Letalität bei Covid-19 fünfmal höher als bei saisonaler Grippe
- Letalität bei Covid-19 fünfmal höher als bei saisonaler Grippe
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Neue Studie: Klinische Befunde und Sterblichkeit bei stationären Patienten mit Covid-19 und saisonaler Influenza im direkten Vergleich
Eines der Hauptargumente der jetzt durch die Lockdown-Maßnahmen auf den Straßen ausgebremsten Querdenken-Bewegung, zu deren politischer Soziologie gerade eine erste wissenschaftliche Untersuchung vorgelegt wurde1, war von Anfang an die Behauptung, Covid-19 sei nicht gefährlicher als die saisonale Grippe2. Deshalb seien besondere Maßnahmen zu Eindämmung der Corona-Pandemie auch nicht erforderlich. In einer Reihe von Artikeln habe ich mich in Telepolis mit diesen Covid-19 relativierenden und verharmlosenden Behauptungen auseinandergesetzt3.
In einer ersten Bilanz habe ich mich unter anderem auf eine Anfang April 2020 veröffentlichte Analyse des Schweizer Mediziners und praktizierenden Herzchirurgen Paul Robert Vogt gestützt und bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass SARS-CoV-2, das neue Coronavirus, das Covid-19 verursachen kann, zwar kein "Killer-Virus", aber sehr wohl für viele Menschen gefährlich ist und nicht unterschätzt werden darf4. In weiteren Artikeln habe ich dann die Ergebnisse neuerer Studien aus europäischen Ländern, die mit Deutschland hinsichtlich der Alterszusammensetzung vergleichbar sind, aufgezeigt. Diese Untersuchungen haben ergeben, dass die bevölkerungsbezogene Letalitätsrate bei Covid-19, gemessen als Infizierten-Sterblichkeitsrate beziehungsweise Infection Fatality Rate (IFR), wahrscheinlich in der Größenordnung von 0,5 bis 1 Prozent liegt 5.
Das bedeutet, dass im Falle einer Infektion mit dem Coronavirus 5 bis 10 von 1000 Menschen an Covid-19 versterben, sodass die Letalität bei Covid-19 wahrscheinlich fünf- bis zehnmal höher ist als bei der saisonalen Grippe. Das hat auch kürzlich eine repräsentative Seroprävalenz-Studie an 3000 Probanden in München ergeben, die für Covid-19 eine IFR von 0,76 Prozent gefunden hat6.
Von den bevölkerungsbezogenen IFR-Werten der Letalität sind die altersspezifischen IFR-Werte zu unterscheiden. Diese sind bei Kindern und jüngeren Erwachsenen sehr gering, aber steigen nach den neuesten Untersuchungen schrittweise auf 0,4 Prozent im Alter von 55 Jahren, 1,3 Prozent im Alter von 65 Jahren, 4,2 Prozent im Alter von 75 Jahren bis auf 14 Prozent im Alter von 85 Jahren an. Die Analysen zeigen, dass Covid-19 ein geringes Risiko für Kinder und jüngere Erwachsene darstellt, aber gefährlich für Erwachsene auch schon im mittleren Alter und extrem gefährlich für ältere Erwachsene ist.
Eine neue große Studie bringt weitere Klarheit
Am 12.12.2020 wurde nun im angesehenen British Medical Journal (BMJ) eine große Kohortenstudie veröffentlicht, die hinsichtlich der Gefährlichkeit von Covid-19 im Vergleich zur saisonalen Influenza aufschlussreich ist und weitere Klarheit bringt7. In dieser Studie wurden die klinischen Befunde und das Sterberisiko bei einer großen Zahl von stationären Patienten, die entweder mit Covid-19 oder saisonaler Grippe in ein Krankenhaus eingeliefert, untersucht und behandelt wurden, miteinander verglichen.
Ziel der Studie, die auf der Basis der verfügbaren Krankenunterlagen von Epidemiologen und Biostatistikern durchgeführt worden ist, war bei beiden Erkrankungen die Feststellung der Risiken für das Auftreten klinischer Befunde im Krankheitsverlauf, die die Nutzung von Ressourcen im Gesundheitswesen bestimmen. Dazu gehören die Häufigkeit und Dauer der Behandlung auf einer Intensivstation und der Verwendung mechanischer Beatmung. Davon ausgehend wurde mit einem doppelt robusten biostatistischen Ansatz die Sterblichkeit bei beiden Erkrankungen geschätzt.
