Libyen wird zum hofierten Partner der westlichen Staaten

Frankreich will jetzt auch Militärabkommen mit dem ehemaligen "Schurkenstaat"

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Lange Zeit galt Muammar Gaddafi als zu ächtender Terrorist an der Spitze eines "Schurkenstaates". Heute entdecken mehrere europäische Regierungen und die USA ihn als neuen "Partner". Das nordafrikanische Land soll künftig Waffen aus der EU erhalten, Flüchtlinge von Europa fernhalten und Öl sprudeln lassen. Die Europäische Union beschloss am 11. Oktober 2004 die Aufhebung ihres bisherigen Waffenembargos gegen Libyen. Als erster Staat sucht jetzt Frankreich explizit eine "strategische Kooperation" auf militärischem Gebiet.

Am 5. Februar dieses Jahres hielt die französische Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie ("MAM") sich zu einem offiziellen Besuch in Tripolis auf. Keiner ihrer Amtsvorgänger hatte bisher Libyen eine offizielle Visite abgestattet, seitdem der damalige junge Oberst Muammar al-Gaddafi am 1. September 1969 an der Spitze einer Gruppe "freier Offiziere" die Macht übernommen hatte.

Dennoch hatte es in der Vergangenheit eine begrenzte Rüstungskooperation zwischen beiden Ländern gegeben, vor allem unter Charles de Gaulles Nachfolger im französischen Präsidentenamt, Georges Pompidou. Dieser hatte 1971 in einem spektakulären Rüstungsgeschäft 110 Mirage-Kampfflugzeuge an den nordafrikanischen Staat verkauft, der kurz zuvor die US-amerikanischen und britischen Militärbasen schließen ließ, die der von Gaddafi gestürzte Monarch Idris I. eingeräumt hatte. In den folgenden Jahren bis 1974 sollte Libyen insgesamt 148 Mirage sowie sieben Fregatten für seine Marine in Frankreich kaufen.

Daran kann die Pariser Politik heute anknüpfen: Die Reparatur und technische Überholung der Mirage-Jäger in libyschem Besitz gehört zu den wesentlichen Bestandteilen der militärpolitischen Kooperation, die jetzt eingeleitet wurde. Jedenfalls, sofern von den Fliegern noch etwas übrig ist, da sie sich nach 18-jährigem Embargo gegen Libyen oftmals in schrottreifem Zustand befinden. Die große Mehrzahl der Mirage III-Flugzeuge haben die Libyer, meistens in Form von Einzelteilen, an Pakistan weiterverkauft. Dagegen hält man es für möglich, rund ein Dutzend der 38 Mirage F-1 sowie zwei der sieben Schiffe zu "retten". Daneben sollen künftig libysche Techniker und Piloten in Frankreich ausgebildet werden.

Frankreichs ehemalige Nahostpolitik

In gewisser Weise profitiert Frankreich damit von einer vergangenen Präsenz in dem nordafrikanischen Staat. Die damalige Phase der französischen Außenpolitik im Mittelmeerraum war freilich von der hektischen Suche nach regionalen Verbündeten geprägt. Denn die Pariser Diplomatie sah sich zu jener Zeit mit der Drohung einer dauerhaften Isolation konfrontiert: Frankreich hatte in den 50er Jahren den blutigen Kolonialkrieg in Algerien geführt und 1956 am Angriff auf Ägypten, das kurz zuvor den Suezkanal nationalisiert hatte, teilgenommen.

Im selben Jahrzehnt hatte Frankreich, mit augenzwinkernder Unterstützung durch die USA, dem Staat Israel zu den technologischen Grundlagen für atomare Bewaffnung verholfen. Deswegen sah sich Frankreich, nachdem es Algerien 1962 hatte verlassen müssen, einer wachsenden Isolierung im Großraum Nordafrika und Naher Osten ausgesetzt, zumal die Einflusszonen bereits abgesteckt waren: Die USA waren im Iran und in Saudi-Arabien fest präsent, die Briten in den kleineren Golfstaaten, die UdSSR galt als Verbündeter Ägyptens und Syriens.

