Let's talk about cult, Baby

Was eine Perlenkette mit einem iPhone gemeinsam hat - und was sie voneinander unterscheidet

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Als Jesus von Nazareth schon einige Berühmtheit erlangt hatte und ihm die Fans in Scharen zuströmten, stieg er auf einen Berg und sagte dort unter anderem, man solle Perlen nicht vor die Säue werfen. Gemäß der Einheitsübersetzung repräsentieren diese Perlen der Bergpredigt das Heilige, womit ursprünglich das Fleisches-Opfer bezeichnet sein soll.

Auch der Teufel weiß Perlen in höchsten Tönen zu loben. Jedenfalls bei Goethe, in dessen Faust er sagt, dass ein eigner Herd und ein braves Weib nicht nur des Goldes, sondern sogar der Perlen wert sind. Und Mohammed verspricht (in den Suren 22 und 35), dass die Gläubigen, die in die Gärten von Eden einziehen dürfen, dort ebenfalls mit Perlen geschmückt sein werden.

Jedenfalls galt die Perlenkette einst als unermesslich wertvoll und das meint: sie war dem Warencharakter entzogen, auch wenn sie nicht Adornos „reinem Kunstwerk” entsprach – sie war aber Kult. Und ihr Kult-Status beruhte eben gerade darauf, dass sie nutzlos war. Man konnte mit ihr zum Beispiel nicht telefonieren. Aber auch der ästhetische Reiz lag in keinem Verhältnis zum Preis, man konnte und kann auch mit billigem Modeschmuck schick aussehen – allein es ist Schicksal aller Simulation, dass sie der Zeit in hohem Maß unterworfen ist.

Und so wurde schon vor mehr als hundert Jahren mit dem Patent auf die Zuchtperle das Ende dieses Kults eingeleitet. Wenn daher Internethändler heute das „hervorragende Preis-Leistungsverhältnis” bewerben, dann zerstören diese Ahnungslosen damit auch noch den letzten Rest des einstigen Kultes um die Perle. Denn warum sollte ich dort 500 Euro bezahlen, wenn eine Kette aus dem Supermarkt für 30 Euro das gleiche leistet?

„Das Zeugsein des Zeugs besteht in seiner Dienlichkeit”, könnten wir also mit Heidegger über das Verschwinden des Schönen jammern. Er meint ja damit, dass ein Ding gerade dadurch „verödet”, wie er sagt, weil es eben kein nutzloses, sondern vielmehr in nützliches Zeug ist. Das macht den Unterschied zwischen einem Paar Bauernschuhen und einem Kunstwerk aus. Heidegger wählt als Beispiel ein Gemälde von van Gogh. Mit diesem Bild von Schuhen kann man zwar nicht laufen, aber sie enthüllen uns die verborgene Wahrheit von Bauernschuhen, meint er und irrt mindestens insofern, dass es sich beim fraglichen Bild gar nicht um Bauernschuhe handelt, sondern um die des Malers selbst. Aber darauf käme es ja gar nicht an, würde er sich wohl verteidigen, vielmehr eben, dass man mit dem Bild nicht laufen könne und das gemalte Schuhwerk uns eben darum die verborgene Wahrheit von Schuhen enthüllen könnte.

Wie wäre es mit einem Telefon, mit dem man nicht telefonieren kann?

Zumindest dem Kriterium der Nutzlosigkeit käme es doch nahe und verfügte so wenigstens über dieses notwendige Attribut eines echten Kultobjektes, dem also Pflege und Verehrung zusteht. Aber gibt es denn sowas?

Tatsächlich reißen sich um solche Dinger zur Zeit bei eBay etwa zehn mal mehr Kaufinteressenten, als überhaupt angeboten werden. Und obwohl die Verkäufer meist ausdrücklich darauf hinweisen, dass man mit diesen iPhones jedenfalls in Deutschland nicht telefonieren kann und auch an die anderen Funktionen nur mit einem Trick herankommt, sind sie oft bereit, nahezu das Doppelte des Ladenpreises zu bezahlen.

