Warum Polen die TAZ braucht
Aufregung in Polen: die polnische Regierung bauscht einen TAZ-Artikel als anti-polnisch auf und vergleicht die linke Tageszeitung mit dem "Stürmer"
Seit Tagen ist ein aufgebauschtes Getöse zwischen Polen und Deutschland zu vernehmen, als hätte die große Koalition die Rückgabe der ehemaligen Ostgebiete gefordert. Dabei handelt es sich eher um ein selbst geschaffenes PR-Desaster der polnischen Regierung (Die Koalition der Transformationsverlierer). Doch auch die TAZ mischt kräftig mit, ohne genug Selbstreflexion an den Tag zu legen. Nebenbei werden einige deutsch-polnische und polnisch-deutsche Leichen aus dem Keller hervorgeholt. Dabei bräuchte Polen nichts mehr als eine der TAZ vergleichbare Zeitung, um endlich die kulturellen Defizite aufzuholen.
Begonnen hat alles mit einem zünftigen, aber doch als Satire getarnten Artikel der TAZ auf der "Wahrheit" genannten Nonsens-Seite der Zeitung. Peter Köhler hatte darin unter dem Titel Polens neue Kartoffel sprachlich überhöht nicht nur den Zustand der deutsch-polnischen Beziehungen zusammengefasst, sondern auch den polnischen Präsidenten Kaczynski samt Lebenslauf an den Pranger gestellt. Sein Vorbild sei der für das „halbfaschistische“ Vorkriegsregime in Polen verantwortliche Pilsudski, eine historische Figur, die ähnlich Bismarck hierzulande in Polen nach wie vor ein hohes Ansehen genießt.
Vorbild der Kaczynskis ist der Erfinder Polens von 1919, Josef Pilsudski, der 1926 die "gelenkte Demokratie" entdeckte und dem halbfaschistischen Militärregime von 1935 die Bahn schmierte. Wie Pilsudski sind die Kaczynskis Polen bis über beide Ohren, und das Vaterland sitzt ihnen wie angegossen. Dass die zwei vorn wie hinten sauber sind, haben sie bewiesen: Lech, der öffentliche Hinterteile an Warschaus Männern mehrmals verbot, mehr noch Jaroslaw, der mit der eigenen Mutter zusammenlebt - aber wenigstens ohne Trauschein.
Peter Köhler in der TAZ
Als besonders beleidigend empfanden viele den Kontext des Artikels. Im Rahmen der Serie „Schurken, die die Welt beherrschen wollen.“ erschien 2004 etwa ein Artikel über Polens Intimfeind und Weißrusslands berüchtigten Diktator Lukaschenko. Doch gegen Das Monster von Minsk kam Katsche-Kaczynski glimpflich davon. Der Artikel von Köhler wäre normalerweise sang- und klanglos untergegangen im täglichen Informationsüberschuss, hätte sich die polnische Seite nicht offiziell beschwert und wäre nicht ein wahrer Entrüstungssturm über den polnischen Blätterwald gezogen. Moderate Artikel zum Thema auf Gazeta.pl, der Online-Version der liberal orientierten größten polnischen Tageszeitung, versammeln auch gern mal knapp 1000 hitzige Kommentare.
Um die Entrüstung jenseits der Oder zu verstehen, muss man noch einen Schritt zurückgehen. Lech Kaczynski, der Leidtragende der satirischen Schmährufe seitens der TAZ, war im März zu Besuch in Berlin, als ein Paar aufrechter Homosexueller ihm die Leviten gelesen haben. Zu diesem "Eklat" gab es triftige Gründe, denn im nur zweieinhalb Stunden von Berlin entfernten Poznan (Posen) wurde kurz zuvor von Parteikollegen des Präsidenten eine Demonstration von Homosexuellen nicht nur untersagt, sondern praktisch zwischen den zwei Fronten der Polizei und rechten Schlägertrupps aufgerieben.
Auch Kaczynski selbst verbot schon zuvor in seinem Amt als Stadtpräsident der Hauptstadt Warschau zwei Gleichheitsparaden. Kaczynski gehört der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) an die auch den Premierminister stellt (Rechtsruck in Polen). Die Partei ist mit der CDU/CSU vergleichbar, nur ist das Christliche in Polen noch längst nicht hauptsächlich Staffage wie in Deutschland. Die Polen sind bekanntlich überwiegend katholisch und praktizieren auch ihren Glauben. Homosexualität gilt gemeinhin als unnatürlich, Krankheit oder Perversion, nur eine westlich orientierte intellektuelle Schicht geht mit diesem Thema lockerer und aufgeklärter um. Homosexuellen-freundliche Politik die im Westen immer mehr Einzug hält ist also in Polen eher nicht zu erwarten, von diesem Mann erst recht nicht. Insofern war er der ideale Adressat für eben diesen Protest. Als er an der Berliner Humboldt Universität sprach, warteten seine Bodyguards bereits mit Regenschirmen gewappnet, um Eierwürfe abzuwehren. Ein Staatsmann hätte diese Situation gemeistert, Kaczynski schaffte es nicht und gab eher eine schlechte Figur ab.
