Libyen: Protest gegen EU-finanzierte Foltergefängnisse

Seite 3: Die EU mitverantwortlich für Verbrechen gegen die Menschlichkeit?

Internationale Menschenrechtsbeobachter und Nichtregierungsorganisationen (NRO) kritisieren die EU schon seit Längerem für die Kooperation mit den Milizen und der sogenannten libyschen Küstenwache und werfen ihr eine Mitverantwortung für die katastrophale Situation der Geflüchteten in Libyen vor.

Als 2017 Berichte und Bilder von Sklavenmärkten in Libyen um die Welt gingen – man erinnere sich beispielsweise an drei im Set angebotene, mit einer Halsgeige aneinandergefesselte afrikanische Mädchen – kritisierte Amnesty International:

Trotz der bekannten schweren Menschenrechtsverletzungen unterstützt die EU eine Küstenwache, die Menschen wieder in eine Hölle aus Gewalt, Misshandlungen und Vergewaltigungen zurückbringt.

Im November 2021 reichte ein Konsortium aus den NROs European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), die Internationale Föderation für Menschenrechte (FIDH) und Lawyers for Justice in Libya (LFJL) eine Mitteilung und einen Bericht mit ausführlichen Interviews von Betroffenen beim Internationalen Strafgerichtshof (IstGH) ein, und fordern diesen auf, tätig zu werden.

Obwohl der IstGH seit zehn Jahren ermittelt, wurde bisher noch keine Klage erhoben. Die leitende Rechtsberaterin des ECCHR, Chantal Meloni, bedauert: "Trotz der nachdrücklichen Aufforderung des ehemaligen IStGH-Anklägers, endlich gegen die Straflosigkeit in Libyen vorzugehen, gehen die Verbrechen weiter." Sie fordert den derzeitigen Ankläger, Karim Khan, auf, "endlich die notwendigen Schritte zu unternehmen, um die Täter vor Gericht zu stellen."

Sie sei überzeugt, "dass nur der IStGH die Komplexität des kriminellen Systems angehen kann, das darauf abzielt, das menschliche Leid der Migranten und Flüchtlinge in Libyen auszunutzen."

Dass die Behandlung der Migrant:innen in Libyen wahrscheinlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen, ist auch die Schlussfolgerung einer Untersuchung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen, die dieser in seinem Länderbericht 2021 veröffentlichte.

Am 20. Januar 2022 erhoben zudem dänische, französische und italienische NROs Klage gegen Italien und Malta, die beschuldigt werden, sie hätten "bei der Bergung von Migranten koordiniert mit der libyschen Küstenwache gehandelt, um sicherzustellen, dass sie abgefangen und nach Libyen zurückgebracht werden".

Der maltesische Gesandte des Büros des Premierministers, Neville Gafà, gab in einer behördlichen Untersuchung auch zu, "dass er von der maltesischen Regierung gebeten wurde, einen Pushback der Boote nach Libyen zu koordinieren."

Millionen für eine Briefkastenfirma?

Die europäische Grenzschutzagentur Frontex ist ebenso seit Längerem in solche Pushbacks involviert, wie Whatsapp-Nachrichtenverläufe zwischen der EU-Behörde und der sogenannten libyschen Küstenwache belegen.

Durch Aufklärungsflüge mit Drohnen und Überwachungsflugzeugen identifiziert Frontex die Gummi- oder Holzboote der Geflüchteten, bevor diese internationale Gewässer erreichen und meldet dies an die libysche Küstenwache.

Zuvor hatte die EU 46 Millionen Euro dafür ausgegeben, dass die libyschen Behörden eine Leitstelle für Seenotrettung einrichten und bei der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation eine Seenotrettungszone anmelden.

Diese wird nun von Frontex als "international anerkannt und zuständig" angesehen, und das, obwohl diese wahrscheinlich nur auf dem Papier existent ist – immerhin wissen weder die Europäische Kommission noch der Europäische Rat überhaupt, wo sich diese Leitstelle für Seenotrettung befindet. Zudem erfüllt die Leitstelle, wie Matthias Monroy es in Netzpolitik beschreibt, nicht die zwingenden Anforderungen für eine solche Leitstelle.

Weder ist [sie] Tag und Nacht erreichbar, die dort abgestellten Mitarbeiter sprechen mitunter kein Englisch, auch verfügen die Behörden nicht über die nötigen Ambulanzfahrzeuge oder Krankenhausplätze für einen Seenotfall.

Internationales Recht muss gelten!

Zudem ist es eigentlich durch die Genfer Konvention verboten – und dies wurde in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im sogenannten "Fall Hirsi" bestätigt – Geflüchtete in Länder zurückzubringen, aus denen sie geflohen sind und in denen ihnen Verfolgung droht.

Dass dies in Libyen der Fall ist, ist jedoch schon lange offensichtlich. Organisierte Pullbacks durch die libysche Küstenwache sind für die EU somit eigentlich genauso illegal wie selbst-durchgeführte Pushbacks.

Die Forderungen der protestierenden Migrant:innen in Libyen decken sich somit komplett mit den Forderungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und internationalem Recht. Doch scheinbar haben es die EU-Institutionen und nationalen Regierungen nicht gerade eilig, dem Richtspruch und Recht zu folgen und die Hölle in Libyen zu beenden – oder zumindest die Flucht daraus zuzulassen.

Entschieden sind demgegenüber die protestierenden Migrant:innen auf Tripolis Straßen. Auf die Frage nach der Räumung im Januar, ob der Protest nun vorbei sei, antwortete Yambio David der ak: "Ich kann euch versichern: Wir fangen gerade erst an."

Auf ihrem Twitter-Profil Refugees in Libya dokumentierten die Aktivisten seitdem erneute Repression und Massenfestnahmen. Zum Zuckerfest am 3. Mai 2022, dem Festtag zum Ende des Ramadans, wurden die Migranten von der offiziellen Feier auf dem Platz der Märtyrer vertrieben. Hunderte wurden wieder in die berüchtigten Internierungslager gebracht.