Ein Techniker des Applehandlers Gravis meinte dazu, dass die exklusive Zuordnung zum Netzbetreiber AT&T (worüber sich sogar schon Kongressabgeordnete erregt haben) nicht mit den uns bisher bekannten simlocks vergleichbar sei, für die regelmäßig Hacks ins Internet gestellt werden. Da die Aktivierung in den USA derzeit direkt über die Mac-Software iTunes abläuft, die dann automatisch eine Verbindung zum Netzbetreiber herstellt, könnte es gut sein, dass auch noch beim offiziellen Verkaufsstart im November das Jesus-Phone, wie es in Bloggerkreisen genannt wird, weiterhin ein Telefon bleibt, mit dem man nicht telefonieren kann.

Der spanischer Sicherheitssoftwareentwickler Panda Software warnt zudem vor einer groß angelegten Betrugskampagne im Onlinehandel mit dem begehrten Ding.

Wer also diese Risiken nicht eingehen mag, reiht sich möglicherweise bei den etwas Zaghafteren ein, die zur Berliner Filiale des Gravis-Shops pilgern, um wenigstens einen Blick auf eines von den fünf Geräten werfen zu dürfen, die Gravis ab heute auf Tournee durch Deutschland schickt. Bei der Gelegenheit könnte man es dann den mehr als 56.000 Interessierten gleichtun und schonmal einen Kaufantrag unterschreiben.

Damit wäre man dann wenigstens im November bei der geplanten Markteinführung in Deutschland unter den Ersten, die ein IPhon voller Stolz ihr Eigen nennen können – vielleicht. Denn weder Gravis, noch T-Mobile können mit heutigem Stand überhaupt garantieren, dann auch wirklich die von Apple auserwählten Händler zu sein. So wollte eine Sprecherin von T-Mobile gegenüber Telepolis auch nicht die schon seit Anfang Juli kursierenden Gerüchte bestätigen, nach denen die Telefongesellschaft den Mitbewerber Vodafone aus dem Rennen geschlagen hätte, vielmehr seien die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen und daher im Prinzip noch alles offen.

Aber auch wenn alles gut geht, bleibt die Frage nach dem Preis-Leistungsverhältnis bestehen. Gizmodo, angeblich Steve Jobs Lieblingsblog in Sachen Gadgets, dessen Inhalte zum Teil auch in deutscher Sprache gelesen werden können, hat unlängst eine ausführliche und durchaus begründete Kaufwarnung ins Netz gestellt, die sich außerdem noch dadurch auszeichnet, dass der Autor Brian Lam eigentlich große Stücke auf Apple hält und auch schon lange dem iPhone entgegengefiebert hatte. Sein Urteil lautet:

The real elephant in the room is the fact that I just spent $600 on my iPhone and it can't do some crucial functions that even $50 handsets can.”

Dabei kritisiert Lam nicht etwa, dass man mit dem iPhone keine Videos aufzeichnen kann oder dass es über kein GSM verfügt, wie so manches High-End-Gerät. Was er bemängelt, sind tatsächlich Dinge, die längst zum Standard gängiger Mobiltelefone gehören:

So gäbe es keine Sprachwahl bei der Autofreisprechfunktion, Bluetooth ließe sich ausschließlich zum Telefonieren nutzen und nicht zum Datenabgleich oder zum Musikhören, wobei letzteres nicht einmal mit einem handelsüblichen Kopfhörer funktioniere, ein Doc-Reader fehle sowieso, aber auch das Notizbuch ließe sich nicht mit dem PC synchronisieren und der Safaribrowser sei, naja, etwas instabil. Den Akku könne man nicht einfach austauschen. Die vorgegeben Klingeltöne seien nicht nur hässlich, sie ließen sich auch weder durch die geladene Musik ersetzen, noch durch Downloads aus dem Internet. Auch Sprachnotizen seien mit dem Ding unmöglich. Das ist allerdings recht derbe Kritik.

