Lernen von Josef Schumpeter

Seite 2: Das Zeitalter des Chaos

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Kapitalismus ist Chaos - Schumpeter verstand darunter ein produktives Chaos. Ein Chaos eines ganz anderen Typs, nämlich Chaos als "tödliche Ordnung" sieht der Philosoph und Historiker Fabian Scheidler nun ausgebrochen und sich intensivierend uns bevorstehen. Die "Risse in der Megamaschine", die Schumpeter folgend eintreten als Folge von Reife der ökonomischen Entwicklung und als Erfolg der kapitalistischen Maschine, nach Eintreten von Sättigung und dem resultierenden Einbrechen der Massenmärkte, haben nun destruktive Züge angenommen und wurden gesellschaftspolitisch verdichtet zu einer Strategie des "neoliberalen Roll-Back", mit Entmachtung, Entkräftung und Aushungern der öffentlichen Sphäre zugunsten des Privatkapitals, und einer Aufwertung von Egoismus und Ich-AG-Orientierung zulasten solidarischer Haltungen.

In den Köpfen der schützenden Schichten hat sich das Chaos einer "kollektiven Realitätsverweigerung" eingenistet, das selbst von den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten befördert wird, "indem sie ihre besten Sendezeiten mit endlosen Sportevents, Unterhaltungsshows und Krimis füllen. Fragen, die unsere Zukunft und das Überleben der Menschheit betreffen, gibt es dagegen bestenfalls nach Mitternacht, wenn die arbeitende Bevölkerung längst im Bett liegt, oder auf Nischensendern wie Arte. Produzenten und Konsumenten von Massenmedien scheinen einen unausgesprochenen Pakt zur Realitätsverweigerung geschlossen zu haben."

Das Phänomen des "Terrors als große Ablenkung" sieht Scheidler als Teil dieses Chaos, mit dem damit begründeten Ausrufen des andauernden "Ausnahmezustands als Ordnungsversuch" in den reichen Industrieländern, wohingegen der "Terror im globalen Süden" durch den permanenten sogenannten "Krieg gegen den Terror" mit seinen horrenden Opferzahlen in Afghanistan, dem Irak, Pakistan, Somalia, und Nigeria kaum der Erwähnung wert ist.

Ökonomie mit Zukunft

All die unerfreulichen Aspekte dieses heranbrechenden und sich ausbreitenden Chaos sind in kaum noch übersehbarer Fülle in den vergangenen Jahren beschrieben worden, und sie unterscheiden sich allenfalls nach der Tiefe der Betrachtung und der Intensität des Leuchtmittels, mit dessen Hilfe die Untersuchung vorgenommen und der Untersuchungsgegenstand beleuchtet wurde, ob sie sich also eher an der Oberfläche der in den Parlamenten und Medien öffentlich stattfindenden Politikdiskurse aufhalten oder bis in die (Un-)Tiefen des Tiefenstaates und seine Verstrickung in die undurchsichtigen Machenschaften der diversen Geheimdienste vordringen.

Am Ende jeder dieser Untersuchungen und Betrachtungen des gegenwärtig erreichten und zukünftig möglicherweise umso schlimmer noch drohenden Zustandes steht aber notwendigerweise die Frage, was denn nun zu tun sei. Und die Beantwortung dieser Frage steht natürlich auch in Zusammenhang mit der Frage, wie man das entstehende bzw. schon bestehende Chaos denn verursacht sieht.

Schumpeter sieht hier also diese Jahrhunderte währende Periode der kapitalistischen Entwicklung zu einem ihrem inhärenten Ziel - Versorgung und Bedarfssättigung der gesamten Bevölkerung - entsprechenden Reifegrad entwickelt; der Kapitalismus hat gewissermaßen erreicht, was er erreichen konnte und sollte, und würde nun - ganz zwanglos - in einen geplanten Sozialismus übergehen.

Und so sehr nun auch die "Schichten der Bourgeoisie" sich bemühen, diesen Übergang zu verhindern und hinauszuschieben, wäre ein Übergang in einen geplanten Sozialismus, in dem die "wirtschaftliche Lebensfürsorge aus dem privaten in den öffentlichen Bereich" übergeht und der "Staat die Privatwirtschaft erobert", schließlich doch die einzig mögliche und logische Konsequenz.

Man kann aber auch den Kapitalismus an sich schon für fehlerbehaftet halten oder den Fehler in der Institution des Eigentumsrechts suchen, welches dem Eigentümer einer Sache weitgehend unbeschränkte Verfügungsrechte darüber einräumt. Wenn man aber nun zugesteht, dass die zu lösende Fragestellung im Kern darin besteht, eine Wirtschaftsordnung zu entwerfen, die ihre Stabilität und Funktionsfähigkeit bewahrt unter der Bedingung, dass zur Herstellung des gesamten nachgefragten Produkts (dessen möglicher Umfang außerdem noch ökologischen Restriktionen unterliegt) die angebotenen Produktionskapazitäten niemals voll beschäftigt werden können, weil die Produktionsmöglichkeiten bei Vollbeschäftigung aufgrund des erreichten technischen Fortschritts einfach zu groß geworden sind, so wird sich vielleicht zeigen, dass die Frage des Eigentums möglicherweise gar nicht im Zentrum der Betrachtung stehen muss.

Klar ist, dass die architektonischen Grundkonstanten der kapitalistischen Wirtschaft (Gewinnstreben, Industriekapital, Wettbewerb, Warenproduktion und marktliche Güter- und Faktorallokation) nach Eintreten des Reifestadiums ohne politische Korrektur und Stabilisierung nicht mehr ihre vorherige wohlstandserweiternde Wirkung entfalten können. Das ist der zu beobachtende Zustand: das politische und wirtschaftliche Führungspersonal, die Eliten, degeneriert moralisch und funktional, das Kapital kannibalisiert sich, die Ökonomie wird "chrematistisch", nur mehr auf endlose Geldvermehrung bedacht, und kann Vermögenserträge zunehmend nur noch auf Kosten der Allgemeinheit realisieren.

Dies legt den Schluss nahe, dass nun "die wirtschaftliche Lebensfürsorge aus dem privaten in den öffentlichen Bereich" übergehen müsste, und zwar möglichst, wie Schumpeter empfiehlt, "ohne ernstliche Einbuße an Leistungsfähigkeit oder ernsthafte Rückwirkungen auf die Gebiete, die der privaten Führung zu überlassen sind". Daraus geht hervor, dass Schumpeter nur Teile der Wirtschaft in den öffentlichen Bereich hätte übergeben wollen.

Am Beispiel Englands zu seiner Zeit hat er einmal durchgespielt, welche Teile der Wirtschaft dies sein sollten: 1. der Bankapparat, 2. das Versicherungswesen, 3. das Transportwesen für den Binnenverkehr, 4. Bergwerke und angeschlossene Produktion, auch der chemischen Industrie, 5. Energieerzeugung und Verteilung (ohne elektrotechnische Industrie), 6. Eisen- und Stahlindustrie, und 7. die Bau- und Baumaterialienindustrie, mit Ausnahme der Architekten.

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