Letzte Generation: Ein Lehrstück zum Umgang mit Kritikern
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Widerstand mundtot machen – dafür braucht es keine Autokratie. Das kann jeder Rechtsstaat. Warum die Frontstellung gegen Klimaaktivisten der Demokratie schadet.
Dass in anderen Staaten Kritiker der Regierung schikaniert werden, ist regelmäßig Thema der hiesigen Öffentlichkeit: nämlich als Ausweis der mangelnden Rechtsstaatlichkeit anderswo, wenn nicht gar der vollendeten Gewaltherrschaft, die bekanntlich bei den Autokraten zuhause ist.
Dabei zielt die Beweisführung immer auf Staaten, die sich deutschen Anliegen verschließen und ihre Interessen "gegen uns" geltend machen. Jetzt hat der deutsche Staat aber einmal mehr gezeigt, dass er im Umgang mit Kritikern nicht weniger zimperlich ist:
Bei Tagesanbruch am Mittwoch haben bayrische Strafermittler eine riesige Ausforschungsaktion gestartet, einen Lausch-, Späh- und Wühlangriff mit bundesweiten Ausmaßen. Sie haben Wohnungen aufbrechen lassen, sie haben mit Taschenlampen ins Privateste hineinleuchten lassen, in Schlafzimmer, in Schränke, und sie haben den Menschen, die da im Pyjama vor ihnen standen, zu verstehen gegeben, dass in ihre Privatsphäre eingedrungen wurde und Telefongespräche womöglich mitgehört und abgespeichert wurden.
Ronen Steinke, SZ 25.5.2023
Gegen die Gruppe Letzte Generation werden jetzt alle Register staatlicher Einschüchterung und Terrorisierung aufgefahren, wobei abgeklärte Journalisten gleich erkennen, dass hier mit ungewöhnlicher Robustheit und dem Strapazieren rechtsstaatlicher Regeln ein Exempel statuiert werden soll:
Es ist eine Ermittlungsaktion, die so brachial ist, dass ihre Unverhältnismäßigkeit ins Auge sticht.
Steinke, SZ
Da fragt sich doch glatt, in welchem Verhältnis denn staatliche Gewalt im Umgang mit Kritikern stehen darf, so dass auch Vertreter der Mainstream-Medien aus der Abteilung liberale Bedenkenträger zufrieden sind.
Harmloser Protest?
Von professionellen Kommentatoren wird gerne auf die Harmlosigkeit der Kritik verwiesen, die von der Gruppe Letzte Generation kommt. Sie mahne doch bloß die Einhaltung der Vereinbarungen und Absichtserklärungen der Politiker an, die im Pariser Abkommen eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad beschlossen und in vielen Erklärungen einen Zeitplan verkündet haben, in dessen Rahmen der CO2-Ausstoß reduziert und fossile Brennstoffe ersetzt werden sollen.
Die Kritik der Letzten Generation entzündet sich also an dem Missverhältnis zwischen offiziellen Versprechen und den realen Taten. Worauf die Kritik stößt, ist also nichts Ungewöhnliches. Politiker kennen eben viele wichtige Ziele neben dem Kampf gegen den Klimawandel, so dass sich die Bestrebungen im Hinblick auf Klimaschutz an anderen Aufgaben zu relativieren haben.
So verlangt gerade der Wirtschaftskrieg mit Russland, dass zur Versorgung der deutschen Wirtschaft mit billigem Strom der Braunkohleabbau weiter betrieben und die Braunkohlekraftwerke hochgefahren werden, womit sich der CO2-Ausstoß wieder erhöht.
Die konkreten Maßnahmen, die im Bund oder im Land NRW gerade von der grünen Ökopartei mitgetragen, ja forciert werden, machen gleichzeitig deutlich, wie Klimaschutz, den ja alle anstreben, von Seiten der Regierenden verstanden wird.
