Lesvos, mon amour

"Friedhof der Rettungswesten" auf Lesbos. Foto: Peter Oehler

Die Flüchtlingsproblematik auf Lesbos

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Am Anfang haben die Ortsansässigen von Molivos, Petra und Eftalou an der Nordküste von Lesbos den ankommenden Bootsflüchtlingen geholfen, ihnen zu Essen gegeben etc. Das war bis September 2015 so gewesen. Denn dann kamen immer mehr. Irgendwann haben daraufhin die Einheimischen dicht gemacht. Deshalb waren die ausländischen NGOs so wichtig, um den ankommenden Flüchtlingen zu helfen. Aber auch vor Ort haben sich NGOs gebildet (zum Beispiel Starfish Foundation).

Seit längerem ist es wieder ruhiger geworden, aber nach wie vor kommen zirka drei Boote pro Tag an der Nordküste an. Außer bei Südwind. Wohlbemerkt, seit zwanzig Jahren kommen Flüchtlinge von der türkischen Küste hierher. Ich war im Sommer 2016 hier gewesen und jetzt diesen Sommer wieder. Ich habe mit vielen Einheimischen und Leuten von NGOs gesprochen, vor zwei Jahren und jetzt, so dass ich sehr genau beobachten konnte, was sich in der Zwischenzeit geändert hat.

Über den sogenannten Hotspot Moria wird in den deutschen Medien ausführlich berichtet. Aber über den Rest der Insel so gut wie gar nicht. Molivos und Petra sind ja die Hochburgen des Tourismus auf Lesbos. Und im Jahr 2016 ist der Tourismus dort gegenüber dem Vorjahr um 80 Prozent eingebrochen. Mittlerweile hat er sich schon wieder etwas erholt, so die einhellige Meinung. Auch an den Stränden und in den Gassen tummeln sich wieder mehr Touristen, so mein Eindruck.

Veränderungen

Wobei es auch kritische Stimmen unter den Einheimischen gibt, die sagen, dass der Einbruch des Tourismus-Geschäfts auch andere Gründe hat. Zum Beispiel im Sommer 2015 die Angst der Touristen, in Griechenland kein Geld aus den Geldautomaten zu bekommen. Oder wegen der Reiseveranstalter, die Flüge gestrichen haben oder zu teuer anbieten.

Überall wird hier versucht, die Preise zu drücken. Immer mehr Hotels hier in der Gegend bieten "All inclusive" an, unterbieten sich dabei gegenseitig. Die Touristen essen und trinken nichts mehr außerhalb, was den Tavernen und Kafenia das Leben schwer macht.

Wenn man von Molivos, das am westlichen Ende der Nordküste liegt, Richtung Osten fährt, so gelangt man zuerst nach Eftalou. Hier betreiben die Engländer Eric und Philippa K. einen (Work-)Shop, in dem sie handgefertigten Schmuck aus Olivenholz, Skulpturen, Gemälde (die überwiegend die Flüchtlingsproblematik thematisieren) etc. verkaufen.

Ein idylisches Anwesen

Das idyllische Anwesen inmitten eines Olivenhains, mit schönem Garten und zugewachsener Laube betreiben die beiden seit 17 Jahren. Außerdem sind sie sehr engagiert in der Flüchtlingshilfe. Aber seit der Flüchtlingskrise haben sie massive Probleme mit der Bevölkerung von Molivos. Es herrscht die naive Meinung, wenn die K. weg sind und keiner mehr den Flüchtlingen hilft, dann kommen sie auch nicht mehr.

Der Streit gipfelte jetzt in der Kündigung, so dass die K. dieses Anwesen bis Ende des Jahres räumen müssen. Man hat mir erzählt, dass die K. schon seit langem unten durch sind. Es heißt, dass Eric seinerzeit den Flüchtlingen gesagt hat, dass es von hier aus keinen Bus nach Moria gibt, sie also zu Fuß gehen müssten. Er hat dann von ihnen, erschöpft wie sie waren, Fotos gemacht und an die BBC verkauft.

