Leitkultur aus "deitschen" Landen

Seite 2: Wo liegt dann eigentlich Ostdeutschland?

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Die konservative Revolution war derweil in Nentmannsdorf bei Pirna bereits im Gang. Dorthin hatten vier Landesverbände der AfD (Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt) zu einer "Kracherveranstaltung" eingeladen. De facto war es eine Versammlung des völkisch-nationalen Flügels. Wer sich die dort gehaltenen Reden auf YouTube anhört und die Publikumsreaktionen zur Kenntnis nimmt, braucht sich nicht mehr mit der NPD zu beschäftigen. Das erübrigt sich dann.

Der Ort war ausgewählt worden, weil er im Wahlkreis Sächsische Schweiz/Erzgebirge von Frauke Petry liegt, wie Björn Höcke erklärte. "Diese Dame" (Sprechchor "Volks-ver-räter") habe die AfD um ein Mandat betrogen, "das ihr hier erkämpft habt". Darüber hinaus liegt ein geografischer Feinsinn in der Ortswahl. Auffallend oft lokalisierten die Redner ihre Aschermittwochsbühne in "Mitteldeutschland" oder "in der Mitte Sachsens". Allerdings liegt Nentmannsdorf ca. 15 km von der tschechischen Grenze entfernt. Bis zur polnischen Grenze sind es auch nur 120 km. Wenn hier "das Herz Mitteldeutschlands schlägt", wo liegt dann eigentlich Ostdeutschland? Offenbar fängt es jenseits der aktuellen Staatsgrenzen überhaupt erst an, ganz zu schweigen davon, wo es enden soll.

So enthielt denn auch die musikalische Einstimmung vor Beginn der Redeschlacht ein Bekenntnis zum sudetendeutschen Brauchtum. Neben den "Alten Kameraden", passend zur Zusammensetzung des Publikums, und dem "Prosit auf die Gemütlichkeit", die sich allerdings nicht einstellen wollte, wurde ein Lied des hochgeachteten Heimatdichters Anton Günther intoniert: "Deitsch on frei wolln mer sei, on do bleibn mer aah derbei, weil mer Arzgebirger sei!"

Der Song gehört zum Genre des legendären German Soul und sollte die Sudeten zu Beginn des vorigen Jahrhunderts darauf einschwören, der deutschen Heimat "bis zum letzten Tropfen Blut" die Treue zu halten. "Deitsch on frei" heißt folglich das arzgebirgische Mitteilungsblatt der NPD, wie es auch den Fans des Zweitligavereins Erzgebirge Aue als Motiv für bewegende Choreografien dient.

Wir sind das Volk

Höcke ergriff als Letzter der vier Landesvorsitzenden der AfD das Wort. Zu diesem späten Zeitpunkt war er schon ziemlich betrunken, andererseits hatten seine Vorredner mit populistischen Sprüchen abgeräumt, was abzuräumen war. Er gefiel sich in einer staatsmännischen Pose und schwelgte in historischen Dimensionen. Wie alt das geliebte Deutschland schon sei, tausend Jahre, und Europa sogar dreitausend Jahre. Heute sei nur noch "Schwund" davon übrig.

Dies führte ihn zu der überraschenden Wendung, im Vergleich zu Merkel (Sprechchor "Volks-ver-räter"), Seehofer, Lindner, Özdemir (Sprechchor "Ab-schie-ben") oder von der Leyen sei Erich Honnecker ein wahrer Staatsmann gewesen (kein Sprechchor). Höcke fühlt sich vom "Mantel der Geschichte" gestreift, den die Patrioten wie 1989 ergreifen müssten (Sprechchor "Wir-sind-das-Volk").

Unter der Veranstaltungsregie litt auch Jürgen Elsässer, der seine Redezeit für die politische Feinjustierung nutzte. Der Compact-Herausgeber fand die Sprechchöre "Mer-kel-nut-te" nicht etwa anstößig, aber unpassend. Eine Prostituierte verkaufe nur sich selbst, befand der Experte, Merkel hingegen das ganze Volk. Elsässer mahnte die Anwesenden, nicht so sehr auf das Parlament als vielmehr auf die Straße zu setzen. Seinen politischen Weitblick bewies er mit der Benennung von Viktor Orbán und Wladimir Putin als Vorbilder für die Bewegung (kein Sprechchor). Die Namen Putin und Honnecker wurden von den Strategen Höcke und Elsässer dermaßen unvermittelt in den Raum geworfen, dass man sich fragt, welche Sponsoren damit umworben werden sollten.