Wäre es da nicht angebracht, statt sich nur über die ganz Verrückten lustig zu machen, die jetzt bei eBay 1000 Euro für ein amerikanisches iPhone ohne Phone hinblättern, sich auf der Stelle feierlich von diesem Fetisch zu distanzieren und zu schwören, auch im November keinesfalls sein Geld für ein Teil mit so einer miesen Kosten/Nutzen-Bilanz auszugeben?

Moralische Unterstützung fände man da etwa bei Michael Knott, der in der Netzwelt kritisiert, dass sich in der einen Schlange aufgeblähte Egos für ein totes Stück Plastik anstellen, während eine andere, ständig anwachsende Schlange – die Armen Amerikas, zwei Blocks weiter für Tafellebensmittel anstehen müssen. „Genauso gut könnte man T-Shirts mit der Aufschrift 'Eure Armut kotzt mich an' drucken”, meint. er.

Allein – würden wir alle diesem moralischen Appell folgen, dann wäre unsere Welt um einen wirklichen Kult ärmer und wir hätten nichts weiter erreicht, als uns einmal mehr dem ökonomischen Diktat zu beugen. „Der listige Einzelgänger ist schon der homo oeconomicus, dem einmal alle Vernünftigen gleichen”, schreibt Adorno in der "Dialektik der Aufklärung". Und so sollten wir vielleicht nicht den Schnäppchenjäger feiern, der damit prahlt, dass sein für 50 Euro erstandenes Gebrauchthandy mehr bietet, als dieses alberne iPhone, sondern uns dazu bekennen, dass wir uns auf den November freuen, wie zuletzt als Kleinkind auf das Weihnachtsfest. Und dass wir dieses Ding mit Kultstatus dann kaufen werden, so unnütz es auch sein mag.

Das wäre dann so etwas wie einst die Perlenkette. Und wenn wir es gar verschenken, obwohl wir gerade mal selbst mit Glück eines erstanden haben, dann zeigte das nur noch deutlicher, dass wir uns damit vom Warenfetisch, der an den Tausch gebunden ist, eher entfernen, als ihm zu frönen, da solcher Hype eher an eine Art Opferkult erinnert, als an den gewöhnlichen Pauschaltrip.

Diesmal ist es eben nicht Jesus, der auf einem Berg steht und den Massen was von Perlen erzählt, die man nicht vor die Säue werfen soll. Diesmal ist es das Jesus-Phone, das die Musik macht. Und es hat ein kratzfestes Display aus deutscher Herstellung. Was will man da machen? Man kann sich wohl seine Götter nicht so einfach aussuchen?

Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass beim iPhone zwar wie bei der Perlenkette der Nutzwert in keinem Verhältnis zum Preis steht, dass letztere dafür aber einen zeitlosen „Unwert” darstellt. Anders das iPhone: Schon nach zwei Jahren (so lange die derzeitige Bindung an AT&T), wird dieses Teil wohl im Heideggerschen Sinn öde geworden sein, ein abgenutztes Zeug, für das sich nur noch Schnäppchenjäger interessieren. Ihm einen echten Kult-Status dennoch nicht aberkennen zu wollen, hieße in Opposition zu Heidegger, Adorno und die meisten anderen Denker zu treten, so sie nämlich regelmäßig das Werden/Vergehen verachten und nur das Ewige, das Sein heiligen wollen.

Ihnen kann man entgegnen, dass dieses Ding eben eher einem berauschenden Fest entspricht, als einem besinnlichen Dom, einer Kultur des vergänglichen Diesseits, als des ewigen Lebens im Jenseits. Und dass zu einer solchen Feier des Dings der Kater nunmal unvermeidlich dazu gehört, genau wie umgekehrt die Zelebrierung des Jenseits das Unbedingte, das Nichts heraufbeschwört.

Wen das nicht überzeugt, der findet vielleicht Gefallen an einer durchaus praktischen Perlenkette. Sie kann auf kostengünstige Weise helfen das „Leiden der Welt” zu minimieren: als alternative Verhütungsmethode.