Libyen: Erst kam die Nato, dann der Regen

Der Auslöser: Mittelmeer-Hurrikan Daniel. Bild: National Oceanic and Atmospheric Administration

Tausende Tote und Vermisste, kaum Hilfe. Flutkatastrophe zeigt Folgen einer missratenen Geopolitik: Wie die Klimakrise einen gescheiterten und zerstörten Staat überfordert.

Der Sturm Daniel war gewaltig. Er legte im Osten Libyens brachial und brutal offen, was eine Naturkatastrophe in einem gescheiterten Staat anrichten kann: Vermutlich mehr als 5.000 Tote und 10.000 Vermisste, über 40.000 Menschen, die vor den Wassermassen geflohen sind (tagesschau.de) – und entsetzliche Schwierigkeiten mit der Hilfe.

An Helfern mangelt es nicht. Auf der Titelseite der englischsprachigen Ausgabe von al-Wasat prangen heute die Porträts von Biden, Putin, Erdogan, Ägyptens Herrscher al-Sisi und dem katarischen Emir Tamim bin Hamad Al Thani. Sie alle haben ihre Kondolenz bekundet und Hilfe angeboten, wie auch Frankreich und Deutschland, wie auch die EU und die UN.

Und sie alle haben sich in der Vergangenheit kräftig in libysche Angelegenheiten eingemischt, wollten, jeweils auf ihre Weise, dem gescheiterten Staat wieder auf die Beine helfen.

Der Zwischenstand: Es gibt genau eine große Straße, die nach Darna führt und in andere Orte, die von den Fluten heimgesucht wurden, und eine Brücke.

Überforderung und Hilfe

Die lokalen Behörden sind mit dem Desaster völlig überfordert, die ankommende Hilfe reicht bislang bei Weitem nicht. Einiges kommt über den Flughafen in Bengasi an, doch dann muss sie auf die Problem-Straße.

Die Logistik für die Hilfe steht vor allergrößten Problemen, wie die Libyen-Kennerin Claudia Gazzini in prägnanter Schärfe darlegt.

Ebenso die Gründe, weshalb es Darna besonders getroffen hat: Zwei Dämme brachen, Darna liegt an einem Gefälle zum Meer, das Wasser gewann eine unglaubliche Geschwindigkeit und riss ganze Stadtviertel mit mehrstöckigen Wohngebäuden um. Der Ort ist kaum mehr wiederzuerkennen. Hunderte Leichen liegen herum. Man fürchtet Krankheiten. Das Meer spült Leichen ans Ufer.

Dass genau dies passieren könnte, davor hatte ein Bericht von Wissenschaftlern, die die Dämme untersucht haben, im letzten Jahr vergeblich gewarnt. Es ist viel Geld versickert, das für Reparaturarbeiten vorgesehen war.

"Eng mit der politischen Situation in Libyen verknüpft"

Das ist nicht einfach eine Naturkatastrophe, sagt der deutsche Libyen-Experte Wolfgang Lacher im ZDF, sondern "ein Ereignis, das sehr eng mit der politischen Situation in Libyen verknüpft ist".

Aktuell läuft das beispielsweise auf die Befürchtung hinaus, dass Hilfsgelder entweder im Sumpf der international anerkannten Regierung in der Hauptstadt Tripolis verschwinden könnten oder im Sumpf der international nicht anerkannten Parallelregierung im Osten des Landes.

Dessen Straßen und wichtige Schlüsselstellen der Infrastruktur kontrolliert der Warlord Khalifa Haftar. Von ihm hängt ab, wie gut die Hilfe ankommt.

Dass er zeitweise von Russland und von Frankreich unterstützt wurde, von Ländern also, die geopolitisch in verschiedenen Lagern sitzen, ist ein beredter Ausschnitt aus dem libyschen Machtpuzzle, das mit guten Gründen als für Außenseiter völlig unverständliches Chaos bezeichnen kann.

Die Komplexität zeigt sich im Detail sehr deutlich am Rätselraten darüber, wie es mit der Wagner-Gruppe und der libyschen Nationalarmee weitergeht, die Khalifa Haftar unterstützt hat, das zeigt sich im Großen sich an der Konkurrenz der verschiedenen Milizen und den jeweiligen Politikern, die mit ihnen verbunden sind.

Und das zeigt sich im ganz großen Bild an einem unglaublichen und blutigen Machtgerangel, das infolge der Nato-Operation im Frühling 2011 Libyen zu einem failed state, einem gescheiterten Staat, machte.

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