Weitere Verstimmungen zwischen Deutschland und Polen verursachte die Entscheidung für den Bau einer an Polen vorbeiführenden Gas-Pipeline von Russland nach Deutschland. Das noch von Schröder zu verantwortende Projekt ist in der Tat ein offener Bruch mit polnischen Interessen und wird in Polen überparteilich als offener Affront angesehen. Nicht zuletzt gibt es die „Vertriebenen“-Initiative, also das geplante Zentrum gegen Vertreibungen unter der Ägide des Bundes der Vertriebenen (Schwierige deutsch-polnische Beziehungen). Das ist natürlich auch dem jetzigen Präsidenten ein Dorn im Auge, nährt sich diese Organisation hauptsächlich aus revanchistischen Motiven. Dazu gesellt sich eine in Deutschland herrschende amorphe und überzogene Angst vor einer polnischen EU-Abwendung. Kaczynski wird gern als EU-feindlich bezeichnet, was eine Übertreibung darstellt, verfolgt er doch lediglich eine Politik des begrenzten Protektionismus, wie sie auch in Deutschland längst praktiziert wird. Deutschland hat überdies aus Angst vor dem schon sprichwörtlichen polnischen Klempner eine siebenjährige Sperrfrist beim EU-Beitritt Polens umgesetzt, die es polnischen Staatsbürgern nicht erlaubt, nach Deutschland zu ziehen oder hier zu arbeiten. Großbritannien hat eine solche nicht und erfreut sich zum Nutzen beider Seiten eines regen Zulaufs polnischer Arbeitskräfte, ohne unter einer „Überschwemmung“ zu leiden.
Politisches Kalkül
Das auflagenstärkste polnische Wochenmagazin Polityka hat kürzlich dieser neuen Welle eine Titelgeschichte gewidmet. Da wurde auch der schwule polnische Geschäftmann porträtiert, der sich in London wohler fühlt, weil ihm keiner wegen der rosa Krawatte komische Blicke zuwirft. Die gleiche Polityka hatte im Vorfeld der diesjährigen Gleichheitsparade eine Geschichte veröffentlicht, die den Werdegang bzw. die Entstehung einer neuen außerparlamentarischen Opposition in Warschau schilderte. Diese konstituiere sich vor allem als Gegenreaktion auf den Rechtsruck der neuen polnischen Koalition, die die TAZ zuvor nicht ganz zu unrecht als Horrorkoalition bezeichnete.
Überhaupt verfolgt die TAZ das Geschehen in Polen mit regem Interesse. Keine Selbstverständlichkeit in Deutschland oder erst recht in den USA. Als Lech Kaczynski im Februar Chicago besuchte, die "größte polnische Stadt außerhalb Polens", war das der Chicago Tribune, der drittwichtigsten Zeitung des Landes, nicht mal eine Notiz wert. Die TAZ mochte den "Scheriff von Warschau" von Anfang an nicht, im Gegensatz etwa zur WELT vom Springer-Verlag. Das hat triftige Gründe, denn der ebenfalls rechtskonservative Springer Verlag ist gerade dabei, den polnischen Pressemarkt zu erobern ("In den Krieg gegen Gazeta Wyborcza"). Dort mischen bislang aber schon etliche andere deutsche Konzerne mit. Springer Polska publiziert neben einer Vielzahl von Fachzeitschriften auch das zweitgrößte Magazin nach Polityka, eine lizenzierte Newsweek-Ausgabe. Mit komplett eigener Redaktion allerdings. Schon in der Vergangenheit führte solches Engagement auf dem polnischen Zeitungsmarkt zu seltsamen Blüten. So wurden seinerzeit Redakteure der Tageszeitung Zycie vom deutschen Eigentümer zurück gepfiffen, als sie dem damaligen Präsidenten Kwasniewski eine KGB-Mitarbeit vorwarfen.
