MH17-Prozess: Viele Fragen offen, Verteidigung will mehr Zeugen hören

MH17-Gerichtssaal. Bild: de Rechtspraak

Das JIT habe einseitig am Buk-Szenario festgehalten, die Verteidigung bringt den Abschuss durch ein ukrainisches Kampfflugzeug wieder ins Spiel

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Gestern wurde der MH17-Prozess nach der Verlesung der Anklage mit der Verteidigung fortgesetzt. Von den vier Angeklagten ist keiner nach Den Haag gekommen, nur Oleg Pulatow, ein Reserve-Oberstleutnant der russischen Armee, lässt sich von Anwälten, einer russischen Anwältin und den niederländischen Anwälten Sabine ten Doesschate und Boudewijn van Eijck, vertreten. Die Angeklagten werden beschuldigt, führend in der Kommandokette zum Transport und zur Bereitstellung des Buk-Systems gestanden zu haben.

Warum sich Pulatow, der die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen zurückweist, durch Anwälte vertreten lässt, ist nicht bekannt. Manche vermuten, dass Russland interessiert ist, ein Bein in der Verhandlung zu haben und an Informationen zu kommen. Allerdings wäre ohne auch nur einen Vertreter der Angeklagten der Prozess eine groteske Veranstaltung. Die niederländischen Anwälte hatten sich von Beginn an kritisiert, nicht genügend Zeit zu haben, um die mittlerweile fast auf 40.000 Seiten angewachsene Gerichtsakte zu lesen.

Schon zuvor hatten sie dem Gemeinsamen Ermittlungsteam (JIT) unter der Leitung der niederländischen Staatsanwaltschaft vorgeworfen, der Frage nicht nachgegangen zu sein, warum der Luftraum über dem Kriegsgebiet, wo bereits militärische Flugzeuge von den Separatisten abgeschossen wurden, nicht für den zivilen Luftverkehr gesperrt wurde. Hierzu gäbe es noch viele Fragen, sagten sie auch gestern. Kritisiert wurde auch, dass das JIT niemals selbst Untersuchungen an der Absturzstelle durchgeführt hat. Es seien nur 30 Prozent der Flugzeugteile gesichert worden. Es seien auch keine Bodenproben von der Absturzstelle und vom vermuteten Abschussort gemacht worden. Ungeklärt sei auch weiterhin, wer die Rakete abgeschossen haben soll - und aus welchem Motiv dies geschehen sei.

Kampfflugzeugszenario gegen Buk-Szenario

Van Eijck sagte, das JIT habe immer einseitig am Buk-Szenario festgehalten. Es seien keine anderen Zeugen befragt worden, die anderes gesehen haben, es seien auch keine Angehörigen der ukrainischen Luftwaffe gefragt worden, die möglicherweise von einer Luft-Luft-Rakete sprechen könnten, die MH17 getroffen hat, also vom "Kampfflugzeugszenario". Möglicherweise habe sich ein Kampfflugzeug hinter MH17 "versteckt". Die Verteidigung will viel mehr Zeugen hören, auch mit der Begründung, dass damit verhindert werden könne, dass der Fall vom Obersten Gerichtshof überprüft werden müsse.

Der Großteil der Informationen von Zeugen oder abgehörten Gesprächen, auf die sich die Anklage stützt, komme vom ukrainischen Geheimdienst SBU. Die Verteidigung stellt die Zuverlässigkeit der Informationen in Frage, da die Ukraine Partei ist. Geheimdienste würden nicht primär auf objektive Aufklärung ausgerichtet sein, sondern auf Verfolgung nationaler Interessen.

So sollen Fluglotsen, die zur Abschusszeit in der Ukraine gearbeitet haben, als Zeugen vernommen werden, aber auch Menschen, die behauptet haben, ein zweites Flugzeug gesehen zu haben, sowie Journalisten, die mit Menschen vor Ort gesprochen haben - beispielsweise das Video von Bonanza Media. Dort wird auch ein von der BBC schnell wieder zensiertes Material thematisiert. Manche Aussagen seien bekannt, so die Verteidigung, wurden aber von der Staatsanwaltschaft ausgeschlossen, wie auch aus Leaks hervorgegangen ist. Es wird darum gehen, ob es wirklich keine ukrainischen Radardaten gibt, und was mit den Satellitenaufnahmen ist, die angeblich die USA besitzen, aber nicht herausrücken wollen.

Kampfpilot und "Volksheld" Voloshyn

Überdies will die Verteidigung ukrainische Polizisten und Soldaten befragen, was sie über den Tod des Kampfpiloten Vladyslav Voloshyn wissen. Der "Volksheld" Voloshyn hatte im März 2018 angeblich Selbstmord begangen, ganz klar ist das aber nicht. Interfax.ua hatte damals berichtet, dass russische Behörden Voloshyn beschuldigt hatten, die Passagiermaschine MH17 von einer SU-25 aus am 17. Juli 2014 abgeschossen zu haben. Von russischer Seite waren 2014 Radardaten vorgelegt worden, nach denen ein Kampfflugzeug in der Nähe von MH17 gewesen sei.

Später wurde nicht weiter auf diese Behauptung gesetzt, als die zuerst angeblich verschwundenen Primärdaten dann doch wieder aufgetaucht sein sollen. Sie wurden dem JIT übergeben. Dabei ging es dann darum, dass auf diesen die Buk-Rakete nicht auftauchte. Das JIT war dann vor allem darum bemüht, eine Erklärung dafür zu finden, warum die Buk-Rakete vom russischen Radar nicht erfasst wurde, aber dennoch die MH17 abschoss (Nach einem Selbstmord: Abschuss der MH-17 durch ein ukrainisches Kampfflugzeug?).

Wenn es die Buk-Rakete nach dem JIT dennoch gegeben haben soll, so die Verteidigung, dann könne bei Radarbildern, auf denen keine Kampfflugzeuge zu sehen sind, auch gefragt werden, ob wirklich keine da waren oder ob sie aus irgendwelchen Gründen nicht erkannt wurden.

Die Nato spielte bei der Verteidigung auch eine Rolle. AWACS-Flugzeuge könnten am Tag des Abschusses etwas aufgezeichnet haben, möglicherweise gebe es auch Satellitendaten. Es müsse eruiert werden, ob solche Informationen der Nato vorliegen.

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