist in Passau keineswegs so gemeint. Auch mit der Leitkultur will Söder Ernst machen, weil der Islam und erst recht die Scharia "kulturgeschichtlich" nicht zu Bayern gehörten. Daher will er die bayerische Verfassung um ein Bekenntnis zum christlichen Abendland ergänzen. An allen staatlichen Einrichtungen sollen christliche Kreuze angebracht werden. Denn es habe ihn geschmerzt, als er kürzlich lesen musste, dass dieses Symbol in einem Gerichtssaal abgehängt wurde.
Söder will die sogenannte Islamisierung also mit einer Christianisierung beantworten. Es ist ein erstaunlicher Purzelbaum: wer die Scharia ablehnt, soll ihr Grundprinzip übernehmen, dass die Religion über die Rechtsprechung wacht. Was soll das Kreuz hinter dem Rücken der Richter sonst bedeuten? Laizismus gehört nach Ansicht der CSU definitiv nicht zur Leitkultur.
Viel Zeit widmete der werdende Landesvater der Sicherung der Landesgrenzen und dem Dank an die Polizei. Seinen "Kampf um die Lufthoheit über den Stammtischen" will er aber nicht als Rechtsruck verstanden wissen; er wolle lediglich zurück zur "alten Glaubwürdigkeit der CSU wie in den Zeiten von Franz Josef Strauß". Riesengelächter? Nein, ergriffener Beifall. Angehörige der Generation Ü80 erheben sich mühsam aus ihren Sitzen. Sie möchten Bravo rufen, aber ihre Stimmen werden von Tränen erstickt.
Die konservative Revolution
Ein derart überwältigendes Echo kann die Schwesterpartei nicht hervorrufen. Jens Spahn, der als Merkel-Kritiker und Hoffnungsträger aller zu kurz gekommenen CDU-Größen (Roland Koch, Friedrich Merz, Volker Rühe, Norbert Röttgen) gleich zwei Aschermittwochs-Sausen absolvierte, versuchte es im Trachtenlook und mit reichlichem Biergenuss. Er ernannte die CDU zur "Partei der Leitkultur" und steuerte eine Definition bei. Vielfalt könne zwar bereichern, es sei aber nicht alles bereichernd.
"Zwangsheirat und Ehrenmord sind es nicht. Und da kann man doch nicht immer sagen, das ist eine andere Kultur, dafür müssen wir Verständnis haben. Das müssen wir nicht. Das ist der Unterschied zwischen Leitkultur und Multikultur."
Eine exotische These, aber sie wird unermüdlich verbreitet, um der "konservativen Revolution gegen die 68er" (Alexander Dobrindt) den Weg zu ebnen. Eine besondere Nettigkeit hielt Spahn für Griechenland bereit. Tsipras solle sich keine Hoffnungen machen, wenn die SPD das Finanzministerium übernimmt. Hämisches Lachen.
In einem vorläufigen Zwischenstand gewinnt die Leitkultur bei den Unionsparteien folgendes Profil: Sie steht rechts und möchte als demokratisch anerkannt werden, sie ist Heimatliebe, christliches Bekenntnis, Lufthoheit über den Stammtischen, Ablehnung von Ehrenmord und Zwangsheirat, Stärkedemonstration und Spardiktat in Europa, Grenzsicherung, Dankbarkeit gegenüber der Polizei und Glaubwürdigkeit wie von Franz-Josef Strauss. Spahn fordert, dass sowas in den Schulen unterrichtet wird.