Ich kann diesen Vorwurf nicht beurteilen, kann nur sagen, dass ich die K., die ich ja bereits 2016 besucht hatte, als sehr engagierte und aufrichtige Menschen wahrgenommen habe, die meine Hochachtung haben.

Das Lighthouse Camp

Gleich östlich von Eftalou beginnt der Strand von Eftalou. Hier sind im Herbst 2015 die meisten Flüchtlinge angekommen. Seit langem ist der Strand wieder sehr sauber. Auch trifft man hier schon wieder auf Nacktbadende (was hier toleriert wird, in Griechenland ansonsten ja sehr verpönt ist).

Wenn man dann auf einer schlechten Schotterpiste an der Küste entlang Richtung Osten weiterfährt, kommt man an den Überresten eines Camps des International Rescue Committee vorbei. Wie mir Philippa erzählt hat, wurde bei diesem Projekt der ehemaligen Bush-Administration (Condoleezza Rice, Colin Powell) viel Geld verschwendet, es gab auch Korruption.

Die Schotterstraße endet in Skala Sikamineas. In der Nähe des Strandes gelegen stehen auch nur noch die Überreste des Lighthouse Camps. Vor zwei Jahren habe ich hier für einige Tage als Volunteer mitgearbeitet, beim sogenannten "Beach Cleaning", sowie bei zwei "Landings" von Flüchtlingsbooten bin ich dabei gewesen.

Im Juli 2017 musste dieses Camp auf Anordnung des Staates geräumt werden. Die NGO Lighthouse Relief ist seitdem an der Stage Two beteiligt, die oberhalb von Skala Sikamineas liegt und vom UNHCR betrieben wird.

Der Einsatz der Volunteers erstreckt sich bis an die östliche Spitze der Nordküste, an der der kleine Leuchtturm Korakas steht. Früher war hier rund um die Uhr ein Mann von "Ärzten ohne Grenzen" stationiert. Er hat mit Unterstützung von Volunteers vom Lighthouse Camp dafür Sorge getragen, dass insbesonders nachts ankommende Boote nicht an gefährlichen Küstenabschnitten landen.

Dieser Mann wurde mittlerweile von Einheimischen bedroht, und darauf hin von "Ärzten ohne Grenzen" abgezogen. Aber die Volunteers von Lighthouse Relief sind noch hier. Nachmittags kann man sie, überwiegend junge Leute, nach getaner Arbeit im Goji Café am idyllischen kleine Hafen von Skala Sikamineas sitzen sehen.

Die Tour der Flüchtlinge auf Lesbos

Flüchtlinge, die hier an der Nordküste ankommen, werden, nachdem sie mit dem Nötigsten versorgt worden sind, umgehend in die Stage Two gebracht.

Auf der Straße hoch nach Mandamados liegt am Abzweig nach Klio noch eine alte Käsefabrik. Sie wird mittlerweile bei Bedarf ebenfalls zur kurzzeitigen Unterbringung von angekommenen Flüchtlingen verwendet (NGO Borderline). Aber schon nach kurzer Zeit werden die Flüchtlinge der Nordküste mit Bussen ins Camp Moria gebracht.

Foto: Peter Oehler

Damit sind die NGOs hier vor Ort gut eingebunden in dieses System, das die an der Nordküste ankommenden Flüchtlinge möglichst rasch entfernt. Sinn und Zweck ist vornehmlich, den Tourismus hier möglichst nicht zu beeinträchtigen.

Und so wird ein Tourist (mich eingeschlossen) hier in der Gegend auch keinen einzigen Flüchtling zu Gesicht bekommen. Auf einen Schandfleck soll aber noch hingewiesen werden: Wenn man auf der Straße von Molivos nach Eftalou rechts abbiegt, über eine Schotterpiste etwas in die Berge hineinfährt, gelangt man zu einer wilden Müllkippe.

Hier lagern Zigtausende Rettungswesten, zerschnittene Schlauchboote, ganze und Teile von Schiffswracks. Seit 2016 hat sich wenig verändert, außer dass die Rettungswesten schon etwas ausgeblichen sind von der Sonne. Aber dieser "Friedhof der Rettungswesten" stört hier niemanden, da wohl kein Tourist hierhin gelangen wird.

