Apparatus of Lies?
Mit den noch immer fehlenden Beweisen für die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak gerät die US-Regierung ins Schlingern und mitsamt ihrer perfektionierten, aber nicht perfekten strategischen Kommunikation in eine Vertrauenskrise
Es ist schon erstaunlich, wie viel Zeit die Öffentlichkeit und viele Medien benötigten, um das von der zum Krieg gegen den Irak entschlossenen US-Regierung fabrizierte Gespinst an Halbwahrheiten und Vermutungen, die zu Tatsachenbehauptungen aufgebläht wurden, in Frage zu stellen. Den Schicksalswink des 11.9. rücksichtslos ausbeutend, war es bereits kurz nach den Anschlägen klar, dass der Krieg gegen den internationalen Terrorismus über den vor allem der Legitimation dienenden Einstieg in Afghanistan zunächst in den Irak und womöglich darüber hinaus gehen würde. Doch viele Politiker und Medien gefielen sich darin, den Behauptungen und der Politik der US-Regierung und der von ihr gezielt gestreuten Panik zu folgen und beispielsweise endlos zu wiederholen, dass der Irak es in der Hand habe, einen Krieg abzuwehren.
Der 11.9. hatte die Welt in ein Koma versetzt. Man muss, aus der Perspektive der Macht gesehen, die amerikanische Regierung mit ihren Beratern und vor allem ihren Medienexperten bewundern, wie schnell und gezielt der Terroranschlag ausgenutzt wurde, um den national und international im Ansehen schwächelnden Bush mit der ihm zur Verfügung stehenden Militärmacht zu dem Mann zu machen, der den Takt der Welt bestimmen und so die von den Neokonservativen geplante (Aufrüstungs)Politik durchsetzen kann. Dass angesichts dieser Explosion an Macht Verschwörungstheorien gedeihten, ist nicht verwunderlich. Im Nun waren nicht nur die Schuldigen gefunden, sondern wurde die "Reaktion" auf dem Hintergrund der mehreren Tausend Anschlagsopfer eingespannt in einen angeblichen Kreuzzug der Guten oder der zivilisierten Welt gegen das Böse und in einen amerikanischen Sendungsauftrag, angeführt von Bush als einer Art Messias. Zudem geschah dies alles auch noch zu Beginn des neuen Jahrtausends.
Die US-Regierung war nie wirklich an der Aufklärung des Terroranschlag interessiert, sondern lediglich an dessen Ausbeutung durch medial geschickt inszenierte spektakuläre Aktionen (das freilich ist wohl stets, was man Realpolitik nennt). Der lange vorbereitete, live präsentierte Shock-and-Awe-Medienkrieg gegen den Irak war nur die Kulmination der Betäubungskampagne, während man ohne Bedenken in der ob der Machtfülle und Aktionsbereitschaft erstarrten politischen Landschaft die Angriffe auf Verfassungsrechte oder den vielen Verletzungen oder Missachtungen von Menschenrechten und des internationalen Rechts ausführen konnte. Der auch von Ashcroft innenpolitisch praktizierte nonchalante Umgang mit Gesetzen und Rechten hat möglicherweise tatsächlich etwas mit dem religiösen Fundamentalismus der Regierung zu tun.
Es hat anderthalb Jahre gedauert, bis die bislang marginale Kritik an der US-Regierung, die angesichts der erfundenen, zumindest höchst konstruierten Beweise für die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak oder die Verbindung mit al-Qaida, nun endlich selbst zur amerikanische Öffentlichkeit gelangt, die besonders von den aus Quotengier patriotisch-bushistischen Fernsehsendern betäubt wurden. Erstaunlich aber auch, dass in Großbritannien der Regierungskurs von Blair trotz einer höheren Medienaufklärung und stärkerer Opposition so lange tragen könnte. Obwohl vermutlich die meisten Politiker und Regierungen der Welt wie auch alle anderen einigermaßen zur Reflexion fähige und willige Menschen mit großer Sicherheit davon ausgehen konnten, dass hinter dem Tamtam der Kriegsrhetorik von Bush und Co. mehr Propaganda als Wahrheit steckt, haben viele das trügerische Gespinst entweder aus eigenen Interessen mitgetragen oder zumindest nicht den Mut gefunden, Tacheles zu sprechen. Wer sich den USA widersetzte, muss(te) denn auch mit Abstrafung rechnen.
Die Zurückhaltung mag auch teilweise - unterstellt man guten Willen - diplomatische Vorsicht gewesen sein, möglicherweise die US-Regierung doch noch bei fehlenden Beweisen durch die UN-Inspektoren zum Einlenken bringen zu können. Aber auch das hätten Gutgläubige besser wissen können, denn die Bush-Regierung hatte dem schon längst vorgebaut und klar gemacht, dass die USA mit oder ohne UN-Zustimmung den Irak "entwaffnen" werde (auch wenn schon vor dem Krieg angesichts der kläglichen Indizienlage schon einmal auf Operation Iraqi Freedom umgeschaltet wurde).
