Links, müde, unterbezahlt? Wer heute in Deutschland journalistisch arbeitet

Journalisten auf einer Pressekonferenz. Man sieht eine Frau, die mitschreibt.

Bild: Unsplash

Studie gibt Einblick in Einkommen, politische Selbstverortung und Arbeitsrealität von über 1.200 hauptberuflichen Journalisten in Deutschland.

Wie steht es um den Journalismus in Deutschland? Dazu wird allerhand geforscht, meist anhand von Veröffentlichungen einzelner Medien oder zu einzelnen Themenfeldern wie der Corona-Berichterstattung.

Immer mal wieder werden aber auch Journalisten selbst befragt: Wie sieht ihr Arbeitsalltag aus, welche Einflüsse auf ihre Arbeit nehmen sie wahr, was treibt sie an, wie sehen sie ihre eigene Rolle in der gesellschaftlichen Kommunikation?

Veränderte Welten des Journalismus

Die Ergebnisse einer umfangreichen Befragung für Deutschland sind gerade in der Zeitschrift Medien & Kommunikationswissenschaft veröffentlicht worden. Dabei ist die Untersuchung Teil des globalen Projekts "Worlds of Journalism". Im zuletzt erschienenen Forschungsband wurden im Jahr 2019 Erkenntnisse aus Interviews mit 27.500 Journalisten in 67 Ländern zusammengetragen.

Für die neue "Worlds of Journalism"-Studie wurden in Deutschland 1.221 hauptberuflich tätige Journalisten befragt, überwiegend telefonisch und dann rund eine halbe Stunde lang. Um eine repräsentative Stichprobe ziehen zu können, wurde zunächst ermittelt, wie viele sogenannte "redaktionelle Einheiten" es in Deutschland gibt.

Dabei zeigte sich, dass eine Trennung nach Print und Online häufig nicht mehr möglich ist, weil Redaktionen für verschiedene Ausspielwege zugleich arbeiten.

Bei der vorherigen Befragung wurden Spiegel und Spiegel Online noch als zwei getrennte Einheiten erfasst, in der nun vorliegenden Studie wird "die integriert arbeitende Redaktion des Spiegel im Zeitschriftensegment erfasst".

Nur 1,4 Prozent (der Befragten, Einf. d.A.) geben an, niemals an Inhalten für Websites, Nachrichten-Apps, Social Media, Messenger oder E-Mail-Newsletter beteiligt zu sein.

Betrachtet man die Mittelwerte der einzelnen Ausspielwege, die auf einer Skala von 1 = niemals bis 5 = immer abgefragt wurden, liegt die Webseite mit 3,67 deutlich an erster Stelle, gefolgt von Social Media (3,51) und Print (3,45).

Der Onlinebereich hat sich damit – wenig verwunderlich – für viele Journalist:innen zu einer festen Basis unter den Ausspielwegen entwickelt.

Anna von Garmissen/ Corinna Lauerer/ Thomas Hanitzsch / Wiebke Loosen: Journalismus in Deutschland 2023

Als "Online-Only-Medien" konnten für den Erhebungszeitpunkt nur 193 redaktionelle Einheiten ermittelt werden. Einer der Gründe laut der vier Autoren: erfolgreiche "native Onlinemedien" werden von Traditionsunternehmen aus Presse und Rundfunk aufgekauft.

Jede(r) Fünfte arbeitet für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Von den rund 40.000 hauptberuflichen Journalisten in Deutschland arbeiten nach den Befragungsdaten etwa 20 Prozent für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR), fast alle übrigen für privatwirtschaftliche Medien.

Die meisten Journalisten sind angestellt, die Zahl der Freiberufler wird auf 8.750 geschätzt. Bei diesen sogenannten "Freien" fällt die Bedeutung des ÖRR als Auftraggeber in Auge:

Während nur 15 Prozent der Festangestellten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk tätig sind (n = 977), stellt er für 43,6 Prozent der Freien das Hauptmedium dar (n = 234).

Journalismus in Deutschland 2023

Akademiker, weniger links als früher

70 Prozent der Journalisten sind Akademiker, 78 Prozent haben ein Volontariat gemacht (die ein- bis zweijährige Praxisausbildung in einer Redaktion), zwölf Prozent geben einen Migrationshintergrund an (in den meisten Fällen in der Form, dass wenigstens ein Elternteil außerhalb Deutschlands geboren wurde).

Zur politischen Einstellung heißt es:

Zwar ordnen sich die Befragten im Mittel noch immer leicht links im Gesamtspektrum ein – allerdings weniger deutlich als in früheren Jahren.

Journalismus in Deutschland 2023

Auf einer Skala von 0 "ganz links" bis 10 "ganz rechts" ergibt sich demnach ein Mittelwert von 4,21.

Veränderungen gegenüber der vorherigen Befragungswelle aus den Jahren 2014/ 2015 zeigen sich beim Rollenverständnis.

Platz 1 der Agenda: "Informationen vermitteln"

Aus den vorgegebenen Möglichkeiten wird nun mit 87 Prozent der Aussage zugestimmt: "Informationen vermitteln, die Menschen zu politischen Entscheidungen befähigen" am häufigsten zugestimmt (zuvor: 56 Prozent).

Die neu aufgenommene Rolle "Desinformationen entgegenwirken" liegt auf Platz zwei mit 86 Prozent Zustimmung.

52 Prozent sehen es als ihre Aufgabe, an "Randgruppen und Minderheiten eine Stimme" zu geben. Immerhin knapp acht Prozent wollen die politische Tagesordnung bestimmen, nur 0,8 Prozent "die Regierung unterstützen".

Hinsichtlich ihrer professionellen Autonomie machen die Journalist:innen im Vergleich zur Vorgängerstudie Abstriche. 62,0 Prozent fühlen sich sehr oder vollständig frei in der Auswahl ihrer Themen [...]. Auch die empfundene Entscheidungsfreiheit darüber, welche Aspekte einer Geschichte betont werden, ist gesunken: Fühlten sich 2014/15 noch 81,9 Prozent der Journalist:innen darin sehr oder völlig frei, sind es aktuell 74,7 Prozent.

Journalismus in Deutschland 2023

Und was verdienen Journalisten?

Etwa ein Viertel der Befragten verortet sich im Netto-Einkommensbereich von 2.401 bis 3.000 Euro. Vier Prozent verdienen mehr als 6.000 Euro netto, etwa zehn Prozent verdienen nicht mehr als 1.800 Euro (wobei die Hauptberuflichkeit daran festgemacht wurde, dass mindestens die Hälfte der Arbeitszeit oder die Hälfte des Einkommens auf journalistische Tätigkeit entfällt).

Journalistinnen sind bezüglich ihres Einkommens nach wie vor schlechter gestellt als ihre männlichen Kollegen: 60,8 Prozent der Frauen verdienen bis zu 3.000 Euro (netto, Einf. d. V) im Monat, bei den Männern sind es 41,5 Prozent.

Journalismus in Deutschland 2023

Die Studie weist auch auf ein mögliches Nachwuchsproblem hin. Nur rund 22 Prozent der Journalisten sind jünger als 36 Jahre.

30 Jahre zuvor waren es noch 52 Prozent. Mit der in den kommenden Jahren bevorstehenden Verrentung der sogenannten Boomer-Generation könnte dem Journalismus in Deutschland ein ernst zu nehmender Fachkräfte- und Nachwuchsmangel erwachsen.

Journalismus in Deutschland 2023