Linke zur Berlin-Wahl: "Alte Privilegien werden auch beschnitten werden müssen"

Der öffentliche Raum muss neu verteilt werden, sagt Katina Schubert. Foto: © vdM

Die Berliner Linkspartei-Chefin Katina Schubert vor der Neuwahl über Armut, Inflation, den Chaos-Streit in der Verkehrspolitik und die Forderung nach Enteignung von Wohnungsunternehmen.

"115 – Wir lieben Fragen" – das ist der Slogan der einzigen Behörden-Hotline der Berliner Verwaltung und der Bezirksämter. Er wird in der telefonischen Warteschleife immer wiederholt. Wie Berliner:innen berichten, ist diese Hotline zumeist entweder nicht erreichbar, die Verbindung wird nach langer Wartezeit einfach getrennt oder die Mitarbeiterinnen legen bei Nachfragen einfach auf.

Durch eine Parlamentarische Anfrage der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus an den Senat wurde gerade bekannt, dass die Wartezeit bei den Bürgerämtern für die Ausstellung einer zur Erledigung behördlicher Angelegenheiten wichtigen Geburtsurkunde mehrere Monate dauert. Für Berlinerinnen und Berliner ist dies seit Jahren der Normalzustand – begonnen hatte dieser Dauerzustand aber bereits unter Landesregierungen auch unter Beteiligung der CDU.

Durch die personalintensiven Vorbereitungen zur heutigen Neuwahl wurden in Berlin mehrere Sozialämter und Bürgerämter komplett geschlossen – laut Berichten des rbb mit dramatischen Auswirkungen für Schwerstkranke und andere Betroffene.

"Man kann die Stadt nur mit den Berlinern entwickeln – nicht gegen sie"

Die gebürtige Heidelbergerin Katina Schubert ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei Die Linke, Landesvorsitzende in Berlin und seit 2016 Mitglied des Abgeordnetenhauses und im dortigen Ausschuss für Soziales. Sie arbeitete zuvor als Journalistin und im Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages sowie als persönliche Referentin für die heutige Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau, die frühere Berliner Sozialsenatorin Carola Bluhm und den heutigen Bürgermeister, Kultursenator und Spitzenkandidaten Klaus Lederer (alle Die Linke).

Die Umfragewerte der lange favorisierten Grünen für die Wahl in Berlin sind nach der Räumung von Lützerath dramatisch eingebrochen – laut ZDF führten zuletzt wieder CDU und SPD. Mit Telepolis sprach Schubert über die Arbeit ihrer Fraktion im Bündnis mit SPD und Grünen seit der Wahl 2021 sowie Perspektiven für eine linke Stadtpolitik.

Die Neuwahl wird wohl mindestens 30 Millionen Euro kosten. Mal ehrlich, hätte man das Geld nicht besser verwenden können?

Katina Schubert: Auf jeden Fall, da würde mir jede Menge einfallen, von der Verstetigung des Neun-Euro-Sozialtickets für mehr Menschen mit wenig Geld bis hin zum kommunalen Wohnungsbau, den unsere Stadt so dringend braucht.

"Die Ämter sind für die Menschen da und nicht umgekehrt", steht in Ihrem Wahlprogramm. Sebastian Czaja, Chef der Berliner FDP, fordert die komplette Auflösung der Bezirksämter, um das Zuständigkeits-Chaos abzuschaffen. Ist das denn nicht der einzige Weg?

Katina Schubert: Nein, niemand kann im Ernst wollen, dass der Senat sich um jeden einzelnen Bordstein in den Bezirken kümmert. Das ist eine populistische Forderung ohne Substanz, dadurch würde nichts besser werden. Im Gegenteil: Wir wollen starke Bezirke und breite Bürger:innenbeteiligung. Man kann die Stadt nur mit den Berlinerinnen und Berlinern gemeinsam entwickeln – nicht gegen sie.

Im Abgeordnetenhaus wird aber ständig über Fahrradwege und die autofreie Friedrichstraße gestritten, ein Lieblingsprojekt der Grünen. Gleichzeitig haben Zehntausende in Berlin zu wenig zu essen. Kriegt man solche wirklichen Probleme im Parlament gar nicht mehr mit?

Katina Schubert: Die Umsetzung der Verkehrswende ist für eine Stadt wie Berlin zentral, denn der Zugang zu Mobilität darf nicht vom Wohnort oder Geldbeutel abhängen. Daher wünsche ich mir weniger Wahlkamp-Geklingel um 500 Meter Friedrichstraße, sondern, dass die wesentlichen Probleme angepackt werden. Dazu gehört der Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs in den Außenbezirken, der Umbau zu mehr barrierefreien Haltestellen genauso wie sichere Rad- und Fußwege.