Ab einem bestimmten Zeitpunkt ist der Bogen überspannt
Zunächst schien man in der US-Regierung davon auszugehen, dass, unabhängig vom Kriegsgrund der "Entwaffnung", der Sieg über die Diktatur und die erwartete begeisterte Einführung der Demokratie, die Legitimation rückwirkend unwichtig werde. Schließlich hat man die Welt ja wieder ein Stück mehr befreit (und angeblich sicherer gemacht), auch wenn damit Völkerrecht gebrochen und die Weltgemeinschaft übers Ohr gehauen wurden. Das wäre für die mächtigen Männer (und die einzige Frau) der Welt um den allermächtigsten Regenten der Supermacht und obersten Befehlshaber wahrscheinlich nicht weiter schlimm und auszusitzen gewesen. Doch übertölpelt und angeschwindelt wurden im Brustton der höchsten Überzeugung - und stets mit dem Verweis auf den Irak als ein Regime, das als Apparatus of Lies auf perfekten Lug und Trug aufgebaut ist (Von Wahrheit und Lüge) - auch der US-Kongress und die eigene Bevölkerung. Die Rede von der Entwaffnung war, wie Wolfowitz unlängst einräumte, ökonomisch einfach am besten zur Kriegslegitimation geeignet, was heißt: Mit der Instrumentalisierung von Angst, die sowieso zur Irrationalität und Panik neigt, kann man vieles leichter durchsetzen (Endlich gefunden: Die Wahrheitsvernichtungswaffen im hochmobilen Lügenlabor). Das könnte man auch "strategische Kommunikation" nenne, wie das Pentagon sein angeblich wieder eingestelltes Projekt einer Propagandabehörde nennen wollte.
Doch der dem Bösen unterstellte Vorwurf des Betrugs und der Täuschung könnte nun mit dem völligen Fehlen von Massenvernichtungswaffen und entsprechenden Produktionsstätten doch zurückschlagen. Warum sollte man einer Regierung, selbst wenn sie möglicherweise "Gutes" bewirkt, was mit den Post-Kriegserfahrungen mit Afghanistan und Irak auch nicht mehr so sicher ist, Vertrauen schenken, wenn sie dies mit perfiden Lügen und gezielten Übertreibungen zu bewerkstelligen sucht. Irgendwann glaubt man nichts mehr, da kann dann auch die anfängliche Wirkung durch die sture Wiederholung der Behauptungen nichts mehr fruchten. Und es gibt ja nicht nur die Terroristen und die bösen Schurkenstaaten, sondern auch in der Innen- und Wirtschaftspolitik Probleme zuhauf. Zudem scheint nicht einmal mehr das Geld so schnell wie erwartet aus den irakischen Quellen zu fließen und die möglicherweise jahrelange Besetzung teuer in einem Haushalt zu Buche schlagen, der noch schlimmer als in Deutschland in Schulden versinkt.
Mittlerweile - in Wirklichkeit aber schon vor dem Krieg (Lesen Sie den CIA-Bericht noch einmal!) - scheinen auch die amerikanischen (und britischen) Geheimdienste nicht mehr nur willfähriges Instrument ihrer Regierungen sein zu wollen. möglicherweise um nicht im Strudel mitgerissen zu werden und in der Zeit nach Bush an Macht zu verlieren. Sie scheinen zumindest nicht den Prügelknaben abgeben zu wollen, den sie für Bush und Blair spielen sollen. Alastair Campbell, Blairs Propagandachef oder eben strategischer Kommunikationsexperte, scheint nun schnell noch die Wogen glätten zu wollen, indem er sich in einem Brief an den Geheimdienst MI6 entschuldigte, dass dem schlampig aus dem Internet zusammengeschusterten Bericht über die irakischen Massenvernichtungswaffen Geheimdienstinformationen zugrunde gelegen haben sollen (Geheime Cut-and-Paste-Informationen). Inzwischen drohen Geheimdienstmitarbeiter mit weiteren Einzelheiten.
Nun hat auch der Pentagon-Geheimdienst Defence Intelligence Agency DIA die Zusammenfassung eines Berichts aus dem September 2002 einer Zeitung zugespielt, in dem keine Rede von Beweisen ist, dass der Irak über Massenvernichtungswaffen verfügt (ganz ähnlich war übrigens ein CIA-Bericht), dessen Möglichkeitsaussagen auf dem Weg zu Bush, Rumsfeld oder Powell in Tatsachenbehauptungen "übersetzt" wurden).
Obgleich das alles längst bekannt hätte sein müssen, Rumsfeld und Co. sich in rhetorischen Höhenflügen schon vor dem Krieg mit dem Problem auseinander gesetzt hatten (Rumsfeld und der Gottesbeweis), was wäre, wenn die Waffen nicht gefunden werden, und nach dem Krieg kaum mehr jemand vor dem Schwindel der Bush-Regierung mehr die Augen verschließen kann, spitzt sich die Ent-Täuschung nun mit jeder neuen Erkenntnis zu. Auch die zuletzt verzweifelt angebotenen "mobilen Biowaffenlabors" können die Hoffnungen wohl, wie zu erwarten, nicht einlösen. Vor kurzem hatte sich auch Bush, vermutlich auf Geheiß seiner Berater, auf sie noch als Beweise kapriziert.