Nachdem ich mich zwei Wochen an der Nordküste aufgehalten hatte, bin ich noch für eine Woche nach Mytilini gefahren, habe mich dort in einer einfachen Pension einquartiert. Mit dem Bus in Richtung Norden ist man relativ bald beim Camp Kara Tepe, an der Landstraße oberhalb von Lidl gelegen.

Das Hope Project

Dieses von der Stadt Mytilini betriebene Camp, inmitten von Olivenbäumen und nahe am Meer gelegen, beherbergt nur Familien, insgesamt 250 Flüchtlinge. Als jemand, der weder Flüchtling, noch Mitarbeiter einer NGO oder gar Journalist ist, kommt man hier nicht hinein. Aber auf der anderen Straßenseite werden drei Lagerhallen von The Hope Project betrieben.

Hier treffe ich Eric K. wieder, da die Ks dieses Projekt initiiert haben. The Hope Project ist bewusst keine NGO (An einem der Eingänge steht auf einem Schild handgeschrieben: "WE ARE NOT N.G.O. Independent Volunteers"). Es gibt keine Angestellten, keine Gehälter.

Damit unterscheidet sich das Hope Project von vielen NGOs, die für ihre Flüchtlingsarbeit vom griechischen Staat beauftragt und auch (mit Geld der EU) bezahlt werden. Bei diesen - oftmals ausländischen - NGOs ist dann immer schnell der Vorwurf zu hören, dass sie nichts für ihr Geld tun, dass sie an den Flüchtlingen verdienen.

Diese Meinung ist gerade bei vielen Griechen zu hören. The Hope Project arbeitet dagegen nur mit Sach- und Geldspenden. In den Lagerhallen sind insbesondere untergebracht: eine Kleiderkammer und der Arts-Bereich, wo Flüchtlinge malen und musizieren können. Aus den Bildern, die hier an der Wand hängen, kann man ersehen, dass die Flüchtlinge beim Malen auch die traumatischen Erlebnisse ihrer eigenen Flucht verarbeitet haben. Ich arbeite diese eine Woche in der Kleiderkammer mit.

Foto: Peter Oehler

Mit zwei jungen Engländerinnen zusammen sind wir die einzigen "Western people", denn ansonsten arbeiten hier nur Flüchtlinge oder ehemalige: zehn bis zwölf aus Afghanistan, Syrien, Irak oder den afrikanischen Staaten.

Einige von ihnen leben im Camp Moria, und nur ihnen ist es erlaubt, dort ein- und auszugehen. Sie gehen dabei regelmäßig durchs Camp, achten auf Neuzugänge und verteilen Gutscheine, die zu einem einmaligen Besuch an einem bestimmten Tag in der Kleiderkammer einladen.

Oftmals kommen ganze Familien hier an, die dann mit etwas Hektik in einem Rutsch alle eingekleidet werden. Dabei geht es nicht darum, dass die Kleidung möglichst chic ist, sondern dass sie passt. Auf einem Schild steht auch extra geschrieben: "This is not a Supermarket".

Neben den Klamotten werden auch Hygieneartikel mitgegeben. Im hinteren Bereich der Kleiderkammer, da wo die Kunden nicht hinkommen, rollen zwei junge Muslime mehrmals am Tag ihre Gebetsteppiche aus, um gen Osten zu beten. Kleinen Kindern wird hier immer besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt, und meist bekommen sie auch ein Stofftier oder Ähnliches dazu.

Von Familien mit Babies werden meistens Fotos, auch Selfies, gemacht, zur Dokumentation. Neben den Warenhäusern steht eine mobile Küche: Ein großer, knallgelber Container mit voll ausgestatteter Küche nebst Kühlschränken.

Er ist von einer spanischen NGO gespendet worden und wird dazu benutzt, um allen Flüchtlingen, die die Kleiderkammer besucht haben, nach ihrem Besuch eine warme Mahlzeit anzubieten. Außerdem werden vom Hope Project noch zusätzlich dreißig Familien mit Lebensmitteln versorgt.

