MH17 und der kurze Frühling der Friedensbewegung
Seite 2: "Um 'links' zu sein reicht es heute, dass man gegen AfD-Wähler ist"
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Was bedeutet für Sie eigentlich "links"?
Katrin McClean: Heute hat man langsam das Gefühl, um links zu sein, reicht es gegen rechts zu sein, also z.B. gegen die AfD-Wähler. Für mich bedeutet Linkssein Jemand zu sein, der sich politisch auseinandergesetzt hat, der darüber nachgedacht hat, wie unser System funktioniert und welche historischen Kräfte gerade wieder am Wirken sind. Das ist für mich links. Wir leben in Deutschland in einem politischen Irrenhaus, was solche Kategorien angeht. Man nennt eine SPD, die bisher jeden Kriegseinsatz mitbeschlossen hat, links und Friedensdemonstranten sind rechts.
Wie stehen Sie zu den Flüchtlingen, die nach Europa kommen?
Katrin McClean: Auf den "Mahnwachen für den Frieden" habe ich zum Ausdruck gebracht, dass die Flüchtlinge Opfer von Kriegen sind, die von der Nato geführt werden, und dass die Flüchtlinge die letzten sind, die von uns irgendeinen Zorn verdient haben. Für die Mahnwachen-Aktivisten, die ich kannte, war das aber ohnehin eine Selbstverständlichkeit.
Die Grundproblematik ist doch, dass Politiker, die zutiefst imperialistische Politik machen, ja dieselben sind, die sich hinstellen und für die Verteidigung von Menschenrechten eintreten. Obwohl sie diese bei völkerrechtswidrigen Kriegseinsätzen in Syrien, in Afghanistan und im Irak jeden Tag mit Füßen treten. Man glaubt ja immer, dass Angela Merkel so eine große Humanistin ist, weil sie so viele syrische Flüchtlinge nach Deutschland lässt. Ich bin auch über jeden froh, der es geschafft hat, aus einem Kriegsgebiet rauszukommen. Ich habe auch mit Flüchtlingen zusammengearbeitet. Gleichzeitig ist aber Frau Merkel jemand, der sich vehement für die Aufrechterhaltung der sehr harten Syrien-Sanktionen einsetzt, weshalb es den Menschen in Syrien immer schlechter geht. Das ist so ein Paradebeispiel für die Doppelgesichtigkeit unserer Politik.
Gehen wir nochmal zurück in das Jahr 2014. In Kiew wurde der gewählte Präsident Viktor Janukowitsch gestürzt. Die Demonstranten auf dem Maidan wollten damals die Herrschaft der Oligarchen brechen. Doch die Oligarchen regieren nach wie vor die Ukraine. War der Maidan in Kiew von Anfang an zum Misserfolg verurteilt?
Katrin McClean: Ich bin immer sehr skeptisch, wenn westliche Medien eine Revolution feiern, weil ich denke, es ist immer derselbe Mechanismus. Die Bevölkerung hat handfeste Gründe, warum sie auf die Straße geht. Vom Westen werden diese Bewegungen dann sehr stark medial und politisch verstärkt. Und wie sich im Nachhinein herausgestellt hat, wurde der Maidan auch finanziell von außen unterstützt.
All das hat es ja 1989 in der DDR auch gegeben. Also diese Unterstützung, die nicht nur politisch, sondern auch ganz praktisch und materiell war. Am Ende kommt dafür die Rechnung. Und die Rechnung schreiben die Leute, welche die Revolution unterstützt haben. Und das hat dann ziemlich wenig mit dem zu tun, wofür man eigentlich mal auf die Straße gegangen ist.
"Türöffner für den Ausverkauf der DDR"
Wofür haben sie sich 1988 in der DDR konkret eingesetzt?
Katrin McClean: Ende der 1980er Jahre hatte man in der DDR eigentlich schon das Gefühl, dass sich einiges verändert.
Dass es demokratischer, transparenter und freier wird?
Katrin McClean: Genau. Die Beschränkungen bei der Reisefreiheit wurden gelockert. Ich habe 1984 angefangen, in Leipzig Psychologie zu studieren. An den Universitäten gab es ein sehr offenes Klima. Man konnte sich über alles Mögliche auseinandersetzen. Es wurden teilweise - gegen den Widerstand von Ministerien -neue Studienfächer eingeführt. Man hatte nicht das Gefühl, in der DDR geht gar nichts. Im Gegenteil. Es wurde immer besser.
