Lieb mich oder geh
Die polnische Regierung hat Schwierigkeiten mit kritischen Medien
Die in der taz publizierte Satire über die Brüder Kaczynski sorgt in Polen immer noch für große Unruhe (Warum Polen die TAZ braucht). Gegen Peter Köhler, den Autor der Satire, die unter dem Titel Polens neue Kartoffel erschien, ermittelt mittlerweile die Warschauer Bezirksstaatsanwaltschaft wegen Beleidigung des polnischen Staatsoberhaupts. Nach polnischem Recht drohen dem Autor bis zu zwei Jahre Haft. Doch nicht nur auf Peter Köhler könnten eventuell schwierige Zeiten zukommen, sondern auch auf die deutschen Polenkorrespondenten. Die polnische Rechte wirft ihnen eine bewusst negative Berichterstattung über Polen vor. Damit führt die Rechte nun jene Medienpolitik fort, die sie schon im staatlichen Rundfunk Polens durchsetzte – keine Kritik an der aktuellen polnischen Regierungspolitik.
Falls zu der Frühstückslektüre der deutschen Polenkorrespondenten die erzkatholische Tageszeitung Nasz Dziennik gehört, die zum Medienimperium um Radio Maryja gehört, dann haben sie sich am Mittwoch letzter Woche entweder an ihrem Brötchen verschluckt oder ihnen ist gleich der Appetit auf das Frühstück vergangen. In einem Artikel unter dem bedrohlichen Titel „Polen beleidigt man nicht straflos“ verurteilt der Journalist Henryk Przemyski die angeblich einseitige und negative Berichterstattung der deutschen Medien über Polen. Vor allem seit dem Wahlsieg der Brüder Kaczynski und ihrer PiS habe der angeblich beleidigende Journalismus zugenommen, bemängelt der Autor. Danach zählt Przemyski die Namen der deutschen und eines schweizerischen Polenkorrespondenten auf, alles Journalisten aus Fernsehen und Printmedien, um am Ende besonders Doris Heimann (Rheinische Post), Gabriele Lesser (Die Tageszeitung), Thomas Urban (Süddeutsche Zeitung) und Konrad Schuller (Frankfurter Allgemeine Zeitung) hervorzuheben, die seiner Meinung nach die polenfeindlichsten Artikel veröffentlichen.
Wer die Arbeit der in dem Artikel erwähnten Journalisten kennt, müsste über den erhobenen Vorwurf der Polenfeindlichkeit entweder lachen oder den Kopf schütteln, oder vielleicht sogar beides tun. Denn viele der dort namentlich genannten Journalisten und Zeitungen haben in den letzten Jahren einiges getan, um den Deutschen den östlichen Nachbar näher zu bringen. So veröffentlichte Thomas Urban, der mit einer Polin verheiratet ist, mehrere Bücher über Polen, und Gabriele Lesser schreibt mit der taz für eine Zeitung, in der trotz der unsäglichen und tatsächlich teilweise beleidigenden Satire schon lange eine intensive Berichterstattung über Polen betrieben wird. Neben Gabriele Lesser gibt es in der Berliner Redaktion mit Uwe Rada und Christian Semler noch zwei weitere Journalisten, die sich mit Polen befassen und die als polophil bezeichnet werden können.
Das Lachen über den Artikel bleibt einem jedoch im Halse stecken, wenn man sich anschaut, aus welcher Richtung die Kritik an den deutschen Polenkorrespondenten kommt. Nasz Dziennik hat schon einen der aggressivsten Kommentare zu der taz-Satire veröffentlicht. Wojciech Wybranowski bezeichnete in seinem Kommentar Peter Köhlers Satire als das Ergebnis eines frustrierten Herrenmenschen, der die wirtschaftlichen Erfolge und Fortschritte Polens nicht verkraften könne, während es mit seinem Land (Deutschland) bergab gehe. Nasz Dziennik entwickelte sich in den letzten acht Monaten von einer erzkatholischen Tageszeitung zu einem quasi offiziellen Regierungsblatt. Bevor Informationen an die etablierten Medien von der Regierung gereicht wurden, wandte sich sie zuerst über Radio Maryja und die dazugehörenden Fernsehsender Trwam und die Tageszeitung Nasz Dziennik, an die Bevölkerung. Somit entspricht die in Nasz Dziennik ausgesprochene Meinung über die Arbeit der deutschen Polenkorrespondenten auch der der polnischen Regierung um die Brüder Kaczynski.