Die Berliner Linkspartei kümmert sich intensiv um die Bekämpfung von Armut, im Senat und im Parlament. Das Neun-Euro-Sozialicket und das Kulturticket für Transfergeldbeziehende, kostenlose Schüler:innentickets und Schulessen, gebührenfreie Kitas, die Jugendkulturkarte, kostenlose Schwimmbadbesuche, all das gibt es nur in Berlin und das erspart zum Beispiel Familien in Berlin richtig Geld, eine durchschnittlich verdienende Familie mit zwei Kindern in Brandenburg hat 400 Euro pro Monat (!) weniger im Portemonnaie.

"Für uns gilt weiterhin: Niemanden zurücklassen"

Obwohl in Hamburg einiges besser läuft als in Berlin, gibt es auch dort sehr umstrittene Wege in der Verkehrspolitik: Im Bezirk Ottensen gab es, forciert von den Grünen, auch große Modellprojekte zur Verkehrsberuhigung. Diese riefen enormen Unmut hervor und mussten zurückgefahren werden. Muss Berlin daraus nicht lernen?

Katina Schubert: Ich kenne diese Hamburger Projekte nicht und kann deshalb nichts dazu sagen. Meistens ist es doch so, dass Veränderung einen gewissen Unmut hervorruft und alte Besitzstände häufig umso energischer verteidigt werden. Wir können aber den zusätzlichen Platz für Bus und Bahn, für Fuß- und Radverkehr nicht herbeizaubern. Er muss irgendwo herkommen. Die Verkehrswende ist klima- und sozialpolitisch notwendig.

Der öffentliche Raum muss neu verteilt werden. Dazu braucht es breite Beteiligungsprozesse. Aber der Ehrlichkeit halber sage ich auch: Alte Privilegien werden auch beschnitten werden müssen. Wer meint, das öffentliche Straßenland stehe ihm quasi naturgesetzlich umsonst zu für das private Auto, das mehr als 90 Prozent der Zeit nur in der Gegend rumsteht, wird umlernen müssen.

Als im Herbst in Ihrer Koalition die Verlängerung des Neun-Euro-Tickets für Menschen für wenig Geld scheiterte, traten Sie nach einer Verhandlungsrunde mit einem sehr emotionalen Statement vor die Presse und warfen wütend der SPD und Grünen Ignoranz gegenüber der Not der Armen vor. Warum sind SPD und Grüne so blind gewesen gegenüber dem Leiden der Armen?

Kantina Schubert: Das müssen Sie sie selber fragen, ich verstehe das nicht. Das hätte sofort gleichzeitig mit dem 29-Euro-Ticket mit dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg verhandelt werden müssen. Wir streiten weiter für eine dauerhafte Verstetigung des Tickets. Davon profitieren die Berlinerinnen und Berliner, die am stärksten unter den Auswirkungen der hohen Inflation leiden. Für uns gilt weiterhin: Niemanden zurücklassen.

"Eine Wohnung ist ein Zuhause – ein Zuhause gehört nicht an die Börse"

Für zumindest drei Monate im Winter wurde das Neun-Euro-Ticket für Armutsbetroffene dort in Berlin ja nun wieder eingeführt. Wie konnten Sie SPD und Grüne dann doch noch überzeugen?

Katina Schubert: Es ist richtig und vernünftig, Menschen mit sehr wenig Einkommen gezielt zu entlasten. Wir haben in Berlin seit Oktober ein 29-Euro-Ticket für alle eingeführt, das entlastet alle Nicht-Transfergeld-Beziehenden massiv im Vergleich zu den üblichen Monatstickets. Dass es dann auch eine Entlastung der Transfergeld-Beziehenden einschließlich der Wohngeld-Beziehenden geben muss, das sind immerhin über 700.000 Berlinerinnen und Berliner, war und ist offensichtlich.

Fordert Ihre Partei denn weiter die Enteignung von Wohnungsunternehmen?

Katina Schubert: Aber selbstverständlich, wir sind fest entschlossen, den Volksentscheid und damit den politischen Willen von über einer Million Berlinerinnen und Berliner umzusetzen. Der Zwischenbericht der Expert:innenkommission hat unsere Auffassung bestätigt, dass das Land die Gesetzgebungskompetenz dafür hat. Jetzt geht es mit Hochdruck daran, ein wirksames Umsetzungsgesetz zur Vergesellschaftung der großen privaten Wohnungsunternehmen zu erarbeiten. Eine Wohnung ist ein Zuhause – ein Zuhause gehört nicht an die Börse.