Letzte Generation: Ein Lehrstück zum Umgang mit Kritikern

Seite 2: Meinungsfreiheit am Limit

Mit ihren Aktionen will die Letzte Generation auf das Missverhältnis zwischen dem Pariser Abkommen inklusive Bundesverfassungsgerichtsurteil, das die Politik auf die Sicherung der Zukunft der jungen Generation verpflichtet hat, und den Taten der Politik hinweisen; die Politiker sollen damit zum Handeln in die entsprechende Richtung, in die sie ja selber gehen wollen, bewegt werden.

Mit der Störung des Straßenverkehrs und den Farbaktionen geben sie sich im Gegensatz zu üblichen Demonstrationen nicht damit zufrieden, bloß ihre Unzufriedenheit mit der Politik kundzutun und dann wieder nach Hause zu gehen. Die Störungen sollen über eine unverbindliche Meinungsäußerung hinausgehen, indem sie zur Störung des Alltags werden, auf die die Politik reagieren muss.

Damit überschreitet die Letzte Generation aber die Grenzen der Meinungsfreiheit, nämlich das Recht, das Bürgern zwar erlaubt, ihre Kritik zu äußern, das aber die Kritiker auch dazu verpflichtet, Abstand davon zu nehmen, ihre Kritik durchsetzen zu wollen, in dem Fall also einen buchstäblichen "Druck der Straße" aufzubauen. Das wäre schließlich eine Einschränkung der Freiheit der Politik, die uneingeschränkt von irgendwelchen Kritikern ihre Entscheidungen nicht nur fällt, sondern auch durchsetzt.

Mit ihrem Drängen auf eine andere Politik verstößt die Letzte Generation somit gegen dieses Gebot und begeht einen Rechtsverstoß. Ihre Aktivisten werden daher nicht nur von der Straße gelöst und weggeschleppt, sondern auch bestraft:

Freiheitsstrafen ohne Bewährung, Präventionshaft, kriminelle Vereinigung – der Staat packt seine Instrumente aus, um den radikalen Protest von der Straße zu räumen.

Wolfgang Janisch, SZ, 23.5.2023

Bei aller Klage über das Vorgehen der Politik und Justiz, weiß auch hier der rechtlich geschulte Journalist, wo die Ursache des Übels anzusiedeln ist: "Der 'Letzten Generation' gelingt es gerade, Politik und Justiz zur wütenden Überreaktion zu provozieren. So etwas hat dem Staat noch nie gutgetan." (Janisch, SZ)

Und um letzteren sorgt sich schließlich ein verantwortungsvoller Journalist, der genau weiß, dass sich der Staat einen solchen Protest auf Dauer nicht gefallen lassen darf, und der deshalb einmal das ganze Menschheitsanliegen beiseitelässt und sich in Stilkritik ergeht.

Dass die Letzte Generation Rechtsverstöße begeht und daher bestraft gehört, darin sind sich Politiker wie Medienvertreter einig. Diskussionen beziehen sich dann auf die Einstufung des Rechtsvergehens und auf die Frage, ob man ihm mildernde Umstände zugestehen kann:

Gerichte verbieten ja nicht jegliche Verkehrsbehinderung – symbolische, kurzfristige Blockaden werden als kommunikativer Akt hingenommen. Wenn die Kleber die Grenzen überschreiten, dann müssen sie mit (Geld-)Strafen wegen Nötigung rechnen; sie wissen was sie tun.

Janisch, SZ

Während die einen von Nötigung reden, sprechen die anderen von krimineller Vereinigung. So CSU-Dobrindt: "Eindeutig eine kriminelle Vereinigung" (Tagesspiegel, 28.5.2023)

Der Staat verfügt im Umgang mit Kritikern offenbar über einen großen Interpretations- und Handlungsspielraum, wie sich ja gleichzeitig am Dresdener Antifa-Prozess ablesen lässt, wo ein militanter "Kampf gegen rechts" (sonst ein ehrenwerter Titel, den das Innenministerium für sich in Anspruch nimmt) auch als Werk einer kriminellen Vereinigung eingestuft wurde.

Es liest sich wie die Chronik einer unaufhaltsamen Eskalation. Wurde anfangs noch diskutiert, ob die Verkehrsblockaden der "Letzten Generation" aus Gründen des Klimaschutzes wirklich eine strafbare Nötigung seien, sind nun bereits die ersten Aktivisten zu Gefängnisstrafen ohne Bewährung verurteilt worden. Und inzwischen hält sich hartnäckig die Diskussion, ob man noch einen Schritt weiter gehen sollte. Ob die Klimaschützer als "kriminelle Vereinigung" einzustufen seien. Bisher ist das freilich eine Sondermeinung im Land Brandenburg…

SZ, 20./21.5.2023

Eskalation ist kein Prozess, der von allein in Gang kommt. Da muss es schon Leute geben, die eskalieren, auch wenn das liberale Blatt aus München keine Personen kennen will und zum unpersönlichen "man" greift, das da die Verschärfung diskutiert. Und offenbar gibt es auch hierzulande willfährige Richter, die die Intentionen dieser Diskussion gleich in Urteile umsetzen:

In München hat man daran gezweifelt, in Stuttgart hat der Generalstaatsanwalt sogar offen kein Geheimnis daraus gemacht, dass er das Vorpreschen der Neuruppiner Juristenkollegen für abenteuerlich halte. Für überzogen. Jetzt aber haben sich in München die Strafverfolger aus der Deckung bewegt und sich erstmals der Position der bislang allein auf weiter Flur stehenden Brandenburger angeschlossen.