Seit der Wahl Lech Kaczynskis und dem Erfolg der PiS bei den Parlamentswahlen im Herbst letzten Jahres (Rechtsruck in Polen) ist Polen wieder in den Fokus der deutschen Medien geraten. Bis 2005 gab es für die deutschen Medien interessantere Themen als die Ereignisse in Polen. Bis auf die Debatte um das in Berlin geplante Vertriebenenzentrum und den Beitritt Polens in die EU waren die deutsch-polnischen Beziehungen sowie die politische Lage in Polen zu normal und somit zu uninteressant, um über das Land zu berichten. Seitdem es aber in Polen eine Regierung gibt, aus der homophobe und europafeindliche Stimmen zu hören sind, ist Polen für die deutschen Medien wieder fast so interessant wie in den 80er Jahren, als die Solidarnosc den kommunistischen Machthabern die Stirn bot. Damals feierte die deutsche Presse die polnische Oppositionsbewegung und kritisierte das Jaruzelski-Regime, welches sich 1981 nur mit der Verhängung des Kriegsrechts an der Macht halten konnte.
Heute fühlen sich die Brüder Kaczynski, die in der ersten unabhängigen Gewerkschaft des Ostblocks aktiv waren, und ihre Partei von der deutschen Presse in die Rolle des Bösen gedrängt, da sie und ihre Politik angeblich falsch dargestellt werden. Weil sich die polnische Regierung aber als Stellvertreterin für die gesamte polnische Nation sieht, versuchen die Konservativen den Eindruck zu erwecken, mit der kritischen Berichterstattung über die aktuelle Regierung, werde die ganze Nation in Verruf gebracht.
Unterstützt wird die Regierung dabei von dem in Bremen lehrenden Soziologen Zdzislaw Krasnodebski. In der vom Springer-Verlag Polen herausgegebenen Tageszeitung Dziennik veröffentlichte er eine Analyse der Berichterstattung deutscher Zeitungen über Polen, in der er zu einem klaren Ergebnis kommt: „Die deutsche Presse attackiert uns.“ Besonders negativ fielen dem zwischen Deutschland und Polen pendelnden Soziologieprofessor die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die taz auf.
Die ersten Auswirkungen dieser Kampagne bekommen die Autoren der Berliner taz bereits zu spüren. Peter Köhler, dem Autor der Satire „Polens neue Kartoffel“, droht in Polen eine Gefängnisstrafe wegen Beleidigung des polnischen Staatsoberhaupts. Vor zwei Wochen forderte die PiS-Fraktion ihren Parteikollegen und Justizminister Zbigniew Ziobro dazu auf zu prüfen, ob sich Peter Köhler mit seiner Satire nach polnischen Recht strafbar gemacht hat. Jetzt ermittelt die Warschauer Bezirksstaatsanwaltschaft gegen den Deutschen, dem nach Artikel 135 § 2 des polnischen Strafgesetzbuches zwei Jahre Haft drohen. Falls der Tatbestand erfüllt wird, fordert Przemyslaw Gosiewski, PiS-Fraktionsvorsitzender im polnischen Parlament, sogar einen europäischen Haftbefehl.
Und auch Gabriele Lesser, die schon seit Jahren für die taz aus Polen berichtet, klagt über die ersten Einschränkungen bei ihrer täglichen Arbeit. Direkt nach dem Beginn der Affäre um die Satire, kündigte der Pressesprecher des polnischen Außenministeriums Andrzej Salos an, der taz keine Interviews mehr geben zu wollen, was dieser jedoch bestreitet. Und in einem letzte Woche erschienenen Artikel beklagt sich die Korrespondentin, nicht mehr das Ton- und Textarchiv des polnischen Rundfunks, welches bisher nach Bezahlung einer Gebühr allen ausländischen Journalisten zugänglich war, nutzen zu dürfen.
Auch in Polen wird versucht, kritische Stimmen beiseite zu drängen
Die Gründe für diese Reaktion auf die deutsche Berichterstattung sind vielfältig. Die Polen haben eine starke Sehnsucht nach Anerkennung von außen, was hier bereits in einem anderen Text hervorragend erklärt wurde (Schrei nach Liebe). Es ist eine Sehnsucht, die sogar politische Unterschiede verschwinden lässt. Beispielhaft dafür ist ein Interview des ehemaligen polnischen Außenministers Adam Rotfeld mit der Gazeta Wyborcza. Rotfeld, der nicht zu den Befürwortern der aktuellen polnischen Außenpolitik gilt, kritisierte zwar die übertriebene Reaktion auf die Satire von Peter Köhler, doch gleichzeitig bemängelte auch er die Berichterstattung über Polen. „Vielmehr sollte man über die Erfolge Polens berichten, das Wirtschaftswachstum und die erfolgreiche Transformation“, sagte er der einst meist-verkauften Zeitung Polens.
