Leuchtturmprojekt auf der Kippe: Luftkampfsystem FCAS

Seite 2: AKK pokert sich um Kopf und Kragen

Aus Sicht der Verteidigungsministerin reicht der Militärhaushalt trotz immenser Steigerungen in den letzten Jahren bei Weitem nicht aus, um alle (Wunsch-)Projekte finanzieren zu können. Aus diesem Grund leitete sie dem Bundestag nicht nur eine Liste mit 51 Vorhaben zur Abstimmung zu, für die Gelder hinterlegt sind, sondern eine zweite Aufstellung mit 15 weiteren, für die das nicht der Fall ist:

Die Kosten für die bisher nicht sicher finanzierten Vorhaben summieren sich auf etliche Milliarden Euro. Dazu zählen demnach die nächsten Schritte bei der Entwicklung einen deutsch-französischen Kampfjets (FCAS) - Europas größtem Rüstungsprojekt mit einem geschätzten Gesamtvolumen von rund 100 Milliarden Euro - und eines deutsch-französischen Kampfpanzers sowie bei der gemeinsamen Entwicklung von U-Booten mit Norwegen.

Reuters

Anstatt wie üblich, dem jeweiligen Projekt den Titel aus dem Verteidigungshaushalt zuzuordnen, wurde bei den besagten 15 Vorhaben lediglich in Klammern "Bundeshaushalt" dahinter gesetzt, um damit klar zu signalisieren, dass das Geld dafür nicht aus dem Bundeswehr-Etat stammen soll.

Bereits seit einiger Zeit wird mit dem Argument hantiert, vor allem europäische Rüstungskooperationsprojekte müssten aufgrund ihrer (industrie-)politischen Bedeutung außerhalb des BMVg finanziert werden - das nun gewählte Vorgehen ist augenscheinlich der Versuch, dieser Auffassung mit Biegen und Brechen Geltung zu verschaffen.

Womöglich hat sich Kramp-Karrenbauer aber grandios verkalkuliert - schließlich sind auf ihrer Nicht-Finanzierbar-Liste sogar auch Projekte gelandet, die bislang als abgesichert galten. Das brachte nun parteiübergreifend CDU- und SPD-Abgeordnete mächtig auf die Palme. In einem gemeinsamen Brief machten die CDU-Abgeordneten Eckhardt Rehberg (Haushalt) und Henning Otte (Verteidigung) sowie die SPD-Parlamentarier Dennis Rohde (Haushalt) und Siemtje Möller (Verteidigung) keinen Hehl aus ihrem Unmut. Beim Blog Augen geradeaus wird der Wortlaut zitiert:

Für einen Großteil dieser 15 Vorlagen sind im Verteidigungshaushalt 2021 sowie in der aktuellen Finanzplanung bereits entsprechende Mittel veranschlagt und in den Geheimen Erläuterungen entsprechend ausgewiesen. Daher können wir nicht nachvollziehen, dass eine Finanzierung aus dem Einzelplan 14 [Verteidigungshaushalt] nicht mehr leistbar ist. […] Sowohl die mangelnde und verspätete Kommunikation als auch die nicht ausreichende Qualität der Antworten auf die Fragen aus dem parlamentarischen Raum verwundern. Abschließend weisen wir nochmals darauf hin, dass die geplanten Vertragsabschlüsse oder deren eventuell notwendige Priorisierung nicht ohne das Parlament erfolgen werden. Um noch eine Behandlung der geplanten 25 Mio. Euro-Vorlagen in dieser Legislaturperiode gewährleisten zu können, bitten wir um Rückantwort bis Freitag, den 28. Mai 2021.