Camp Moria und das Pikpa Camp

Bei meinem ersten Besuch vor zwei Jahren beschränkte sich das Camp Moria wirklich auf den ummauerten Militärkomplex, und galt schon damals als überfüllt. Mittlerweile ist Moria zweigeteilt: das eigentliche Camp und der "Wild West"-Bereich, der sich in den Olivenhainen nördlich des Camps ausgebreitet hat.

Bei meinem Streifzug durch den "offenen" Bereich treffe ich auch einen kleinen Jungen, dem ich am Vormittag in der Kleiderkammer beim Einkleiden geholfen hatte. Er zeigt mir das Zelt, wo er mit seiner ganzen Familie auf engstem Raum lebt.

Von den zehntausend Flüchtlingen auf Lesbos sind 8.500 im Camp Moria untergebracht. Sowohl beim Hope Project als auch hier vor Ort unterhalte ich mich mit Flüchtlingen. Alle sprechen wegen der Zustände nur negativ über Moria. Das ist schon beachtenswert, da die beiden anderen Camps hier in der Gegend nur lobend erwähnt werden: Kara Tepe und das Pikpa Camp. Das Pikpa Camp befindet sich in unmittelbarer Nähe des Flughafens und beherbergt besonders verletzliche Flüchtlinge, maximal 100 Personen.

Pikpa Camp

Vor zwei Jahren hatte ich dort für ein paar Tage als Volunteer gearbeitet. Diesmal mache ich nur einen kurzen Besuch, und finde ein sehr ruhiges und friedvolles Lager vor. Aber wo die Flüchtlinge auch untergebracht sind, kennzeichnet sie doch eine Gemeinsamkeit: Fast alle Flüchtlinge sind am warten. Sie haben entweder noch kein Interview gehabt, oder das erste oder das zweite. Oder sie warten auf einen Bescheid. Solange sie warten, sind sie "blue"; erst wenn sie "black" sind, dürfen sie Lesbos verlassen.

Vielen gefällt Griechenland nicht (wohl wegen der Umstände), und so möchten sie bloß weg von hier. Und so warten sie und die Jahre ziehen durchs Land. Das eigentliche Camp Moria ist mittlerweile auch in drei geschützte Sektionen aufgeteilt: Es gibt Bereiche für Familien, für Single-Männer und für Single-Frauen. Eine junge Afghanin erzählte mir davon, und ich hatte nicht den Eindruck, dass sie sich dort bedroht oder belästigt fühlt. Das wird in dem wilden Bereich aber wieder ganz anders sein.

90 Euro monatlich als Taschengeld für Männer, 50 Euro für die Frauen

Männer bekommen übrigens 90 Euro pro Monat als Taschengeld, ihre Frauen dagegen nur 50 Euro und Kinder lediglich 40 Euro. Single-Frauen erhalten aber auch ihre 90 Euro. Das ummauerte Lager, oben herum mit Nato-Stacheldraht geschützt, ist offiziell immer noch Militärgebiet. Damit wird heuchlerisch ein Fotografierverbot begründet. Ein Flüchtling meinte dagegen zu mir, man dürfe keine Fotos machen, damit die Welt nicht sieht, wie schlimm es hier ist.

Vor zwei Jahren war ich beim Fotografieren wohl etwas unvorsichtig gewesen, befand mich deshalb unversehens im Camp, und wurde von Polizisten mehrfach befragt, ob ich Journalist sei. Ich wurde dann genötigt, meine Fotos, die das Lager an sich zeigen, zu löschen. Diesmal habe ich meine Fotos etwas dezenter gemacht. Auch konnte ich beobachten, wie zwei Flüchtlinge an einer nicht bewachten Stelle geschickt über den Nato-Stacheldraht ins Camp eingestiegen sind.

One Happy Family

Ganz in der Nähe von Kara Tepe befindet sich auch das One Happy Family. Am Eingang ist ein Security Guard, der einen interessierten Besucher aber hineinführt, und man bekommt eine Führung. Es ist ein Gemeinschaftszentrum, in dem keine Flüchtlinge leben, sondern von außerhalb kommen, überwiegend aus Moria. Es wurde im April 2017 von einer Schweizer NGO gegründet und hat sich gut entwickelt. Insgesamt kommen 800 Flüchtlinge täglich, geöffnet Montag bis Samstag von 12 bis 19:30.