Die Maßnahmen sollen Deutschland bei der Energieversorgung durch Windkraft und Sonnenenergie von anderen Ländern unabhängig und die eigene Wirtschaft zu einem maßgeblichen Exporteur der entsprechenden Technologien machen, so dass die anderen letztendlich in Abhängigkeit geraten.
Dieses Ziel bzw. die dazu erforderlichen Umrüstungs- und Transformationsmaßnahmen erscheinen vielen Kritikern – nicht nur in der Letzten Generation – als eine einzige Inkonsequenz bezüglich Klimaschutz.
Insofern sind diejenigen, die der Politik der regierenden Parteien ihre früheren Versprechungen vorhalten und auf deren unbedingte Einlösung drängen, einerseits naiv. Denn sie glauben wirklich, dass es der Politik umstandslos um die Rettung des Planeten ginge und nicht um die Stärkung Deutschlands in der Welt.
Und sie liefern einen nicht zu unterschätzenden Vertrauensbeweis für Scholz, Habeck und Co. ab. Andrerseits ist diese Sorte Kritik für die Regierenden lästig, hält sie ihnen doch immer wieder ihre eigenen hehren Ziele vor und untergräbt so den Glauben an ihre Tatkraft und Entschlossenheit. Damit – mit der Beschädigung des kostbarsten politischen Guts, der Glaubwürdigkeit – handeln sich die Kritiker die Gegnerschaft der Regierenden ein.
Die Reaktion der Parteien aller Couleur bis hin zu den Fridays for Future (die sich ja auch als Anwalt des Klimas verstehen) war eine Methodenkritik. Man teile zwar das Ziel der Klimarettung, wurde behauptet, aber die Methoden dieser Gruppe würden nicht dazu beitragen, Unterstützer für das wichtige Anliegen zu finden:
Ich verstehe das Anliegen, ich teile aber nicht die Aktionsform.
Britta Haßelman, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, SZ, 24.5.2023
Währenddessen erklärt der Kanzler die Gruppe für "völlig bekloppt" (SZ, 24.5.2023), weil deren Aktionen den Klimaschutz nicht voranbringen würden. Eine Kritik, die sowohl heuchlerisch als auch verfehlt war und ist: Mit der Behauptung, die Methoden der Straßenblockaden und Schmieraktionen wären kontraproduktiv für die Werbung von Unterstützern für die gemeinsame Sache, die vorangebracht werden soll, wird unterstellt, was gerade nicht der Fall ist, dass es nämlich allen gleichermaßen um die Realisierung der Klimaschutzziele geht.
Dabei machen doch die Regierenden gerade deutlich, dass sie andere Prioritäten kennen – siehe die Braunekohleverstromung oder die Nutzung des umweltschädlichen LNG, aber auch die gigantische Umweltverschmutzung durch Aufrüstung und Krieg –, die auf ihrer Agenda ganz oben stehen und mit Milliarden und Abermilliarden zu finanzieren sind.
Verfehlt ist die Kritik deshalb, weil es der Letzten Generation nicht mehr darum geht, aufzuzeigen, dass Klimaschutz notwendig ist. Ihre Aktivisten unterstellen vielmehr im Prinzip bereits die gelaufene Diskussion um die Notwendigkeit der Begrenzung der Erderwärmung – als einen Konsens, der eigentlich allen klar ist. Sie fordern die Konsequenzen aus dieser Diskussion ein.
Im Gegensatz zu den Fridays for Future, die mit ihren Schulstreiks auf das Problem der Klimaveränderung hinweisen und die Menschen aufrütteln wollten, um dahin zu kommen, dass sich alle in ihrem Konsumverhalten ändern (so zumindest der Mainstream dieses Protestes und sein Verständnis von system change), macht die Letzte Generation einen Unterschied zwischen den Machern der Politik, die alles Wesentliche bestimmen, und den Bürgern, die dazu aufgefordert sind, die Machthaber zur Einhaltung ihrer Versprechen zu zwingen.