Augen geradeaus

Die Antwort der Ministerin, die sich an der Kritik ihrer Kollegen nicht weiter zu stören scheint, findet sich ebenfalls bei Augen geradeaus:

Ich habe im Verteidigungsausschuss, im Haushaltsausschuss und öffentlich deutlich gemacht, dass für mich das Prinzip gilt, dass kleine und mittlere Projekte, die häufig direkt der Truppe zugutekommen, im Haushalt nicht durch Großprojekte verdrängt werden dürfen. […] Wenn sich die steigenden Kosten für Personal, Versorgung, Materialerhalt, Betreiberverträge, militärische Anlagen etc. nicht in einem entsprechend steigenden Plafond widerspiegeln, verbleiben nur zwei Möglichkeiten des Handelns: Entweder wären diese Mittel zu kürzen - mit unmittelbaren Folgen für die Truppe - oder die disponiblen Ausgaben wären zu reduzieren. Dies sind im Wesentlichen die rüstungsinvestiven Ausgaben.

Augen geradeaus

Aktuell ist völlig unklar, wie die Abgeordneten auf diese ungedeckte Finanzierungslage bei der Abstimmung Ende Juni reagieren werden - langfristig dürfte dieser bislang einmalige Erpressungsversuch Kramp-Karrenbauer aber den politischen Kopf gekostet haben. Über den Brandbrief der SPD/CDU-Abgeordneten schrieb der Insiderdienst griephan-Briefe (21/2021):

Es ist schwer vorstellbar, dass sich Annegret Kramp-Karrenbauer nach dieser politischen Ohrfeige für ein Amt in einer christdemokratisch geführten Bundesregierung nach der Wahl im September empfiehlt. Wir hören "Unter den Linden", dass es das dann war.

griephan-Briefe

French Combat Air System: "Nicht zeichnungsfähig"

Dafür, dass Deutschland und Frankreich eigentlich beim FCAS als "Partner" agieren, geht es zwischen ihnen überaus ruppig zu, weil jede Seite permanent der Auffassung ist, zu kurz zu kommen. Frankreich treibt vor allem der Verdacht um, die Gegenseite sei primär darauf erpicht, sich das technologische Know-How unter den Nagel zu reißen, wie die NZZ beschreibt:

Dassault hält sich für das einzige Unternehmen Europas, das ohne Hilfe ein modernes Kampfflugzeug bauen kann. Airbus beherrsche wichtige Bestandteile wie die Flugsteuerung oder die Tarnkappen-Technologie nicht. «Dassault hat möglicherweise den Eindruck, dass sie beim FCAS mehr zu verlieren als zu gewinnen haben», erläutert der französische Verteidigungsexperte Jean-Charles Larsonneur. Auch einige Militärs und Experten fürchteten, technologisches Wissen zu verschleudern für ein Projekt, das in ein paar Jahren scheitern könnte.

NZZ

Aus deutscher Sicht wird wiederum die französische Führungsrolle beklagt, wenn etwa die rüstungsnahe Internetseite hartpunkt.de schreibt:

In Industriekreisen wird diese Konstellation mitunter als ‚schwerer Geburtsfehler‘ bezeichnet. Aufgrund der Dominanz des Nachbarlandes in dem Projekt heißt es hinter vorgehaltener Hand auch schon mal, FCAS stehe für French Combat Air System.

hartpunkt

Der Knackpunkt hierzulande ist die Sorge, dass Frankreich bzw. Dassault durch die Führung beim FCAS-Filetstück, dem Kampfflugzeug, das dabei entwickelte Know-How monopolisieren könnte. Öffentlichkeitswirksam wurde in diesem Zusammenhang der Airbus-Betriebsrat mit einer Erklärung Mitte Februar 2021 nach vorne geschickt, die in den deutschen Medien breite Beachtung fand:

Dreh- und Angelpunkt des FCAS ist ein neues europäisches Kampfflugzeug (‚New Generation Fighter‘), das als Nachfolger des Eurofighter und der französischen Rafale vorgesehen ist. Derzeit ist nur ein Demonstrator geplant, der bei Dassault in Frankreich auf Rafale-Basis entwickelt und gebaut werden soll. Damit würde die Luftfahrtindustrie inklusive der Zulieferbetriebe in Deutschland kurzfristig ins Abseits gestellt, langfristig wäre dies wohl das Aus der Branche in unserem Land.

