"Macbeth" und die gefälschten Niger-Dokumente

Der Skandal des Weißen Hauses wird immer schwerwiegender

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Eine moderne Oper wurde von der Oper Frankfurt letzte Woche auf dem Lincoln Center Festival in New York City aufgeführt. Der Regisseur der Oper "Macbeth: drei namenlose Akte (nach Shakespeare)" ist Achim Freyer1. Über die Bilder, die die blutigen Taten von Macbeth und Lady Macbeth darstellen, wurde ein Text mit der Charakterisierung von Macbeth gelegt: "Dein Gesicht soll Unschuld mimen, das Auge soll blind gegenüber dem sein, was die Hand macht."

Diese Worte sind eine künstlerische Art, den gegenwärtigen Skandal im Weißen Haus zu beschreiben. Der Präsident und seine Berater geben weiterhin ihre Unschuld vor. Sie wussten nichts. Ihre Hände begingen die Taten, aber ihre Augen, so behaupten sie, waren blind.

US-Präsident Bush bei seiner Rede an die Nation am 28. 1. 2003 mit den 16 Worten

In den letzten Wochen konnte die Welt jedoch immer deutlicher sehen, was die Hände der US-Administration gemacht haben. Am Dienstag, dem 16. Juli, veröffentlichte La Repubblica Kopien der gefälschten Dokumente, die die US-Regierung der Atomaufsichtsbehörde IAEA als Beweis für das angebliche Nuklearwaffenprogramm gegeben hatte. Die italienische Zeitung wies auf die plumpen Täuschungen hin. Zu den Diskrepanzen bei den gefälschten Dokumenten gehörte etwa, dass ein Brief an den Präsidenten von Niger gerichtet war, aber dass auch eine Unterschrift von ihm als Autor des Briefs vorhanden war. Ein anderes Dokument mit dem Briefkopf eines Niger-Ministeriums war von einer Person unterzeichnet, die zuletzt vor mehr als 10 Jahren dort beschäftigt war.

Das Weiße Haus behauptet, dass man diese Dokumente erst im Oktober 2002 erhalten und dann vier Monate später, im Februar 2003, an die IAEA weiter gegeben habe. Die IAEA brauchte nur wenige Tage, um zu erkennen, dass es sich bei diesen Dokumenten um Fälschungen handelte. In ihrem Bericht an den UN-Sicherheitsrat am 7. März wies die IAEA darauf hin. Das war noch Wochen bevor die US-Regierung gegen den Irak in den Krieg zog (Die Demokratie ist in Gefahr).

In der Zeit vor der amerikanischen Invasion bestärkte der Großteil der amerikanischen Medien die Kriegsentschlossenheit der US-Regierung. Vor kurzem haben jedoch die amerikanischen Medien damit begonnen, den Gebrauch von Fälschungen und andere Falschdarstellungen als Kriegsbegründungen von Bush in Frage zu stellen. Nur wenige Medien weisen jedoch auf die schwerwiegende Bedeutung des Vergehens hin. Genau wie der Macbeth der Oper Frankfurt auf der Bühne mit einem von Blut triefenden Messer auftritt, das ein Symbol für seine schrecklichen Taten ist, wird der Krieg gegen das irakische Volk der Bush-Regierung durch die vielen Messer symbolisiert, die von dem Blut der irakischen Zivilisten und der amerikanischen, irakischen, britischen und anderen Soldaten triefen, die im Krieg verletzt oder getötet wurden. Gerade erst hat sich David Kelly, der britische Wissenschaftler und Regierungsberater, als Folge des Missbrauchs seitens der britischen Regierung umgebracht, um ihren Zusammenarbeit mit der US-Regierung im Krieg gegen den Irak zu rechtfertigen.

Daher muss man sorgfältig ganz genau anschauen, wie der Krieg gegen den Irak ermöglicht wurde. Welche Mittel wurden eingesetzt, um die Augen derjenigen zu blenden, die diese Vergehen ausgeführt haben?

Viele offene Fragen

Der Kongressabgeordnete Henry Waxman hat seit März 2003 Fragen über die Niger-Dokumente gestellt. Aus dieser Perspektive gibt es eine Reihe von Reden, in denen der US-Präsident fälschlich behauptet hat, dass der Irak Uranoxid aus Niger erwerben wollte. Diese Behauptungen kamen in Regierungsreden trotz der Einwände von Mitarbeitern der CIA und des Geheimdienstes des Außenministeriums vor. Robert Joseph2 vom National Security Council wurde als Verbindungsglied zwischen dem Weißen Haus und der CIA in einem solchen Fall genannt. Es gibt Berichte, dass er sich dafür ausgesprochen haben soll, die Behauptung, der Irak wolle Uran aus Afrika kaufen, in die Rede des Präsidenten aufzunehmen.

