Lizenz zum Töten
Überstürzt sollen die amerikanischen Geheimdienste all das im Kampf gegen die Terroristen wieder machen dürfen, was ihnen selbst im Kalten Krieg verboten wurde
Zwar wird auch in den USA Kritik am Vorgehen der US-Regierung laut, Besonnenheit bei einem militärischen Schlag gegen wen auch immer gefordert und darauf gedrungen, dass man nicht nur auf die "Vernichtung" der Terrornetzwerke sehen soll, sondern auch auf die Ursachen des Terrors. Dennoch scheint die von Präsident Bush immer wieder bestätigte Kreuzzugsvorstellung die politisch Handelnden in einen Sog zu ziehen, der Besonnenheit vermissen lässt. Anstatt genauer zu überlegen, warum die Geheimdienste versagt haben, sollen ihre Möglichkeiten möglichst schnell drastisch erweitert werden, eingeschlossen die Erneuerung der "Lizenz zum Töten".
"I want justice," said Bush. "There's an old poster out West that said: 'wanted, dead or alive.'" (George W. Bush am 17.9.)
Das Szenario scheint auch aus einem James Bond Film entsprungen zu sein. Der große Bösewicht lebt versteckt in einem unzugänglichen Land, möglicherweise ausgestattet mit Hightech, vermutlich aber mit viel Geld, und umgeben von zu allem entschlossenen Kämpfern, die überall auf der Welt darauf warten, aufgeweckt zu werden, um den nächsten spektakulären Schlag auszuführen. Gegen solche Bösen, die als Drahtzieher eines geheimen Netzwerks auf den Untergang der Zivilisation zielen, um ihr eigenes Reich zu errichten, helfen nicht Armeen, sondern wiederum kluge und starke Männer, die in den Krieg ziehen und das Böse mit allen verfügbaren Mitteln, möglichst Hightech, bekämpfen. Ungezählte derartige Figuren gibt es in der amerikanischen Hollywood-Imagination, deren einsame Helden (selbstmörderisch, wenn auch in aller Regel überlebend?) mit Pistolen oder Bomben Ordnung in die Wildnis bringen.
Das Drehbuch scheint also vorhanden zu sein und muss nur noch ausgefüllt werden. Schnell sollen jetzt die Möglichkeiten der Geheimdienste und der Strafverfolgungsbehörden ausgebaut werden. Zwar gibt es bislang noch keine Hinweise darauf, dass die Terroristen, abgesehen davon, dass manche Ingenieurwissenschaften studiert, dass sie in Flugsimulatoren trainiert und Flugzeuge benutzt haben, Hightech etwa zur Kommunikation benutzt haben, gleichwohl beabsichtig der Justizministerium, möglichst schnell die Überwachungsmöglichkeiten zu stärken. Ein wenig weiter - und zurück in die Vergangenheit des Kalten Kriegs, der hinter dem beschworenen Szenario des angeblichen "Neuen Kriegs" gegen den Terrorismus und nichtstaatliche Akteure steht - geht Vizepräsident Cheney, der gestern forderte, dass Geheimdienste wieder die Ermordung von Gegnern planen und auch selbst ausführen sowie Agenten anwerben dürfen sollen, die mit Terroristen verbunden sind oder Menschenrechtsverletzungen begangen haben.
"Wenn man nur mit offiziell anerkannten und überprüften guten Burschen arbeiten will, wird man nicht herausfinden, was die Bösen machen. Es ist ein gemeines, ekelhaftes, gefährliches und dreckiges Geschäft da draußen, und wir müssen auf die Schauplatz agieren." (Vizepräsident Cheney in NBC)
Wirklich neu ist der Vorschlag allerdings nicht. Schon kurz nach der Wahl von George W. Bush hatte der republikanische Kongressabgeordnete Bob Barr, einstiger CIA-Mitarbeiter und auch in Europa durch sein Vorgehen gegen das Lauschsystem Echelon bekannt geworden, am 3. Januar einen Gesetzesvorschlag eingebracht, der fast schon vorwegweisend war: den Terrorist Elimination Act of 2001 (USA soll Anschläge auf einzelne Personen durchführen können). Nach den vergeblichen Versuchen, Usama Ibn Ladin nach den Anschlägen auf die US-Botschaften in Afrika mit Tomahawk-Raketen aus der Ferne zu bestrafen, habe sich nach Barr gezeigt, dass die USA durch das aus den 70er Jahren stammende Verbot in ihrem Handlungsspielraum ernsthaft behindert sei.