Airbus-Betriebsrat

Mit Blick auf die nahende Abstimmung im Bundestag wurde dann aber zunächst verkündet, die Kontrahenten hätten sich auf eine Lösung geeinigt, sodass das Verteidigungsministerium Mitte Mai meldete, dem Bundestag könne nun ein Finanzierungsantrag vorgelegt werden:

Deutschland, Frankreich und Spanien haben in den vergangenen Wochen intensive und harte Gespräche geführt. Ziel dabei war stets, auf Augenhöhe zu agieren und eine für jeden faire Aufteilung der Arbeitspakete in Qualität und Quantität zu generieren. Im Ergebnis wird hiermit informiert, dass im Zuge dieser regierungsseitigen Verhandlungen zur bruchfreien Fortführung des trinationalen Projekts Next Generation Weapon System (NGWS) in einem Future Combat Air System (FCAS) nunmehr eine grundsätzliche Einigung zum weiteren Vorgehen erzielt wurde. […] Damit ist eine wesentliche Voraussetzung für die parlamentarische Befassung mit einer 25 Mio. €-Vorlage in der 25. Kalenderwoche zur Fortsetzung des Projekts geschaffen.

Verteidigungsministerium

Wer glaubte, damit seien die Streiterei endgültig beigelegt, sah sich aber am 4. Juni eines Besseren belehrt, als Spiegel Online über ein internes Bundeswehr-Papier berichtete, das ihm zugespielt worden war. Bei n-tv heißt es dazu:

Das Vorzeigeprojekt für einen gemeinsamen europäischen Kampfjet stößt laut "Spiegel" auf Vorbehalte. In einer geheimen Stellungnahme für das Verteidigungsministerium kommen Experten des Koblenzer Beschaffungsamts der Bundeswehr zu dem Schluss, dass der Vertrag mit Frankreich und Spanien "aus technisch-wirtschaftlicher Sicht nachverhandelt werden muss", wie das Nachrichtenmagazin berichtet. In seiner jetzigen Form halten die Experten den Vertrag für "nicht zeichnungsreif". […] Nach Auffassung der Experten werden mit dem Vertrag "Strukturen und Regeln" fortgeschrieben, die "nicht im deutschen Interesse sind und nahezu ausschließlich französischen Positionen genügen", zitiert der "Spiegel" weiter aus dem Bericht. Damit sei die "französische Dominanz im Programm sehr stark verankert".

n-tv

Friedensbewegung: Nein zu FCAS!

Abseits ganz grundsätzlicher friedenspolitischer Erwägungen, die für den überwiegenden Teil der Abgeordneten aber wohl keine Rolle spielen dürften, sprechen eine Reihe weiterer Gründe dafür, das FCAS-Vorhaben zu versenken, bevor die Kosten zwei- oder dreistellige Milliardenbeträge erreichen.

Die unterschiedlichen Konfliktlinien innerhalb des BMVg und zwischen dem Ministerium und den Abgeordneten der Regierungskoalition vergrößern die Chance, dass das Projekt bei der kommenden Abstimmung zumindest einen Dämpfer erhält, indem die Entscheidung über die Vergabe der Gelder in die nächste Legislaturperiode vertagt wird.

Nicht zuletzt aus diesem Grund hat das Netzwerk Friedenskooperative vor wenigen Tagen die Kampagne "100 Milliarden Euro für neues Luftkampfsystem "FCAS"? Wir sagen NEIN und werden aktiv!" gestartet. Auf der Seite werden zahlreiche Hintergrundinformationen zum FCAS zusammengetragen, aber auch zum Handeln aufgerufen:

Schreibe jetzt den Abgeordneten aus deinem Wahlkreis und fordere sie mit einer Postkarte dazu auf, sich gegen das 100 Milliarden Euro teure europäische Rüstungsprojekt "FCAS" (Future Combat Air System) stark zu machen. Wir brauchen keine neuen Kampflugzeuge die vernetzt sind mit autonomen Kampfdrohnen!"

Netzwerk Friedenskooperative