Dazu gehört eine Schule, die von einer israelischen NGO ausgerichtet wird, und in der 300 Flüchtlingskinder lernen. Für die Kinder sind Busse eingerichtet worden, die sie aus Moria abholen. Hier ist also die größte Schule für Flüchtlingskinder auf ganz Lesbos. Das weitläufige Gelände befindet sich auf einer Anhöhe, so dass man von manchen Stellen einen schönen Blick aufs Meer hat. Für alle gibt es ein kostenloses Mittagessen um 16 Uhr.

Mehr als zwanzig Aktivitäten werden hier den Flüchtlingen angeboten, wie Basketball, Boxen oder Yoga. Es gibt auch ein Gewächshaus und einen Garten, in dem Gemüse für die Küche wächst. Außerdem eine Krankenstation, die von der deutschen NGO DocMobile betrieben wird. Nachmittags ist hier schon einiges los, aber alles friedlich, und beeindruckend in seiner Vielfalt. Es gibt auch ein geschütztes Zentrum für Frauen mit Problemen.

Mehrfach hatte man mir in Gesprächen von einem Haus in Mytilini erzählt, das sich wirklich nur um Flüchtlingsfrauen kümmert. Es heißt Bashira Centre und ist ein Tageszentrum für geflüchtete Frauen auf Lesbos. Im Internet gibt es eine eigene Webseite, aber die genaue Adresse erfährt man nicht. Wahrscheinlich werden betroffene Flüchtlingsfrauen gezielt in den Lagern angesprochen bzw. die Adresse unter ihnen von Mund zu Mund weitergegeben, um möglichst ungestört zu bleiben.

In Mytilini bin ich zufällig in einem Café mit einer Frau ins Gespräch gekommen. Eine irische Rentnerin, die hierher gekommen ist, um ihren Sohn zu besuchen, der als Sozialarbeiter bei "Ärzte ohne Grenzen" in der Nähe von Moria arbeitet. Sie wollte aber die zwei Wochen vor Ort auch dazu nutzen, als Volunteer in einem Haus nur für Frauen zu arbeiten, das etwas außerhalb von Mytilini liegt. Höchstwahrscheinlich wird es sich um dieses Bashira handeln.

Mosaik Support Center

Im Zentrum von Mytilini gibt es in einer Querstraße zur Einkaufsstraße Odós Ermoú das Mosaik Support Center. Es wird von der NGO Lesvos Solidarity betrieben, die auch das Pikpa Camp betreibt. Ich hatte es vor zwei Jahren bereits besucht, und mich damals gut mit dem Deutschen Julian unterhalten, der dieses Zentrum sehr engagiert geführt hatte.

Mittlerweile ist Julian nicht mehr hier, aber das Zentrum hat sich gut entwickelt und bietet immer noch seine zwei Aktivitäten an, nämlich Sprachkurse in verschiedenen Sprachen für Flüchtlinge und Volunteers sowie "Workshops" (Werkstätten) für Upcycling.

In einem der Workshops werden verschiedenste Materialien wie Kunststoff, Blechdosen oder Glasflaschen kreativ für Neues eingesetzt. Im zweiten Workshop werden aus Rettungswesten und Schlauchbooten Taschen, Sitzwürfel etc. gefertigt. In den Workshops arbeiten hauptsächlich Flüchtlinge.

Die hier aufgeführten Einrichtungen und NGOs (es gibt noch eine ganze Reihe mehr davon), die sich vornehmlich an Flüchtlinge aus Moria wenden, zeigen sehr deutlich, dass es mit der Versorgung und Verpflegung im Camp Moria nicht weit her sein kann.