In den späten 60er Jahren warf Charles de Gaulle darum das Ruder herum, kritisierte das israelische Vorgehen im Sechs-Tage-Krieg und begab sich unter dem Stichwort "politique arabe" auf die Suche nach neuen Alliierten. Dabei war man, vor allem unter de Gaulles Amtsnachfolgern, wenig wählerisch in der Auswahl der Geschäfts- oder Bündnispartner. Nach dem als unberechenbar geltenden Gaddafi entdeckte die französische Politik unter dem damaligen Premierminister Jacques Chirac 1975 einen neuen Ansprechpartner - den Chirac auch prompt beim Empfang am Pariser Flughafen Orly seinen "persönlichen Freund" nannte und in dem ein Teil der politischen Klasse später einen "arabischen de Gaulle" entdecken wollte. Es handelte sich um den damaligen Vize- und (ab 1979) Präsidenten des Irak, einen gewissen Saddam Hussein.

Dieses Kapitel einer eigenständigen regionalen Großmachtpolitik war spätestens 1991 beerdigt: Damals nahm Frankreich unter François Mitterrand mit 20.000 Soldaten am Zweiten Golfkrieg ­ dem Bombenkrieg einer durch die USA geführten Allianz gegen den Irak ­, der auf den Konflikt um die Besetzung Kuwaits folgte, teil. Doch in der Folgezeit fühlte Frankreich sich von seinen westlichen Verbündeten frustriert, da es mit einer führenden Rolle beim Wiederaufbau des vom Bürgerkrieg zerstörten Libanon "abgespeist" wurden ­ während US-Amerikaner und Briten sich die weit attraktiveren Wiederaufbauverträge im Ölstaat Kuwait sicherten. Deswegen lässt Präsident Jacques Chirac bei seinen Reisen in die Region mitunter Anklänge an die dereinstige gaullistische "politique arabe" erklingen, auch wenn es sich dabei ­ verglichen mit vorangegangenen Perioden - eher um vorwiegend symbolische Gestikulationen handelt.

Allgemeiner westlicher "Run" auf Libyen

Heute handelt es sich keineswegs um einen französischen Alleingang, wenn es das Land auf den libyschen Rüstungs- und sonstigen Markt drängt. Seit einigen Monaten entdecken mehrere europäische Regierungen und die US-Administration Libyen als neuen "Partner". Auch innerhalb der Europäischen Union, die im Rahmen des 1995 lancierten Prozesses der "euro-mediterranen Partnerschaft" mit Blick auf die Schaffung einer gemeinsamen Freihandelszone rund um das Mittelmeer als einheitlicher Akteur auftritt, herrschen dabei beträchtliche wirtschaftliche und machtpolitische Rivalitäten vor.

Der britische Premier Tony Blair besuchte Gaddafi im März 2004 und handelte unter anderem einen Großauftrag über 165 Millionen Euro für den Shell-Konzern sowie Waffenlieferungen für den Rüstungskonzern Britisch Aerospace aus. Deutschlands Kanzler Gerhard Schröder konnte im Oktober 04 seinerseits einen 180-Millionen-Vertrag für Siemens herausholen: Der Konzern soll die libysche Öl- und Gasförderung technologisch modernisieren. Zu diesem Zeitpunkt war der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi bereits vier mal in Tripolis gewesen, wobei es neben dem Geschäftlichen maßgeblich auch um Migrationspolitik ging. Seit August 2004 funktioniert bereits eine ständige "Luftbrücke" zwischen Rom und Tripolis zur Rückschiebung unerwünschter Migranten, die über Nordafrika nach Italien einwanderten.

Da kam Frankreichs Staatsoberhaupt Jacques Chirac beinahe zu spät, der sich Ende November für anderthalb Tage in Libyen aufhielt. Er konnte damals nur bisher unverbindlich gebliebene Zusagen für die französische Wirtschaft vorzeigen, auch wenn Vertreter von 16 französischen Großunternehmen wie angehörten: GDF (Erdgas), Total (Ölförderung und verarbeiterung), Alcatel und Thales (u.a. Elektronik) seiner Delegation angehörten.

