Luftverschmutzung in Indien: "Esst Karotten"

Seite 2: "Täglich kommen Patienten mit Kopfschmerzen"

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Mit Blick auf das von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgeschlagene Freihandelsabkommen mit Indien keimt wenig Hoffnung in Sachen Umwelt auf. Gerade Merkel hat es ihrem indischen Kollegen vorgelebt, wie man sich als Klimakanzlerin feiern lässt, obwohl die eigenen Taten eher bescheiden sind.

Für die Menschen in Delhi bleibt es bei der Tatsache, dass ihre Lebenserwartung wegen der Schadstoffbelastung um bis zu 10 Jahre geringer ist als im Landesdurchschnitt. Dazu wachsen Kinder in der Hauptstadt Indiens mit kleineren Lungen heran als ihre Altersgenossen im Westen.

Von Dr. A.K. Arun in Delhi möchte ich wissen, wie sich die Luftverschmutzung bei seinen Patienten bemerkbar macht: "Täglich kommen Patienten mit Kopfschmerzen und tränenden Augen. Eigentlich gesunde Menschen klagen über trockenen Husten und Brustschmerzen." Auf die Frage, warum so wenige Menschen Atemmasken tragen, antwortet Doktor Arun: "Obwohl wir auch heute knapp 300 Mikrogramm Feinstaub haben (PH 2,5) denken sie, alles ist in Ordnung, weil die Sonne wieder zu sehen ist."

Für das fehlende Bewusstsein macht er Regierungsmitglieder wie Harsh Vardhan verantwortlich, der so tut, als bräuchten die Menschen nur täglich ein paar Karotten essen und die Luftverschmutzung könne ihnen nichts mehr anhaben. "Ich rate meinen Patienten zwar, sich öfters die Augen zu waschen und verschreibe ihnen homöopathische Medizin wie Vanadium Metalicum. Aber ich sage ihnen klipp und klar, dass das alles nur kurzfristige Notfallmaßnahmen sind. Nichts hilft gegen Luftverschmutzung, außer sie zu beenden, und dafür müssen auch meine Patienten ihr Leben ändern."

Dass die Regierung die Umweltprobleme aus eigenem Antrieb löst, daran glaubt Arun schon lange nicht mehr: "Aber ich tue mein möglichstes, um meinen Patienten die Ursachen des Problems und seine Lösung bewusst zu machen. Dazu gehört auch, die Regierung mit Protest auf der Straße unter Druck zu setzen."

Dass die Sache mit der Bewusstmachung gar nicht so einfach wird, deutet der mehrfach ausgezeichnete Umweltjournalist Bharat Dogra gegenüber Telepolis an:

Ich habe früher regelmäßig für alle großen indischen Zeitungen geschrieben, doch seit ein paar Jahren werden meine Beiträge fast immer abgelehnt. Selbst unser ehemaliges Flaggschiff des Journalismus The Hindu wird immer regierungstreuer, weil Redakteure und Journalisten Angst um ihren Job haben.

Bharat Dogra

Wie ihm gehe es auch vielen andere Kollegen, die über Umweltzerstörungen schreiben und die Taten der Regierung kritisch sehen. Auch wissenschaftliche Mitarbeiter von Nicht-Regierungs-Organisation seien aus Angst vor Strafmaßnahmen der Regierung zahm geworden. Doch unterkriegen lässt sich Dogra davon nicht:

An die Presse als Antriebsfeder zur Veränderung glaube ich nicht mehr - aber daran, dass sich die Bürger in aller Welt miteinander vernetzten und den Protest auf die Straße trage.

Bharat Dogra

Er selber habe eine Kampagne gegründet, die zum Ziel habe, dass sich die Welt bis 2030 grundlegend ändere: "Abschaffung aller Atomwaffen und ein Stopp der Erderwärmung bei maximal 1,5° Grad Celsius." Als der 63-jährige meinen Gesichtsausdruck sieht, lacht er jugendlich ausgelassen: "Ich weiß, dass dies utopisch klingt. Aber zumindest meine Mitstreiter und ich werden tun, was wir können, damit es gelingt."