In die Studie eingeschlossen wurden Patienten, die zwischen dem 1.2. und dem 17. 6. 2020 mit Covid-19 (n=3641) und zwischen dem 1.1. 2017 und dem 31.12.2019 mit saisonaler Grippe (n=12 676) in eine der Gesundheitseinrichtungen des US-Department of Veterans Affairs eingeliefert wurden. Endpunkte der Untersuchung waren der Zeitpunkt der Entlassung aus dem Krankenhaus beziehungsweise maximal 60 Tage nach dem Aufnahmedatum oder der eingetretene Tod. Die Autoren nutzten die elektronischen Gesundheitsdatenbanken des US Department of Veterans Affairs, das das größte national integrierte Gesundheitssystem in den Vereinigten Staaten betreibt.
Kovarianten in der Studie umfassten demographische Daten wie Alter, Ethnie (weiß, schwarz oder andere) und Geschlecht, Vorgeschichten von Krankheiten wie chronische Lungenerkrankungen, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zerebrovaskuläre Erkrankungen, Demenz, Diabetes mellitus, Bluthochdruck und periphere Arterienerkrankungen, die Vorgeschichte der Verwendung von Medikamenten wie Statine, Angiotensin-Converting-Enzym-Inhibitoren oder Angiotensin-Rezeptor-Blocker und nicht-steroidale entzündungshemmende Medikamente, Raucherstatus, die glomeruläre Filtrationsrate für die Abschätzung der Nierenfunktion und der Body-Mass-Index.
Die Ergebnisse der Studie waren im Einzelnen: Im Vergleich zur saisonalen Influenza waren bei Covid-19-Patienten erhöhte Risiken (Odds-Ratio bzw. Hazard Ratio) für das Auftreten eines akuten Nierenschadens um das 1,5-fache, für die Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie um das 4,1-fache, für den Einsatz von Insulin um das 1,9-fache, für schweren septischen Schock um das 4-fache, für Vasopressor-Einsatz (eine Medikamentengruppe zur Behandlung eines Kreislaufschocks) um das 4-fache, für Lungenembolie und tiefe venöse Thrombose um das 1,5-fache, für Schlaganfall um das 1,6-fache, für akute Myokarditis (Herzmuskelentzündung) um das 7,8-fache, für Arrhythmien (Herzrhythmusstörungen) und plötzlichen Herztod um das 1,8-fache, für erhöhtes Troponin (Eiweiß im Blut, das auf einen Herzschaden hinweist) um das 1,8-fache, für erhöhte Aspartat-Aminotransferase und erhöhte Alanin-Aminotransferase (Enzyme, die auf einen Leberschaden hinweisen) um das 3,2- bzw. 2,7-fache und für Rhabdomyolyse (Schädigung von quergestreifter Muskulatur) um das 1,8-fache festzustellen.
Im Vergleich zur saisonalen Influenza war Covid-19 auch mit einem 5-fach höheren Sterberisiko, einer 4-fach größeren Häufigkeit des Einsatzes von mechanischem Beatmungsgerät und einer 2,4-fach häufigeren Aufnahme auf die Intensivstation beziehungsweise einer 3-fach häufigeren Notwendigkeit für zusätzliche weitere Tage Krankenhausaufenthalt verbunden (siehe auch Fig. 1).
Die Unterschiede in den Sterberaten pro 100 Patienten zwischen Covid-19 und saisonaler Influenza waren am ausgeprägtesten bei Menschen über 75 Jahren mit chronischer Nierenerkrankung oder Demenz und bei Afro-Amerikanern mit Adipositas, Diabetes und/oder chronischen Nierenerkrankungen.
Schlussfolgerungen: Bei den ins Krankenhaus eingewiesenen Patienten mit Covid-19 im Vergleich zur saisonalen Grippe waren ein erhöhtes Risiko für extrapulmonale Organfunktionsstörungen, Tod und erhöhten Einsatz von Gesundheitsressourcen festzustellen. Diese Ergebnisse können für die globale Diskussion über die vergleichbaren Risiken von Covid-19 und saisonaler Grippe wichtig sein und die laufenden Bemühungen um die Bewältigung der globalen Pandemie von Covid-19 unterstützen.