Auf dem Gebiet der Rüstungskooperation haben sich die Dinge nun seit der Visite von Chiracs Verteidigungsministerin Alliot-Marie Anfang Februar 2005 konkretisiert. Neben den bereits genannten Vorhaben zur Ausbildung libyscher Piloten und Techniker sowie zur Reparatur des früher von Frankreich gelieferten Materials hinaus besteht aber noch Unsicherheit über das Ausmaß der kommenden Verträge. Konkret hatte Gaddafi sich an dem "Rafale"-Kampfflugzeug des französischen Dassault-Konzerns ­ dessen Chef ist zugleich ein persönlicher Freund Jacques Chiracs, und beherrscht seit vorigem Jahr über ein Drittel des französischen Zeitungsmarkts ­ sowie dem Kampfhubschrauber "Tigre" interessiert gezeigt. Dabei herrscht allerdings ein rauer Wettbewerb, denn die Briten machten bereits eifrige Lobbyarbeit in Tripolis für den Verkauf ihres konkurrierenden "Eurofighter", und auch die russischen "Sukhoi"-Flugzeugwerke scheinen nicht schlecht platziert.

Libyen wiederum ist dringlich am Erwerb von Nachtsichtgerät interessiert, doch auf diesem Feld zögert Frankreich bisher: In Paris will man sichergestellt wissen, dass die Apparate nicht zukünftig im Tschad, wo Libyen expansive regionalpolitische Ambitionen hat, gegen die dort stationierten französischen Soldaten der Mission "Epervier" (Sperber) eingesetzt werden können. Anlässlich ihrer Visite forderte Ministerin Alliot-Marie von Gaddafi darüber hinaus eine strategische Abstimmung, was im Klartext das Ende der libyschen Kritik an den Militäroperationen Frankreichs im Tschad sowie in der westafrikanischen Côte d¹Ivoire (Elfenbeinküste) bedeutet oder jedenfalls einschließt.

Ferner will Libyen die Überwachung seines Luftraums und der, oft durch die Wüste verlaufenden Außengrenzen seines Staatsgebiets verbessern und dafür u.a. Radarapparate und Abhöranlagen, eventuell sogar Luftabwehrsysteme erwerben. Diesbezüglich scheint eine Einigung nicht unwahrscheinlich, da nahezu die gesamte Europäische Union sich an einer Absicherung seiner Südgrenzen gegen unerwünschte Einwanderung durch "Wächterstaaten" wie etwa Libyen interessiert zeigt.

Vor allem die italienische und die deutsche Politik insistierten in jüngster Zeit auf europäischen Gipfeln besonders auf der Idee, die EU solle "Auffanglager" für Flüchtlinge und Einwanderungswillige auf der Südseite des Mittelmeers, insbesondere in Libyen, errichten. Italien lieferte seinem südlichen Nachbarn und seiner ehemaligen Kolonie bereits Radargeräte, Helikopter, Boote und Jeeps zur Grenzüberwachung - am Mittelmeer wie in der Sahara. Deutschlands Innenminister Otto Schily bläst auf europäischer Ebene weitgehend in dasselbe Horn wie sein italienischer Amtskollege Giuseppe Pisanu. Und der damals noch designierte Kandidat der italienischen Rechtsregierung auf das Amt des Justizkommissars in der Europäischen Kommission, Rocco Buttiglione, leistete sich bei seiner Anhörung vor dem Europaparlament in Strasbourg Anfang Oktober 2004 einen tief blicken lassenden Fauxpas: Er sprach von "Konzentrationslagern" in Nordafrika, wo er eigentlich der Errichtung von "Auffanglagern" für unerwünschte Flüchtlinge und Migranten das Wort reden wollte.

Dagegen opponierten auf EU-Ebene bislang Frankreich und Spanien, da man es dort für eine effizientere Bekämpfung der "Flüchtlingsströme" hält, die Migrationswilligen gar nicht erst aus ihren Herkunftsländern heraus und so nahe an die südliche Außengrenze der Union kommen zu lassen. So sprachen sich auf der Tagung der EU-Innenminister in Florenz am 17. und 18. Oktober 2004 die Regierungsvertreter aus Madrid und Paris gegen das (vor allem von den deutschen, italienischen und britischen Ministerkollegen verfochtene) Programm der Errichtung von Auffanglagern in Nordafrika aus. Die französisch-spanische Linie zeichnet sich einerseits dadurch aus, dass zumindest verbal das Problem der Ursachen, warum Menschen überhaupt fliehen (wollen), und der "Bekämpfung von Fluchtgründen" anerkennen. Andererseits sind diese Regierungen insofern noch restriktiver, als sie die Migrationswilligen gleich noch enger an ihren Herkunftsort binden und sie dort halten wollen, auch gegen ihren mutmaßlichen Willen. Beide Positionen sind primär dadurch motiviert, dass möglichst viele Unerwünschte vom EU-Territorium ferngehalten werden sollen. Insofern kann von einem "Wettstreit um das größere Übel" gesprochen werden.

