Lesvos, mon amour

Seite 4: Geht ist um Menschlichkeit oder um die "Festung Europa"?

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In einem Café in Mytilini treffe ich eine junge Deutsche. Sie ist seit mehr als zwei Jahren hier, und zwar über Volunteers for Lesvos.

Dieses Projekt des Berliner Vereins Respekt für Griechenland ist keine NGO, sondern unterstützt Leute, die hier vor Ort bei einer NGO aktiv werden wollen. Es finanziert bis zu einer bestimmten Höhe den Flug, gibt eine Unterkunft und ein Taschengeld zum Leben.

Die junge Deutsche selbst ist dabei bei keiner NGO, bzw. sie ist ihre eigene NGO. Sie hilft im Süden von Lesbos, in der Nähe des Flughafens, ankommenden Bootsflüchtlingen. Dort kommt alle ein, zwei Wochen ein Boot an. Sie hat auch die administrativen Tätigkeiten von Volunteers for Lesvos übernommen. Wenn das ausläuft, möchte sie aber trotzdem hierbleiben, und notfalls kellnern.

Bei den verschiedenen NGOs und anderen Einrichtungen mit denen ich zu tun gehabt habe, habe ich gegenüber 2016 zwei deutliche Veränderungen wahrgenommen. Zum einen werden keine Volunteers mehr kurzzeitig eingesetzt. Die meisten NGOs verlangen von einem Volunteer mindestens zwei Wochen Anwesenheit, Lighthouse Relief sogar drei Wochen.

Bei Lighthouse Relief hatte ich vor zwei Jahren zum Beispiel nur für drei Tage mitgearbeitet. Aber die Praxis hat wohl gezeigt, dass solch kurze Einsätze kaum etwas bringen, da die Volunteers sich erst einarbeiten müssen.

Zum zweiten konnte ich feststellen, dass mittlerweile möglichst auch Flüchtlinge selbst als Volunteers eingesetzt werden. Das macht auch Sinn, da sie oftmals genügend freie Zeit haben und im Umgang mit Flüchtlingen (zum Beispiel den "Kunden" in einer Kleiderkammer) sogar den Vorteil haben, eventuell deren Sprache zu sprechen.

Für mich war das eine gute Erfahrung, mich mit Flüchtlingen zu unterhalten, ihr freundliches Wesen wahrzunehmen, auch mit manchen von ihnen zusammenzuarbeiten. Den direkten Kontakt kann ich jedem nur wünschen, der schlecht über Flüchtlinge redet. Wobei keiner dazu nach Griechenland oder anderswohin fahren muss. Auch in Deutschland habe ich Kontakt zu zahlreichen Flüchtlingen, gehöre damit aber wahrscheinlich einer Minderheit an.

Verhungern oder irgendwie verkommen muss auf Lesbos kein Flüchtling. Aber es drängt sich schon der Verdacht auf, dass ihr Leben hier - also genau zwischen Europa und Asien, und noch nicht in Zentralgriechenland (denn das wäre ja schon Europa) - bewusst erbärmlich gehalten wird. Das Argument, andernfalls kämen ja immer mehr, ist nicht von der Hand zu weisen.

Aber worum geht es hier denn eigentlich? Geht ist um Menschlichkeit oder um die "Festung Europa", diese Trutzburg des Kapitalismus, die mit allen Mitteln verteidigt werden soll? Die europäischen Werte, allen voran die Demokratie der griechischen Antike, sind dabei doch schon längst verlustig gegangen, sind über Bord gegangen und ertrunken, wie die zahlreichen Bootsflüchtlinge im Mittelmeer.