Lesvos, mon amour

Seite 3: Camp Moria und das Pikpa Camp

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Bei meinem ersten Besuch vor zwei Jahren beschränkte sich das Camp Moria wirklich auf den ummauerten Militärkomplex, und galt schon damals als überfüllt. Mittlerweile ist Moria zweigeteilt: das eigentliche Camp und der "Wild West"-Bereich, der sich in den Olivenhainen nördlich des Camps ausgebreitet hat.

Bei meinem Streifzug durch den "offenen" Bereich treffe ich auch einen kleinen Jungen, dem ich am Vormittag in der Kleiderkammer beim Einkleiden geholfen hatte. Er zeigt mir das Zelt, wo er mit seiner ganzen Familie auf engstem Raum lebt.

Von den zehntausend Flüchtlingen auf Lesbos sind 8.500 im Camp Moria untergebracht. Sowohl beim Hope Project als auch hier vor Ort unterhalte ich mich mit Flüchtlingen. Alle sprechen wegen der Zustände nur negativ über Moria. Das ist schon beachtenswert, da die beiden anderen Camps hier in der Gegend nur lobend erwähnt werden: Kara Tepe und das Pikpa Camp. Das Pikpa Camp befindet sich in unmittelbarer Nähe des Flughafens und beherbergt besonders verletzliche Flüchtlinge, maximal 100 Personen.

Pikpa Camp

Vor zwei Jahren hatte ich dort für ein paar Tage als Volunteer gearbeitet. Diesmal mache ich nur einen kurzen Besuch, und finde ein sehr ruhiges und friedvolles Lager vor. Aber wo die Flüchtlinge auch untergebracht sind, kennzeichnet sie doch eine Gemeinsamkeit: Fast alle Flüchtlinge sind am warten. Sie haben entweder noch kein Interview gehabt, oder das erste oder das zweite. Oder sie warten auf einen Bescheid. Solange sie warten, sind sie "blue"; erst wenn sie "black" sind, dürfen sie Lesbos verlassen.

Vielen gefällt Griechenland nicht (wohl wegen der Umstände), und so möchten sie bloß weg von hier. Und so warten sie und die Jahre ziehen durchs Land. Das eigentliche Camp Moria ist mittlerweile auch in drei geschützte Sektionen aufgeteilt: Es gibt Bereiche für Familien, für Single-Männer und für Single-Frauen. Eine junge Afghanin erzählte mir davon, und ich hatte nicht den Eindruck, dass sie sich dort bedroht oder belästigt fühlt. Das wird in dem wilden Bereich aber wieder ganz anders sein.

90 Euro monatlich als Taschengeld für Männer, 50 Euro für die Frauen

Männer bekommen übrigens 90 Euro pro Monat als Taschengeld, ihre Frauen dagegen nur 50 Euro und Kinder lediglich 40 Euro. Single-Frauen erhalten aber auch ihre 90 Euro. Das ummauerte Lager, oben herum mit Nato-Stacheldraht geschützt, ist offiziell immer noch Militärgebiet. Damit wird heuchlerisch ein Fotografierverbot begründet. Ein Flüchtling meinte dagegen zu mir, man dürfe keine Fotos machen, damit die Welt nicht sieht, wie schlimm es hier ist.

Vor zwei Jahren war ich beim Fotografieren wohl etwas unvorsichtig gewesen, befand mich deshalb unversehens im Camp, und wurde von Polizisten mehrfach befragt, ob ich Journalist sei. Ich wurde dann genötigt, meine Fotos, die das Lager an sich zeigen, zu löschen. Diesmal habe ich meine Fotos etwas dezenter gemacht. Auch konnte ich beobachten, wie zwei Flüchtlinge an einer nicht bewachten Stelle geschickt über den Nato-Stacheldraht ins Camp eingestiegen sind.

One Happy Family

Ganz in der Nähe von Kara Tepe befindet sich auch das One Happy Family. Am Eingang ist ein Security Guard, der einen interessierten Besucher aber hineinführt, und man bekommt eine Führung. Es ist ein Gemeinschaftszentrum, in dem keine Flüchtlinge leben, sondern von außerhalb kommen, überwiegend aus Moria. Es wurde im April 2017 von einer Schweizer NGO gegründet und hat sich gut entwickelt. Insgesamt kommen 800 Flüchtlinge täglich, geöffnet Montag bis Samstag von 12 bis 19:30.