Ein weiterer Grund für die Kritik an den deutschen Korrespondenten dürfte auch die bisherige Erfahrung der Brüder Kaczynski mit der Presse im Allgemeinen sein. In einem am Montag in der Welt erschienen Interview verweist der Chefredakteur des Dziennik, Andrzej Godlewski, auf die schlechten Erfahrungen hin, die die Brüder Kaczynski bisher mit den polnischen Medien gemacht haben. Die polnischen Medien gingen in der Vergangenheit nicht gerade zimperlich mit den Zwillingen um und kritisierten die Brüder, ihre Partei und die aktuelle Regierungskoalition. Eine Kritik, die die polnischen Konservativen nicht gerne hören, da die Sehnsucht nach Kritiklosigkeit eine besonders ausgeprägte Charaktereigenschaft der polnischen Rechten ist. Doch darin könnte nach Meinung der Warschauer Soziologin Maria Jarosz die größte Gefahr für die polnische Demokratie stecken (Die Koalition der Transformationsverlierer).
Die ersten Schritte, um die Kritiker in der polnischen Presse zum Schweigen zu bringen, hat die aktuelle Regierung bereits unternommen. In Polen ist es fast schon eine Tradition, dass mit jedem Regierungswechsel, sich auch die Leitung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verändert. Aber solche tiefgehenden Veränderungen, wie sie es jetzt in der Struktur des Staatsrundfunks gibt, gab es das letzte Mal in den Jahren der Wende 1989/90. Denn mit Bronislaw Wildstein, einem ehemaligen konservativen Autor des Magazins Wprost, und seinem Stellvertreter Piotr Farfal gibt es nicht nur eine neue Leitung, in den letzten Wochen wechselten auch ganze Redaktionen. Diese Veränderungen lösen die ersten Befürchtungen aus. „Ich habe Angst, dass es der Beginn der Ideologisierung des öffentlichen Fernsehens ist“, sagte Dorota Reczek der Gazeta Wyborcza. Seit 1989 arbeitete sie in der Jugend- und Erziehungsredaktion des polnischen Fernsehens TVP und erhielt vor einigen Wochen ihre Entlassung.
Aber nicht alle sehen in den personellen Umbesetzungen eine Gefahr für die polnische Pressefreiheit. Der bereits erwähnte Chefredakteur des Dziennik, Andrzej Godlewski, sagte in dem Interview vom Montag: „Jetzt wollen sie (die Brüder Kaczynski) gerechte Berichterstattung und haben deshalb Personalwechsel im Radio und Fernsehen durchgesetzt. Bisher gibt es aber aus meiner Sicht nichts zu beanstanden. Es werden Mitarbeiter entlassen und neue eingestellt. Aber der Personalwechsel hatte keinen Einfluss auf das Programm. Es gab keine einseitige Pro-Kaczysnki Berichterstattung.“
Ohne Eigeninteresse scheint diese Meinung Godlewskis nicht zu sein. Mit dem Dziennik hat er die schwierige Aufgabe, eine neue Zeitung auf dem polnischen Markt zu etablieren ("In den Krieg gegen Gazeta Wyborcza"). Da scheint es Godlewski ratsam zu sein, sich mit der neuen Regierung gut zu stellen, vor allem wenn man die Hoffnung hat, die Stimme der polnischen Konservativen zu werden und dadurch ein interessanter Partner für die regierende PiS.
Wie es nämlich Kritikern aus unabhängigen Medien ergehen kann, konnte Godlewski jetzt beobachten. Piotr Farfal, den neue zweite Mann des polnischen Staatsfernsehens, drohte dem Journalisten Marcin Kowalski von der Gazeta Wyborcza, auf einer Pressekonferenz öffentlich mit juristischen Schritten. Kowalski fand heraus, dass Farfal in den 90er Jahren für die rechtsradikale Front, deren Herausgeber Farfal auch war, sowie für die faschistische Szczerbca schrieb. In einem Artikel mit dem Titel „Ehemaliger Neo-Nazi bei TVP“ machte er dies publik und sorgte somit für sehr viel Aufregung, ohne jedoch bei der Regierungskoalition Eindruck hinterlassen zu haben. Diese hält bis heute an Piotr Farfal fest, der dies als Jugendsünde darstellt und sich selber als Opfer der tatsächlichen Herausgeber der faschistischen Zeitschrift verkauft, und ermöglicht ihm weiterhin, Einfluss auf die Programminhalte des öffentlich-rechtlichen Fernsehens nehmen zu können, obwohl Farfal eigentlich kaum noch tragbar ist.
Stattdessen drohen dafür dem Journalisten der Gazeta Wyborcza Konsequenzen. Falls es tasächlich zu juristischen Schritten gegen Marcin Kowalski kommen sollte, dann könnten sich der polnische Journalist und der deutsche taz-Autor Peter Köhler zusammentun, um darüber zu schreiben, wie schmerzhaft die Wahrheit (so heißt die Satireseite der taz) sein kann.