1975 erließ der amerikanische Präsident Gerald Ford eine "Executive Order" (11905), in der es jedem, der für die amerikanische Regierung arbeitet, verboten wurde, sich an Mordanschlägen zu beteiligen. Grund dafür war, dass die Öffentlichkeit Kenntnis über die Vielzahl von geplanten, allerdings oft missglückten Mordanschlägen durch die CIA erlangt hatte, die diese angeblich eigenmächtig, ohne Wissen der Präsidenten Eisenhower, Kennedy oder Johnson ausgeheckt und durchgeführt haben sollen. Neben dem vielen Anschlägen entkommenen Fidel Castro standen auch Lumumba, Trujillo, der Dominikanische Diktator, oder der südvietnamesische Präsident Ngo Dinh Diem im Visier. Nach Bekanntwerden dieser Pläne empfahl der für Geheimdienste zuständige Senatsausschuss, dass Verschwörungen von Regierungsangestellten mit dem Ziel, ausländische Staatsführer zu töten, verboten werden sollten. Bestätigt wurde das Verbot auch durch weitere "Executive Orders" der Präsidenten Jimmy Carter und Ronald Reagan. Präsident Clinton ging noch weiter und untersagte den Geheimdiensten die Anwerbung von Mitarbeitern oder Informanten, die Verbrechen oder Menschenrechtsverletzungen begangen haben.
Löste der Gesetzesvorschlag im Januar noch keine große Diskussion, da man zu dieser Zeit eher über den Aufbau des Raketenabwehrsystems und der Bedrohung aus dem Weltall sprach, so finden die Vorschläge, den Geheimdiensten auch wieder die schmutzigen Geschäfte zu eröffnen, derzeit großen Anklang. Bob Graham, der Vorsitzende des Senate Intelligence Committee, sagte etwa: "Wir werden die Art von Spionen, die wir benötigen, nicht in Klöstern finden." Auch der Präsidentenvater George Bush, der nicht nur Präsident, sondern auch Chef der CIA gewesen ist, fordert, dass man das "Geheimdienstsystem von einigen Beschränkungen" befreien müsse. Richard Selby, Vizepräsident des Geheimdienstausschusses, forderte gestern: "We have got to be a hell a lot more aggressive." Unterstützt werden die Politiker durch eine Umfrage, die am Wochenende von CBS und der New York Times durchgeführt wurde. 65 Prozent befürworteten die Ermordung von Fremden, die Terrorakte gegen Amerikaner ausgeführt haben.
Man vermisst allerdings hinter dem überstürzten Wunsch, den Geheimdiensten mehr Geld, mehr und anderes Personal und mehr Rechte zu geben, was uns hierzulande auch schon einholt, eine Überlegung, ob die in der Vergangenheit durchgeführten verdeckten Aktionen auch wirklich erfolgreich waren, bei denen im Kampf gegen das Böse - damals dem Kommunismus - durchaus böse Gesellen und Diktatoren gefördert wurden, die für die jetzt so vielfach beschworene Zivilisation nicht gerade musterhaft waren. Bekanntlich sind auch die gegenwärtigen Feinde aus Afghanistan und dem Irak, also aus den beiden Reichen des Bösen, einst von den USA aufgebaut und gefördert worden. Anstatt in diese Politik zurückzufallen, auch wenn sie unter dem Titel eines "Neuen Kriegs" läuft, wäre es über alle Entschlossenheit hinaus, die Täter und Unterstützer der Anschläge zu identifizieren und die Terrornetzwerke "auszulöschen", höchste Zeit, die Grundlagen der amerikanischen Politik, einschließlich der Wirtschaftspolitik, von der überhaupt nicht gesprochen wird, zu überdenken. Später dürfte dazu keine Zeit mehr sein.