Libyen: Warum nach Nato-Intervention und Unwetter-Katastrophe nun Proteste kommen

Die Folgen der Überschwemmungen in der libyschen Stadt Derna. Bild: UNHCR / Ahmed Al Houdiri

Tausende Menschen ertranken in den Fluten. In großen Demonstrationen werfen die Menschen den Behörden Versagen vor. Über die Folgen vernachlässigten Katastrophenschutzes.

Aufgebrachte Bürger haben zu Beginn der Woche das Haus des Bürgermeisters der ostlibyschen Stadt Derna in Brand gesteckt, wie die Nachrichtenplattform Euractive berichtet.

In der Stadt hatten nie zuvor gesehene Regenfälle und der Bruch zweier Staudämme in der Nacht vom 10. auf den 11. September Tausenden Menschen das Leben gekostet und die Innenstadt vollkommen verwüstet. Zahlreiche Gebäude stürzten ein und rissen die darin Schlafenden in den Tod, wie unter anderem der Sender Al Jazeeras berichtet.

Am Montag dieser Woche war es in Derna zu ersten massiven Protesten gegen das Versagen der Behörden während des Unwetters gekommen. Nach Ansicht der Demonstranten hätte das Unglück verhindert werden können, aber ein 2007 vergebener Auftrag zur Reparatur der nun gebrochenen Dämme sei nie ausgeführt worden.

Schuld daran sei die unsichere Situation in der Region. Nach dem 2011 die Nato-Staaten mit Luftangriffen wesentlich zum Sturz Muammar Gaddafis beigetragen haben, ist das Land zwischen unterschiedlichen bewaffneten Fraktionen zerrissen, die sich immer wieder bekriegen. Derna war einige Jahre in der Hand lokaler Milizen, darunter zeitweise auch faschistisch-islamistischer Gruppen, und wird seit einigen Jahren von der „Nationalen Libyschen Armee“ kontrolliert.

Deren Regierung hat inzwischen Dernas Bürgermeister sowie den Stadtrat entlassen, aber die Wut richtete sich am Montag auch gegen den Sprecher des östlichen Parlaments, Aguila Saleh. Dieser hatte die Überschwemmung eine Naturkatastrophe genannt, die nicht hätte verhindert werden können.

Die Demonstranten wollten sich damit allerdings nicht zufriedengeben und forderten stattdessen eine gründliche Untersuchung. Die Behörden hätten versagt, und das sei auch dem Parlament vorzuwerfen.

Neben der Frage, ob die Dämme schadhaft waren, stellt sich die Frage nach funktionierenden Katastrophenschutzkonzepten. Zu denen gehören etablierte Strukturen und Verantwortlichkeiten, mit denen Warnungen an die Bevölkerung über Rundfunk, Sirenen und Mobiltelefone weitergegeben werden.

Dazu gehören auch regelmäßige Katastrophenschutzübungen, in denen Organisationen wie der Rote Halbmond bzw. das Rote Kreuz ihre Strukturen testen und zugleich bei sich und der Bevölkerung das notwendige Problembewusstsein schaffen. Warnungen sind im Ernstfall dann am wirksamsten, wenn die Gefährdeten wissen, was ihnen drohen könnte und wie sie sich zu verhalten haben.

Dass es an derartiger Vorbereitung in einem Bürgerkriegsland, zerrissen durch die Nato-Intervention, fehlt, kann man sich vorstellen. Allerdings hatte das Juli-Hochwasser 2021 im Ahrtal und im angrenzenden Rheinland gezeigt, dass auch hierzulande der Katastrophenschutz überaus nachlässig betrieben wird. Seinerzeit kostete dies zahlreichen Menschen das Leben. Oft war viel zu spät oder gar nicht gewarnt worden.