Lukaschenko warnt vor Anschluss Weißrusslands an einen "anderen Staat"
Eine Äußerung des Präsidenten vor Bürokraten in Schklow könnte in erster Linie an das Ausland gerichtet gewesen sein
Am 18. Juni twitterte der ehemalige BBC- und Newsweek-Korrespondent Leonid Ragozin eine Unterhaltung mit einem Minsker Taxifahrer, in der dieser meinte, wenn der seit 1994 amtiernde weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko seinen Sohn Kolja Lukaschenko zu seinem Nachfolger mache, dann gebe es "eine Revolution, wie in Armenien" (vgl. Armenien: Langzeit-Staatschef Sargsjan tritt ab). Als Ragozin fragte, was anschließend passieren werde, meinte der Taxifahrer: "Dann halten wir ein Referendum ab und fragen Putin, ob er uns aufnimmt, wie die Krim."
An diese Anekdote erinnerten sich viele Follower des Weißrusslandexperten, als Alexander Lukaschenko drei Tage darauf bei einem Besuch im Landkreis Schklow meinte, die dortigen Behörden müssten sich bei der Plansollerfüllung mehr anstrengen, was er wie folgt begründete:
Wenn wir diese Jahre nicht durchhalten und versagen, dann müssen wir uns entweder irgendeinem Staat anschließen oder man wird uns herumschikanieren. Oder man wird, Gott verhüte, einen Krieg wie in der Ukraine entfesseln.
Hintergrund der Äußerung ist, dass das weißrussische Bruttoinlandsprodukt, das zwischen 1998 und 2014 Wachstumsraten von bis zu 11,5 Prozent erreichte, 2015 um 3,8 und 2016 um weitere 2,6 Prozent sank. Macht Russland seine Ankündigung wahr, einen für Öl- und Gaslieferungen nach Weißrussland bislang nicht erhobenen Steueraufschlag künftig auch für Exporte dorthin zu verlangen, könnte das Zehn-Millionen-Einwohner-Land einer Schätzung des russischen Außenpolitikratsmitglieds Bogdan Bespalko nach sogar "bis zu 20 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts verlieren".
Im Frühjahr verhängte der mit Abstand wichtigste Handelspartner Minsks außerdem ein unter anderem mit der Afrikanischen Schweinepest begründetes Einfuhrverbot für eine Reihe von weißrussischen Lebensmitteln und kündigte an, den Markt für Milchprodukte zukünftig zu 90 Prozent mit Milch aus heimischer Produktion zu versorgen.
An das Ausland gerichtet?
Manche Beobachter mutmaßen deshalb, dass Lukaschenkos Äußerung nicht nur an die Schklower Behördenmitarbeiter, sondern auch an das Ausland gerichtet war. "Das", so der russische Politologe Dmitri Bolkunez, "könnte ein Signal an den Westen sein: 'Falls Ihr mir nicht finanziell und politisch helft, wird man mich und meine Republik euch wegnehmen.'" Weil Lukaschenko nicht sagte, an welchen Staat der Anschluss droht, kommt aber gleichzeitig auch Russland als Adressat in Frage: Immerhin ist Minsk seit 2009 (ebenso wie die Ukraine, Moldawien, Georgien, Armenien und Aserbaidschan) Mitglied der "Östlichen Partnerschaft" der EU und gehörte von 1386 bis 1793 zu Litauen beziehungsweise Polen-Litauen.
Dass Lukaschenko sein Land nicht Russland oder der EU, sondern einem dieser beiden Länder anschließen will, ist allerdings insofern unwahrscheinlich, als es mit ihnen kaum sprachliche und religiöse Gemeinsamkeiten gibt: Die Weißrussen sind ganz überwiegend orthodox und sprechen eine dem Russischen so ähnliche Sprache, dass sie bei einem anderen Verlauf der Geschichte heute vielleicht als bloßer Dialekt gelten würde. Wenn sie nicht ohnehin Russisch als Umgangssprache nutzen, wie drei Viertel der Bevölkerung. Der 1990 begonnene Versuch, dieses Russisch durch Weißrussisch zu verdrängen, scheiterte 1995 mit einer Volksabstimmung, bei der 86,8 Prozent der Bürger für die Wiedereinführung des Russischen als Amtssprache stimmten.
Die "Suwalki-Lücke" und die NATO
Weniger Erfolg hatte bislang der Versuch, zusammen mit Russland eine Russisch-Weißrussische Union zu bilden. Das hinderte die beiden Länder aber nicht daran, militärisch eng zusammenzuarbeiten. Russland zog zwar Anfang der 1990er Jahre die vorher in Weißrussland stationierten sowjetischen Atomraketen ab, schloss aber ab 1995 Abkommen über eine gemeinsame Verteidigungspolitik. Diese Abkommen regeln unter anderem, dass Moskau in Weißrussland Stützpunkte unterhält und im Falle eines Angriffs ein gemeinsames Oberkommando übernimmt.
Die NATO sieht Weißrussland deshalb als Teil einer russischen Bedrohung und warnt davor, dass die etwa 100 Kilometer lange Suwalki-Lücke zwischen Weißrussland und der russischen Exklave Kaliningrad dazu benutzt werden könnte, die baltischen Länder von Polen und der restlichen EU abzuschneiden. Einer Studie der US-amerikanischen RAND Corporation nach bräuchte das russische Militär dazu höchstens zweieinhalb Tage.
Mit solchen Warnungen begründete das Militärbündnis sein Großmanöver Anakonda und die Stationierung von vier Bataillonen in dieser Gegend. Die Russen reagierten darauf im September mit einem eigenen Großmanöver: Sapad 2017.
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