Versuchte die Bush-Administration als Begründung für den Krieg gegen den Irak den Vorwand zu schaffen, dass es ein irakisches Atomwaffenprogramm gibt? Seymour Hershs Artikel im New Yorker vom 31. März 2003 (Who Lied To Whom?) und 12. Mai 2003 (War and Intelligence) beschreiben die Auseinandersetzungen zwischen den offiziellen Geheimdienstbehörden der USA und der Einrichtung des Office of Special Plans (OSP) des Pentagon. Die Aufgabe dieser Sonderbehörde war offenbar, für das Weiße Haus eine Pro-Kriegs-Analyse zu erstellen, unabhängig von den Informationen und der Analyse der offiziellen Geheimdienste.

Ähnliche Behörden sollen auch von der britischen und der israelischen Regierung eingerichtet worden sein. Das OSP arbeitete in den USA ohne die Kontrolle und Verfahren, denen die offiziellen Dienste unterworfen sind. Es war eine Behörde außerhalb der Kontrolle des Kongresses.

Wie könnten die gefälschten Niger-Dokumente in der US-Regierung monatelang zirkulieren, ohne entlarvt zu werden? Warum wurden sie nicht als Fälschungen erkannt und warum wurde die Quelle dieser Fälschungen nicht gesucht, anstatt sie als Beweis der IAEA im Februar 2003 zu präsentieren?

Anfang März entlarvte die IAEA die Dokumente als Fälschungen. Nachdem sie von den gefälschten Dokumenten und davon Kenntnis erlangt hatten, wie die Behauptungen über das irakische Atomwaffenprogramm für den Krieg gegen den Irak verwendet wurden, hatten einige Kongressmitglieder einen Untersuchungsausschuss der Regierung gefordert, um nachzuprüfen, woher diese Dokumente stammten und wie sie als legitimierte Dokumente der IAEA übergeben werden konnten ( Why A Special Prosecutor's Investigation Is Needed To Sort Out the Niger Uranium And Related WMDs Mess). Das FBI hat die Forderung nach einer Untersuchung nicht beachtet, statt dessen erklärte US-Präsident Bush den Krieg.

Eine Untersuchung über die Herkunft dieser Dokumente und ihre Verwendung durch die US-Regierung wird noch immer gefordert. Der Kongressabgeordnete Waxman hat einen Brief an Permanent Select Committee on Intelligence des Repräsentantenhauses geschickt und vier Themen ausgeführt, die untersucht werden müssten:

  1. Wann haben die USA die gefälschten Beweise genau erhalten und wie wurden sie evaluiert ...?
  2. Wer war für die wiederholten Versuche von Regierungsangehörigen verantwortlich, die falschen Beweise zu verwenden?
  3. Hat das Weiße Haus zu verbergen versucht, was es über die Beweise wusste?
  4. Warum hat der Präsident die dafür verantwortlichen Mitarbeiter des Weißen Hauses nicht entlassen oder anderweitig zur Rechenschaft gezogen?

Die 16 Worte sind keine Lappalie

Zusammen mit anderen Kongressmitgliedern hat Waxman auch angeregt, ein Gesetz in den Kongress einzubringen, um eine unabhängige Kommission für die Untersuchung der Informationen über den Irak und über die Darstellungen, die von Mitarbeiter der Exekutive gemacht wurden, einzurichten. Zur Debatte stehen die Verantwortlichkeiten der Geheimdienste und der Präsidentschaft selbst (vgl. Is Lying About The Reason For War An Impeachable Offense? und Apparatus of Lies?)). Diese Institutionen werden in ihrer Autorität und Funktion von der Verfassung und Gesetzen begrenzt. Wenn diese Institutionen in die Hände von Menschen mit einem privaten, den eigenen Interessen dienenden Programm geraten, dann werden sie vermutlich versuchen, die Einschränkungen ihrer Macht zu umgehen. Wenn dies nicht bekämpft und verhindert wird, kann das für die USA und die ganze Welt zu einem großen Schaden führen.

Es gibt Manche, die meinen, dass die 16 Worte in der Rede an die Nation von Bush nur eine Lappalie seien, die keiner Aufmerksamkeit bedarf. Die Aufdeckungen der letzten drei Wochen, in denen sich die Medien auf diese Worte konzentrierten, zeigen, dass sie das Kernstück der Bemühungen der Regierung darstellten, die Verletzung der Souveränität des Irak zu rechtfertigen.

Wir hören weiterhin Condoleeza Rice, der Sicherheitsberaterin des Weißen Hauses, und von George W. Bush selbst sagen, sie hätten nicht gewusst, dass sie gefälschte Dokumente als Beweis für die Behauptung verwendet haben, dass der Irak Uranoxid von Niger hatte kaufen wollen. Wie Lady MacBeth in der Produktion der Oper Frankfurt scheint Rice irrtümlich zu glauben: "Welch Schande. My Lord, niemand darf es wagen, einen König zur Rechenschaft zu ziehen."