Aber man hatte das Gefühl im ZK der SED sitzen halbmumifizierte Politiker und die müssen weg und wir brauchen ein offeneres Parteiensystem. Die SED ganz alleine, das geht irgendwie nicht. Deshalb wurde ja das "Neue Forum" gegründet. Wichtig war für mich und andere Akteure auch, dass wir die Geschichte mit dem Sozialismus schon ernst genommen haben. Sozialismus und Volkseigentum ist gut, aber es muss möglich sein, dass es mindestens kleinere Privatbetriebe geben kann. Also generell, dass ein bisschen mehr Bewegung in die Wirtschaft kommt.
Wofür haben Sie sich damals konkret eingesetzt?
Katrin McClean: Ich habe 1988/89 in einem Kinderheim für Schwererziehbare gearbeitet. Das war meine erste Arbeitsstelle als Psychologin. In diesem Kinderheim hatte es noch nie vorher eine Psychologin gegeben. Dort gab es noch ein recht militantes Erziehungsmuster. Ich sollte da etwas auf einer anderen Schiene entwickeln. Außerdem war ich in einer Arbeitsgruppe, die mit den Gründern des "Neuen Forum" kooperierte. Da haben wir Konzepte für ein neues Bildungssystem entwickelt. Wir sind jeden Montag auf die Straße gegangen und am Freitag haben wir dann über Konzepte diskutiert, wie das dann laufen soll, wenn das "Neue Forum" gewählt wird. Das war der naive Traum, den wir hatten.
Was passierte, als die Mauer auf war?
Katrin McClean: Da kamen "Grüne" aus Westdeutschland und übernahmen das Zepter. Ähnlich war es damals mit den Runden Tischen. In Leipzig hatten wir unter anderem einen Runden Tisch, wo es darum ging, wie das Land Sachsen sich in der Bildungspolitik weiterentwickeln soll. Wir hatten das Konzept Nachbarschaftsschule entwickelt, übrigens mit ganz vielen Ideen, die heute wieder hochkommen. Es ging uns um lebensnahes Lernen. Wir wollten auch die Umgebung der Schule mit einbeziehen. Die Schüler sollten zum Beispiel auch beim Tischler in der Nachbarschaft lernen können. Der Minister Tiefensee sagte zu unserem Konzept, das sei ja ganz interessant. Aber zwei Tage später erfuhren wir aus der Zeitung, dass Sachsen sich entschlossen hat, das Bildungssystem von Bayern zu übernehmen. Man merkte schnell, dass das mit dieser Demokratie nicht wirklich ernst gemeint war.
Gibt es eine Parallele zwischen dem Ende der DDR und dem Maidan in Kiew?
Katrin McClean: Ich denke schon. Ich habe mich benutzt gefühlt, als Türöffner für einen Ausverkauf der DDR. Schon im Winter 1990 - unmittelbar nach der Auflösung der DDR - gab es den Beschluss, dass alle Stellen für Professoren und Dozenten an den Hochschulen der DDR neu besetzt werden. Dagegen hat sich an der Universität Leipzig und auch in Berlin Protest entwickelt. Wir fanden es ungerecht den jungen Dozenten gegenüber. Es gab unter den Professoren und Dozenten ja nicht nur SED-hörige Idioten, sondern sehr gute Wissenschaftler, tolle Leute.
Ich habe damals einen Hungerstreik mitgemacht. Im Grunde war dieser Beschluss eine intellektuelle Enthauptung. Wir haben nicht viel erreicht. Über einen zähen, langen Weg wurde der Austausch der Professoren und Dozenten dann doch noch durchgeführt.
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Das Interview führte Ulrich Heyden in Moskau, am 10. Juni 2019
Die Schriftstellerin Katrin McClean wurde 1963 in Gotha geboren. Sie studierte Psychologie in Leipzig. 1997 erschien ihr erstes Buch, "Der Hunger der Kellnerin". Das erfolgreichste ihrer insgesamt sieben Bücher war "Tangogeschichten" (2002). Seit zehn Jahren gibt sie Kurse für kreatives Schreiben und schreibt Abenteuerhörspiele für Kinder.