Die britisch-deutsch-italienische Position ist dabei insofern zynischer und auch pragmatischer, als diese Variante auch die gezielte Rekrutierung "benötigter" und "ökonomisch nützlicher" Einwanderer in dem nordafrikanischen Lagersystem an der EU-Außengrenzen zulässt. So traf der bereits erwähnte Rocco Buttiglione bereits im August 2004, als die italienisch-libysche Kooperation bei der Bekämpfung unerwünschter Migration gerade anzulaufen begann, den italienischen Arbeitgeberverband Confindustria. Es ging dabei darum, die Bedürfnisse der einheimischen Ökonomie an Billigarbeitskräften auszuloten, etwa im Dienstleistungs- und Billiglohnbereich.

Libyen nach dem Embargo

Der Eindruck eines Wettrennens zwischen den Großmächten ist nicht grundlos, denn zweifelsohne wird Libyen in naher Zukunft einen lukrativen Markt darstellen. Nach anderthalb Jahrzehnten Embargo ist die wirtschaftliche Infrastruktur des Landes erheblich instandhaltungs- und modernisierungsbedürftig - inklusive der Anlagen zur Förderung von Rohöl und Erdgas, von denen 94 Prozent der libyschen Exporteinnahmen abhängen. Im Übrigen werden in Libyen derzeit die größten, noch nicht angezapften Ölreserven des Afrikas vermutet. Im Augenblick ist der nordafrikanische Staat (mit 1,55 Millionen Barrel pro Tag) das zweitgrößte Ölförderland des Kontinents, hinter Nigeria mit 2,33 Millionen und vor Algerien mit 1,21 Millionen Barrel, wobei im Falle Algeriens allerdings noch bedentende Erdgas-Lagerstätten hinzu kommen (Zahlenangaben nach 'Les Echos' vom 16. Februar 05).

Auch sind derzeit nach verschiedenen Angaben - offizielle Zahlen sind aus Tripolis nicht zu bekommen - 25 bis 30 Prozent der libyschen Bevölkerung arbeitslos, und unter den Erwerbslosen ist die junge Generation überrepräsentiert, die zwei Drittel der Bevölkerung ausmacht. Die wachsende Unzufriedenheit aufgrund des gesunkenen Lebensstandards gefährdet die Stabilität des libyschen Staates.

Nach Angaben eines französischen Wirtschaftsatlas sieht der libysche Vier-Jahres-Plan für die Jahre 2002 bis 2005 aktuell zu erbringende Investitionen von 30 Milliarden Euro vor, die benötigt werden, um die (Öl-)Industrie technisch zu modernisieren. Dabei wollten die libyschen Entscheidungsträger auch ausländisches Kapital in Höhe von 30 bis 40 Prozent des Investitionsvolumens anlocken Allein für die dringend erforderliche Überholung der Erdölindustrie sollten 8,6 Milliarden Euro an Auslandsinvestitionen angezogen werden. In einigen Bereichen will der libysche Staat dabei sogar die Kontrolle in Form von Mehrheitsbeteiligungen, die bisher bei Investitionen im Land stets noch bewahrt werden musste, aufgeben. Bis im Jahr 2008 sollen so 360 bisherige Staatsunternehmen privatisiert werden, unter ihnen 54 größere Einheiten wie Stahlwerke, Raffinerien und Zementwerke. Dabei will der libysche Staat sich mit einer 25-prozentigen Minderheitsbeteiligung begnügen. Prompt wurden schon im Sommer 2004 in Deutschland wieder die bundeseigenen Hermes-Bürgschaften für Investitionen in Libyen eingeführt.