Die TAZ hat mit dazu beigetragen, Polen, das hierzulande oft noch als genauso exotisch wie Polynesien wahrgenommen und lediglich mit dümmlichen Polenwitzen Marke zweitklassiger Showmaster in Verbindung gebracht wird, auf die Agenda zu setzen. Dieser Aufmerksamkeit ist es auch mit zu verdanken, dass die diesjährige Parade der Gleichheit genehmigt und unbehelligt von Polizei und der "Allpolnischen Jugend" durch Warschau durchgeführt werden konnte. Mit dabei waren einige Hundert Demonstrierende aus Deutschland die ihren polnischen Leidensgenossen zur Seite standen. Einer davon ist auch nach wie vor inhaftiert (Schwule kämpfen in Warschau um Anerkennung, Und die Rache folgt sogleich).
Doch reicht diese Aufmerksamkeit seitens der TAZ nicht, wie man jetzt sieht. Die linke Zeitung wehrt sich zurecht gegen die Angriffe, zumal die polnische Außenministerin Anna Fotyga sie mit dem NS-Hetzblatt „Der Stürmer“ verglich. Ein hanebüchener Vergleich, der entweder von Unkenntnis zeugt oder aber absichtliche Diffamierung ist, die die pseudopatriotischen Stimmungen in Polen mobilisieren soll. Während man Lech Kaczynski noch Provinzialität vorwerfen könnte, gilt diese Entschuldigung für Anna Fotyga nicht. Sie arbeitete bereits in den USA und war auch Abgeordnete im EU-Parlament. Es scheint also ein politisches Kalkül dahinter zu stecken.
Der heraufbeschworene Gegensatz „TAZ gegen Polen“ macht das offenbar. Denn die linke Zeitung ist weder antipolnisch, noch richtet sich ihre Kritik allgemein gegen Polen. Es wird lediglich eine rechte Regierung von einer linken Zeitung aufs Korn genommen. Warum dieser Konflikt ethnisiert wird, in den Foren werden die Deutschen auch mal gern mit Nazis gleichgesetzt, lässt sich nur vermuten. Die Absage des polnischen Präsidenten der Teilnahme an einem geplanten Gipfel der drei Staatsoberhäupter Frankreichs, Deutschlands und Polens könnte ein Grund sein. Letzteres wird zwar dementiert, aber man wird das Gefühl nicht los, dass die polnische Regierung Deutschland eher konfrontativ gegenüberstehen will. Die TAZ scheint in diesem Kontext nur ein willkommener Anlass zu sein, die Muskeln spielen zu lassen. Sie könnte allerdings damit besser umgehen, wenn sie die unterstellte antipolnische Tendenz entgegentreten würde. Stattdessen schlägt sie lediglich zurück, was den polnischen Rechtspopulisten in die Hände spielt, bestätigt es doch nur das Bild vom bösen Deutschen.
Die TAZ könnte aber auch eine positive Vorbildfunktion übernehmen und die liberalen Kreise in Polen stärken, statt sich auf die "Wir gegen sie"-Rhetorik einzulassen. Springer hat in Polen natürlich einen enormen Vorsprung. Kürzlich brachte der Konzern eine neue Tageszeitung nach dem Vorbild der WELT in Polen auf den Markt ("In den Krieg gegen Gazeta Wyborcza"). Ironischerweise heißt sie schlicht "Tageszeitung" (Dzennik) und versucht, sich der polnischen Regierung anzunähern, während Gazeta und Polityka das aufgeklärte Polen vertreten.
Was in Polen fehlt, ist eine Presse, die links im Sinne von grün, außerparlamentarisch und nicht postkommunistisch ist. Polen hat kein gesundes Gegengift zum bürgerlichen Mainstream, das in Deutschland durch selbst organisierte Publikationen wie Jungle World oder Konkret vertreten wird. Die sind zwar oft genug unausstehlich, sorgen aber für einen Ausgleich in einem sonst profitorientiert ausgerichteten Pressewesen. Die TAZ oder wer auch immer könnte den ersten Schritt in die richtige Richtung machen. Dann könnten die Polen hoffen, von Deutschland nicht nur Autobahnen, Atomkraftwerke und Nationalismus zu übernehmen, sondern auch Radwege, Bioläden, Windkraftwerke, Zeitungskollektive und nicht zuletzt das Stadtbild bereichernde Homosexuelle.
Gerade wurde bekannt, dass der polnische Ministerpräsident Kazimierz Marcinkiewicz zurücktreten will. Zum Nachfolger, so hat die Führung der PiS-Partei beschlossen, soll ihr Parteichef Jaroslaw Kaczynski werden, der erst einmal im letzten Jahr auf den Posten verzichtet hatte, um seinem Zwillingsbruder die Wahl zum Präsidenten nicht zu erschweren. Sollte Jaroslaw Kaczynski Regierungschef werden, stünden die Zwillingsbrüder Kaczynski als Regierungschef und als Präsident an der Spitze des polnischen Staates.