Es gibt ein weiteres Projekt in Mytilini, von ganz anderer Art, das aber ebenfalls Hoffnung macht. Mitten im Zentrum haben vier Frauen, nämlich Flüchtlinge zusammen mit Leuten von NGOs und Einheimischen, das Restaurant Nan gegründet. Diese Art der Selbsthilfe will die Menschen zusammenbringen, aber auch die Flüchtlinge selbst hier in der Stadt besser integrieren.

Das passt sehr gut in diese multikulturelle Hafenstadt. Die Küche ist dabei griechisch und orientalisch, hier arbeiten und kochen mehrere Flüchtlinge. Ansonsten ist es nämlich sehr schwer für sie, überhaupt Arbeit zu finden.

Geht ist um Menschlichkeit oder um die "Festung Europa"?

In einem Café in Mytilini treffe ich eine junge Deutsche. Sie ist seit mehr als zwei Jahren hier, und zwar über Volunteers for Lesvos.

Dieses Projekt des Berliner Vereins Respekt für Griechenland ist keine NGO, sondern unterstützt Leute, die hier vor Ort bei einer NGO aktiv werden wollen. Es finanziert bis zu einer bestimmten Höhe den Flug, gibt eine Unterkunft und ein Taschengeld zum Leben.

Die junge Deutsche selbst ist dabei bei keiner NGO, bzw. sie ist ihre eigene NGO. Sie hilft im Süden von Lesbos, in der Nähe des Flughafens, ankommenden Bootsflüchtlingen. Dort kommt alle ein, zwei Wochen ein Boot an. Sie hat auch die administrativen Tätigkeiten von Volunteers for Lesvos übernommen. Wenn das ausläuft, möchte sie aber trotzdem hierbleiben, und notfalls kellnern.

Bei den verschiedenen NGOs und anderen Einrichtungen mit denen ich zu tun gehabt habe, habe ich gegenüber 2016 zwei deutliche Veränderungen wahrgenommen. Zum einen werden keine Volunteers mehr kurzzeitig eingesetzt. Die meisten NGOs verlangen von einem Volunteer mindestens zwei Wochen Anwesenheit, Lighthouse Relief sogar drei Wochen.

Bei Lighthouse Relief hatte ich vor zwei Jahren zum Beispiel nur für drei Tage mitgearbeitet. Aber die Praxis hat wohl gezeigt, dass solch kurze Einsätze kaum etwas bringen, da die Volunteers sich erst einarbeiten müssen.

Zum zweiten konnte ich feststellen, dass mittlerweile möglichst auch Flüchtlinge selbst als Volunteers eingesetzt werden. Das macht auch Sinn, da sie oftmals genügend freie Zeit haben und im Umgang mit Flüchtlingen (zum Beispiel den "Kunden" in einer Kleiderkammer) sogar den Vorteil haben, eventuell deren Sprache zu sprechen.

Für mich war das eine gute Erfahrung, mich mit Flüchtlingen zu unterhalten, ihr freundliches Wesen wahrzunehmen, auch mit manchen von ihnen zusammenzuarbeiten. Den direkten Kontakt kann ich jedem nur wünschen, der schlecht über Flüchtlinge redet. Wobei keiner dazu nach Griechenland oder anderswohin fahren muss. Auch in Deutschland habe ich Kontakt zu zahlreichen Flüchtlingen, gehöre damit aber wahrscheinlich einer Minderheit an.

Verhungern oder irgendwie verkommen muss auf Lesbos kein Flüchtling. Aber es drängt sich schon der Verdacht auf, dass ihr Leben hier - also genau zwischen Europa und Asien, und noch nicht in Zentralgriechenland (denn das wäre ja schon Europa) - bewusst erbärmlich gehalten wird. Das Argument, andernfalls kämen ja immer mehr, ist nicht von der Hand zu weisen.

Aber worum geht es hier denn eigentlich? Geht ist um Menschlichkeit oder um die "Festung Europa", diese Trutzburg des Kapitalismus, die mit allen Mitteln verteidigt werden soll? Die europäischen Werte, allen voran die Demokratie der griechischen Antike, sind dabei doch schon längst verlustig gegangen, sind über Bord gegangen und ertrunken, wie die zahlreichen Bootsflüchtlinge im Mittelmeer.