Der Sog, den die libysche Wüste künftig ausüben könnte, wird umso stärker sein, als nach 18 Jahren Embargo ein gewisser Nachholeffekt zu erwarten ist. Das ab 1986 zuerst durch die USA und im Anschluss auch durch die damalige Europäische Gemeinschaft (EG) gegen Libyen wegen des Verdachts der Unterstützung international aktiver terroristischer Gruppierungen verhängte Embargo war in den folgenden Jahren sukzessive verschärft worden. Anlässe dazu waren die vermutete libysche Verwicklung in Flugzeugattentate, etwa gegen eine PanAm-Maschine über dem schottischen Lockerbie im Dezember 1988. Ab 1992 wurde das Embargo auch auf den Flugverkehr und andere internationale Verkehrsverbindungen mit Libyen ausgedehnt.

Doch im August 2003 bot die libysche Führung den Hinterbliebenen des Lockerbie-Attentats eine Gesamtsumme von 2,7 Milliarden Dollar Entschädigungszahlungen an. Es folgte eine ähnliche Geste für die französischen Angehörigen der Insassen einer UTA-Maschine, die 1989 über dem westafrikanischen Staat Niger explodiert wird. Dabei ist in letzterem Fall nicht einmal zweifelsfrei klar, dass wirklich Libyen dahinter stand: Im Zusammenhang mit dem UTA-Anschlag wird nach wie vor auch das iranische Regime verdächtigt, das angekündigt hatte, sich wegen des ein Jahr zuvor erfolgten Abschusses eines Airbus über dem Golf zu rächen. Und Frankreich war in Teheran zu jener Zeit als Rüstungslieferant des Irak während der Dauer des iran-iranischen Krieges ziemlich verhasst, was ebenfalls zum Profil des Attentats passen würde. Einige französische Beobachter vermuten deswegen, Gaddafi habe zumindest im Falle des UTA-Anschlags die politische Verantwortung bereitwillig auf sich genommen, um durch die folgenden finanziellen Entschädigungen sein Verhältnis zu den zentralen westlichen Mächten aufzupolieren.

Die Geste für die Lockerbie-Opfer war im Dezember 2003 vom Abschluss eines Abkommens mit den USA und Großbritannien, am Ende neunmonatiger Geheimverhandlungen mit beiden Regierungen, gefolgt. Darin verpflichtet Libyen sich auf den Verzicht auf alle ABC-Waffen und die Offenlegung seiner bisher erworbenen technologischen Fähigkeiten in diesem Bereich. Seit diesem Zeitpunkt wurde Libyen wieder zu einem, wie es so schön heißt, anerkannten Mitglied der internationalen Gemeinschaft: Der UN-Sicherheitsrat hob die von ihm verhängten Strafmaßnahmen gegen Libyen bereits im September 2003 auf, es folgte die Aufhebung der US-Wirtschaftssanktionen am 23. April 2004. Die Europäische Union beschloss am 11. Oktober 2004 durch ihren Ministerrat, die letzten Sanktionen gegen Libyen (eine Lockerung hatte bereits seit 1999 eingesetzt), darunter das Waffenembargo, ad acta zu legen. Denn nunmehr ist die Europäische Union selbst brennend an der Belieferung des nordafrikanischen Staates mit High-Tech-Ausrüstung interessiert: Nicht nur, um durch Rüstungsgeschäfte Geld einzunehmen, sondern ebenso, um Libyen durch die Sicherung seiner Mittelmeer- wie auch seiner Wüstengrenzen in das europäische Migrationsregime einzubeziehen.

Ähnliche Sympathie bringt dem Regime in Tripolis derzeit auch die US-Administration entgegen, die durch das Abkommen vom Dezember 2003 Libyen die entscheidende Hilfe bei der Rückkehr in die internationale "Staatenfamilie" leisteten. Doch bereits seit dem 11. September 2001 hatte es eine erste vorsichtige Annäherung zwischen Washington und Tripolis gegeben, da nach der aktuell in der US-Politik gültigen "Gut-Böse-Definition" der libysche Staatschef Gaddafi plötzlich wieder auf der Seite der "Guten" zu finden schien. Hatte Gaddafi sich doch seit den achtziger Jahren mit einer stärkeren, auch militanten islamistischen Opposition auseinander zu setzen, in deren Reihe zeitweise auch Osama Bin Laden in Libyen präsent gewesen zu sein scheint (so jedenfalls Jean-Charles Brisard und Guillaume Dasquié in La vérité interdite, deutsch: Die verbotene Wahrheit. Die Verstrickungen der USA mit Osama bin Laden, 2001). Deswegen erließ Libyen, als erstes Land der Erde, im Jahr 1994 einen internationalen Haftbefehl gegen Bin Laden.