Dazu gehört eine Schule, die von einer israelischen NGO ausgerichtet wird, und in der 300 Flüchtlingskinder lernen. Für die Kinder sind Busse eingerichtet worden, die sie aus Moria abholen. Hier ist also die größte Schule für Flüchtlingskinder auf ganz Lesbos. Das weitläufige Gelände befindet sich auf einer Anhöhe, so dass man von manchen Stellen einen schönen Blick aufs Meer hat. Für alle gibt es ein kostenloses Mittagessen um 16 Uhr.

Mehr als zwanzig Aktivitäten werden hier den Flüchtlingen angeboten, wie Basketball, Boxen oder Yoga. Es gibt auch ein Gewächshaus und einen Garten, in dem Gemüse für die Küche wächst. Außerdem eine Krankenstation, die von der deutschen NGO DocMobile betrieben wird. Nachmittags ist hier schon einiges los, aber alles friedlich, und beeindruckend in seiner Vielfalt. Es gibt auch ein geschütztes Zentrum für Frauen mit Problemen.

Mehrfach hatte man mir in Gesprächen von einem Haus in Mytilini erzählt, das sich wirklich nur um Flüchtlingsfrauen kümmert. Es heißt Bashira Centre und ist ein Tageszentrum für geflüchtete Frauen auf Lesbos. Im Internet gibt es eine eigene Webseite, aber die genaue Adresse erfährt man nicht. Wahrscheinlich werden betroffene Flüchtlingsfrauen gezielt in den Lagern angesprochen bzw. die Adresse unter ihnen von Mund zu Mund weitergegeben, um möglichst ungestört zu bleiben.

In Mytilini bin ich zufällig in einem Café mit einer Frau ins Gespräch gekommen. Eine irische Rentnerin, die hierher gekommen ist, um ihren Sohn zu besuchen, der als Sozialarbeiter bei "Ärzte ohne Grenzen" in der Nähe von Moria arbeitet. Sie wollte aber die zwei Wochen vor Ort auch dazu nutzen, als Volunteer in einem Haus nur für Frauen zu arbeiten, das etwas außerhalb von Mytilini liegt. Höchstwahrscheinlich wird es sich um dieses Bashira handeln.

Mosaik Support Center

Im Zentrum von Mytilini gibt es in einer Querstraße zur Einkaufsstraße Odós Ermoú das Mosaik Support Center. Es wird von der NGO Lesvos Solidarity betrieben, die auch das Pikpa Camp betreibt. Ich hatte es vor zwei Jahren bereits besucht, und mich damals gut mit dem Deutschen Julian unterhalten, der dieses Zentrum sehr engagiert geführt hatte.

Mittlerweile ist Julian nicht mehr hier, aber das Zentrum hat sich gut entwickelt und bietet immer noch seine zwei Aktivitäten an, nämlich Sprachkurse in verschiedenen Sprachen für Flüchtlinge und Volunteers sowie "Workshops" (Werkstätten) für Upcycling.

In einem der Workshops werden verschiedenste Materialien wie Kunststoff, Blechdosen oder Glasflaschen kreativ für Neues eingesetzt. Im zweiten Workshop werden aus Rettungswesten und Schlauchbooten Taschen, Sitzwürfel etc. gefertigt. In den Workshops arbeiten hauptsächlich Flüchtlinge.

Die hier aufgeführten Einrichtungen und NGOs (es gibt noch eine ganze Reihe mehr davon), die sich vornehmlich an Flüchtlinge aus Moria wenden, zeigen sehr deutlich, dass es mit der Versorgung und Verpflegung im Camp Moria nicht weit her sein kann.

Es gibt ein weiteres Projekt in Mytilini, von ganz anderer Art, das aber ebenfalls Hoffnung macht. Mitten im Zentrum haben vier Frauen, nämlich Flüchtlinge zusammen mit Leuten von NGOs und Einheimischen, das Restaurant Nan gegründet. Diese Art der Selbsthilfe will die Menschen zusammenbringen, aber auch die Flüchtlinge selbst hier in der Stadt besser integrieren.

Das passt sehr gut in diese multikulturelle Hafenstadt. Die Küche ist dabei griechisch und orientalisch, hier arbeiten und kochen mehrere Flüchtlinge. Ansonsten ist es nämlich sehr schwer für sie, überhaupt Arbeit zu finden.