Leitkultur aus "deitschen" Landen
Seite 3: Wo hört ein rustikales Gepolter auf und wo fängt Volksverhetzung an?
- Leitkultur aus "deitschen" Landen
- Wo liegt dann eigentlich Ostdeutschland?
- Wo hört ein rustikales Gepolter auf und wo fängt Volksverhetzung an?
- Auf einer Seite lesen
Man ahnt es schon: Den Höhepunkt der Party hatte zuvor ein Anderer erklommen, André Poggenburg. Der AfD-Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt echauffierte sich über eine Kritik der türkischen Gemeinde, die es angesichts der deutschen Geschichte problematisch findet, aus dem Innenministerium ein Heimatministerium zu machen.
Da brannten dem André alle Sicherungen durch. "Diese Kümmelhändler haben selbst einen Völkermord an 1,5 Millionen Armeniern am ... und die wollen uns irgendetwas über Geschichte und Heimat erzählen? Die spinnen wohl! Diese Kameltreiber sollen sich dahin scheren, wo sie hingehören", nämlich "weit hinter den Bosporus, zu ihren Lehmhütten und Vielweibern". Das Zitat ist hier unvollständig wiedergegeben. Das geschieht nicht aus Scheu vor dem von Poggenburg verwendeten Kraftausdruck, sondern aus Abscheu vor dem von ihm vorgebrachten Inhalt.
Die mediale Öffentlichkeit beurteilte diese Sätze als braune Hetze und quittierte der AfD, ein Sammelbecken für Rechtsextreme geworden zu sein. Die Ankündigung der türkischen Gemeinde, rechtliche Schritte unternehmen zu wollen, traf auf ein zustimmendes Echo. Dabei geht es um offensichtliche Diskriminierungen wie "Kümmelhändler" oder "Kameltreiber". Wo hört ein rustikales Gepolter auf und wo fängt Volksverhetzung an?
Über dieser Auseinandersetzung gerät die Kernaussage Poggenburgs in den Hintergrund. Sagen oder vielmehr herausbrüllen wollte er, dass türkisch-stämmige Bürger, die er umstandslos zu Türken macht, nicht das Recht hätten, den Deutschen ihre Völkermord-Geschichte vorzuwerfen, weil die Türkei ebenfalls einen Genozid in ihrer Geschichte zu verantworten hat. "Selber Völkermörder!", ereifert sich Poggenburg. "Ihr habt es gerade nötig, den Deutschen etwas vorzuhalten."
Die Nachkommen der Täter werden den Opfern die Verbrechen nie verzeihen
Seine wütende Reaktion impliziert, dass er die Naziverbrechen nicht bestreitet. Poggenburg stellt sich nicht als Holocaustleugner vor, jedenfalls nicht in dieser Rede. Das mag zu einem ersten Zusammenzucken der AfD-Vordenker geführt haben, deren Position in dieser Frage noch nicht ausgemacht ist. Elsässer beispielsweise legt großen Wert auf gute Beziehungen zu erklärten Holocaustleugnern. Auf die Erinnerung daran reagiert Poggenburg allerdings mit offener Aggression; das will er sich nicht gefallen lassen. Es ist das gleiche Verhaltensmuster, das sein Parteifreund Höcke bei seiner Tirade gegen das Berliner Holocaust-Mahnmal zeigte.
Dafür, dass Poggenburg die Erinnerung an die deutschen Verbrechen unangenehm ist, zumal sie ja im Namen eines Patriotismus begangen wurden, dem er sich politisch verbunden fühlt, könnte man noch ein gewisses psychologisches Verständnis aufbringen. Derartige Abwehrreaktionen gibt es nicht nur in der AfD, sondern in allen Parteien. Aber sein ungebremster Hass hat ihn zu einer entlarvenden Bildsprache greifen lassen. Poggenburgs "Kracher"-Auftritt ist ein Paradebeispiel für die These, dass die Nachkommen der Täter den Opfern (!) die Verbrechen nie verzeihen werden. Der Satz klingt erstmal polemisch und zugespitzt. Aber er erklärt diesen Typ aggressiver Trotzreaktionen.
"Deitsch on frei wolln mer sei." Poggenburg brachte die Halle von Nentmannsdorf zum Toben. Heftige, womöglich sogar emotionale Gefühle kamen zum Ausbruch. Nun stellt sich die Frage, ob es in diesen Turbulenzen einen seelischen Anker gibt, an dem die erregten Gemüter zur Ruhe kommen können. Es liegt an Söder, den Arzgebirgern klarzumachen, wo die Grenzen liegen. Schließlich hat er sich in Passau zum obersten Grenzschützer ernannt.