Bereits zum Jahreswechsel 2001/02 hatte, im Zuge dieser Annäherungspolitik, Libyen mit der US-Wirtschaft Exklusiv-Lieferverträge für Erdöl und Erdgas geschlossen. Derzeit haben sich, nach Abschluss des libyschen Ausschreibungsprogramms, US-Firmen 11 der 15 Verträge gesichert. Die französischen Gesellschaften, die sich beworben hatten, wie der Ölkonzern Total und der bisherige Staatsbetrieb GdF (Gaz de France) gingen hingegen leer; die nordamerikanischen Firmen sollen laut 'Libération' (vom 31. Januar 05) höhere Angebote vorgelegt haben. Insbesondere konnte sich die US-Gesellschaft Occidental Petroleum Corp, die Libyen 1986 unter dem Druck der Sanktionen verlassen hatte, den "Löwenanteil" sichern. Dagegen sind US-amerikanische Gesellschaften bisher noch nicht am Rüstungsgeschäft beteiligt, da das Waffenembargo ihrer Regierung vorläufig noch nicht aufgehoben worden ist.

Muammar al-Gaddafi träumt gar von einem "Marshall-Plan" der führenden westlichen Mächten für sein Land, im Gegenzug dafür, dass dieses seine Rüstungsprogramme offen legte und einstellte. Dies erklärte er im Januar 2005 dem Time Magazine: "Eine positive Antwort" in diesem Sinne, so drückte sich Gaddafi aus, sei besser als "die schönen Worte seitens der Amerikaner und Europäer", die er bis dahin erhielt. Da dürfte er freilich lange warten dürfen: In der Weltpolitik hat es bisher noch selten etwas umsonst und aus Großzügigkeit gegeben.

Vorläufiges Fazit

Libyen ist der erste außereuropäische Staat, der sich dermaßen unmittelbar in das Migrations- und Sicherheitsregime der Europäischen Union an ihren Außengrenzen einbinden lässt ­ auch wenn der 1999 verstorbene marokkanische Monarch sich Europa bereits seinerzeit als "Wächter" gegen unerwünschte Einwanderer und als Garant ihrer "Rücknahme" anbot. Weitere Länder dürften folgen.

Das libysche Beispiel zeigt anschaulich, was all die Lippenbekenntnisse zur Demokratisierung in der arabischen Welt taugen: Nämlich, dass es beim Verhältnis der "Ersten Welt" zu Diktaturen der so genannten Dritten Welt keineswegs in erster Linie um deren innere Verfasstheit und um die Gewährung demokratischer Rechte für deren Staatsbürger oder Untertanen geht, sondern hauptsächlich um deren "Nutzen" aus dem Blickwinkel der nördlichen Großmächte. Gleichzeitig aber blamiert der (nicht nur) jüngere Entwicklungsweg Libyens auch gründlich jene Hoffnungen "antiimperialistischer Linker" aus vergangenen Tagen, die auf autoritär-diktatorisch geführte junge Nationalstaaten in den ehemals kolonisierten Ländern als vermeintliche Förderer und Schrittmacher der allgemeinen Emanzipation der Menschheit gesetzt hatten.

Einem dagegen hat die Annäherung bisher noch nicht viel genutzt: Hannibal Gaddafi, der umtriebige Sohn des libyschen Staatschefs und "Revolutionsführers", hat auch weiterhin Probleme mit der französischen Justiz. Erst wurde er durch Polizisten vernommen, nachdem er mit drastisch überhöhter Geschwindigkeit die Pariser Luxusmeile der Champs-Elysées hinunter gebraust war. Dann wurden die Beamten erneut von ihm vorstellig, nachdem die geprügelte Freundin des Lebemanns in ein Krankenhaus eingeliefert worden war und Strafanzeige erstattet hatte. Hannibal Gaddafi wollte sich auf eine angebliche diplomatische Immunität berufen, obwohl er keinerlei politisches Amt innehat, sein Ansinnen wurde durch die Pariser Justiz jedoch abschlägig beschieden. Vorläufig rettete der Sohnemann Gaddafis sich durch eine eilige Abreise nach Skandinavien aus den Fängen der Justiz.