SZ, 25.5.2023

Ein Meinungsumschwung, der bekanntlich in eine Razzia gegen die Letzte Generation mündete. Und während private Meinungsänderungen im Wesentlichen folgenlos bleiben, ist dies bei staatlichen Meinungsänderungen nicht der Fall. Wer da meinungsbildend tätig ist, ist auch kein Geheimnis, schließlich sind die Strafverfolgungsbehörden weisungsgebunden.

Meist braucht es keine Weisung, weil karrierebewusste Juristen mitbekommen, was die politische Obrigkeit von ihnen erwartet. Schließlich war es ja Herr Dobrindt, der den Vorwurf der kriminellen Vereinigung erhob, und die Frau Ministerin des Innern und der Heimat, Nancy Faser (SPD), betonte, dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen dürfe (Die Zeit, 24.5.2023). Das war nichts anderes als ein Aufruf zum Einsatz von Gewalt gegen diese Gruppe.

Paragraph 129 – Protest als Straftat

Mit dem Paragraphen 129 Strafgesetzbuch hat sich der Staat eine Rechtsgrundlage geschaffen, mit der er sehr frei mit unliebsamen Bürgern umgehen kann. Schließlich ist es die Politik, die bestimmt, was Recht ist und was nicht. Sie gibt den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten die Maßstäbe vor, nach denen diese handeln und urteilen sollen.

Strafbar macht sich, wer einer Gruppe angehört oder diese unterstützt, die strafbare Handlungen begeht. Dabei hat der Staat sich frei davongemacht, dem Einzelnen irgendwelche Tatbeteiligung nachzuweisen. Es reicht, dass er irgendwie dazu gehört oder irgendwie unterstützt. Dann drohen Freiheitsstrafen:

Mit Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht ist. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt.

§ 129 Strafgesetzbuch – StGB

Mit der Ermittlung, die jetzt gemäß diesem Paragraphen läuft, wird behauptet, der Gruppe Letzte Generation ginge es nicht um den Klimaschutz, sondern um die Begehung von Straftaten – ganz so, als ob die Störungen des Straßenverkehrs Selbstzweck wären. Die Aktion gegen die Gruppe zeigt aber auch, dass es gar keine Verurteilung braucht, um sie politisch zu erledigen. Es reicht ein Anfangsverdacht:

Die bayrischen Terrorermittler leiten ihren Verdacht nun aus der Finanzierung der Gruppe und ihren Aktionen her. Die Fahnder werfen den Beschuldigten vor, eine Spendenkampagne zur Finanzierung weiterer Straftaten für die "Letzte Generation" organisiert zu haben.

SZ, 25.5.2023

Konsequenz war die Beschlagnahme der Konten der Organisation, die Sperrung der Website und die Anklage auch von Mitgliedern, die sich nicht an Aktivitäten beteiligt hatten. Zudem setzte die Staatsanwaltschaft eine Drohung ins Netz:

Achtung: Spenden an die Letzte Generation stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!

SZ, 26.5.2023

Auch wenn diese Drohung bald zurückgezogen wurde, steht sie im Raum und dokumentiert den Versuch, der Letzten Generation die finanzielle Unterstützung abzuschneiden. Mit der Beschlagnahme der Konten, Rechner und Akten, der finanziellen Austrocknung soll der Gruppe verunmöglicht werden, ihre politischen Aktivitäten aufrechtzuerhalten.

Schließlich wird ihr damit die materielle Grundlage bestritten, Geld für Räume, Materialien usw. weggenommen. Und das für die Dauer der Ermittlungen. Das veranlasste einen Frankfurter Strafrechtsprofessor zu der Aussage:

Das ist ein klarer Einschüchterungsversuch. Rechtlich funktioniert das leider.

Matthias Jahn, SZ 26.5.2023

Dabei ist Einschüchterungsversuch eine harmlose Umschreibung für das, was da mit den Kritikern der aktuellen Klimapolitik geschieht, schließlich wird ihnen physisch und materiell die Grundlage ihrer politischen Arbeit bestritten, sie persönlich werden mit Gefängnisstrafen bedroht und ihre bürgerliche Existenz vollends ruiniert.

Das Ganze zeigt Wirkung, auch ohne Prozess und förmlich erhobene Anklage; das eilt jetzt auch gar nicht. Schließlich ist von Seiten der Politik erreicht, was sie wollte, und da spielt es keine Rolle mehr, ob es später einmal zu einer Verurteilung kommt oder nicht.