Der Ausweg aus dem Lügengespinst vor den nächsten Wahlen
Nun glaubt eigentlich nur noch die Regierung an sich selbst, was schon einigen komödiantischen Wert haben könnte, wenn es nicht um die Supermacht ginge und ein trotz allem Trug komplexes Thema, schließlich sind trotz etwaiger Verletzungen des Völkerrechts der Sturz von Tyrannen und eine Befreiung des Volkes an sich eine begrüßenswerte Tat, selbst wenn dahinter geopolitische und wirtschaftliche Interessen stehen. Doch die Windungen, die Regierungssprecher Ari Fleischer vollführen muss, der womöglich dankbar ist, den Job bald an den Nagel hängen zu können, sprechen Bände für die Verlegenheit, die Kritik nicht einfach beiseite schieben zu können (die Atomwaffen und al-Qaida fallen dabei schon einmal unter den Tisch):
Wir haben weiterhin Vertrauen in unsere Behauptungen über den Besitz Iraks von chemischen und biologischen Waffen ... Die präzise Lokalisierung, wo der Irak die chemischen und biologischen Waffen hat, waren niemals klar, aber die Tatsache, dass man sie hat, stand aufgrund einer Lektüre der Geheimdienstinformationen nie in Zweifel.
Was kann die US-Regierung ein Jahr vor der Wahl tun, zu der das Gespann Bush-Cheney wieder antritt, um der Erosion der Glaubwürdigkeit Einhalt zu gebieten? Natürlich, würde die Wirtschaft demnächst wieder brummen, wäre wie überall auf der Welt vieles vergessen. Doch wenn dieser glückliche Fall nicht eintritt und auch kein neues "Pearl Harbor" geschieht, was dieses Mal aber im Unterschied zum 11.9. gegen die Sicherheit versprechende Regierung ausschlagen könnte, könnte im Sinne der "Wag-the-dog"-Strategie womöglich ein neuer Krieg ein Ausweg sein.
Selbst bei CNN hat man begonnen, darüber nachzudenken, um das gleich wieder zu verwerfen. Der Kongress würde jetzt einem neuen Krieg wohl nicht zustimmen, hofft zumindest der Autor John Dean, ein früherer Präsidentenberater, bis die offenen Fragen des Irak-Kriegs beantwortet sind. Doch das mag trügen, schließlich haben die republikanischen Abgeordneten mit Bush, dem 11.9. und den Kriegen die Mehrheit errungen - und Wahrheit macht nicht unbedingt politische Sieger aus. Dean jedoch meint, dass die Äußerungen von Präsidenten, vor allem wenn es um die nationale Sicherheit gehe, mit einer "Erwartung an den höchsten Maßstab von Wahrheit" einhergehen. Das mag eine Erwartung der Menschen sein, die in den Krieg geführt werden, doch die Geschichte ist voll von Hinweisen, dass gerade dann die Tatsachen gerne gestreckt und verdreht werden:
Ein Präsident kann nicht Tatsachen dehnen, verdrehen oder vortäuschen und damit davon kommen. Präsident Lyndon Johnsons Vortäuschung der Wahrheit über Vietnam nötigte ihn, sich nicht zur Wiederwahl zu stellen. Präsident Richard Nixons falsche Behauptungen über Watergate erzwangen seinen Rücktritt.
Viele Beispiele also führt Dean nicht ins Feld. Gleichwohl können Konstellationen zustande kommen, in denen die verdrehten Wahrheiten der Regierenden nicht mehr ankommen, weil die Wähler ihre Folgen nicht mehr mittragen wollen. Aber Dean ist möglicherweise selbst ein Beispiel dafür, wie man sich jetzt allmählich von der Bush-Regierung absetzt, um nicht mit ihr schließlich in den Orkus gezogen zuwerden. Er hoffe zwar, sagt er scheinheilig, dass doch noch Massenvernichtungswaffen gefunden werden und so die Wahrhaftigkeit der Regierung gesichert würde, zählt dann aber schon mal viele der Tatsachenbehauptungen auf - beispielsweise: "Das irakische Regime besitzt und produziert chemische und biologische Waffen. Es will nukleare Waffen in seinen Besitz bringen." -, die gegen Bush verwendet werden können, falls die Beweise nicht herbeigebracht werden können. Das Fehlen jeder Erklärung für die Kluft zwischen den Behauptungen und der Wirklichkeit würden das Misstrauen stärken, dass die falschen Aussagen des Präsidenten beabsichtige Lügen gewesen seien.
Dean führt aber auch ein Argument ein, dass für die künftige Sicherheitsstrategie der Bush-Regierung wichtig ist, die auf Prävention setzt. Die Einschätzung von möglichen Gefahren, denen man präventiv begegnen müsse, ist abhängig von genauen Informationen der Geheimdienste sowie von deren Verlässlichkeit (Notfalls auch mit militärischer Gewalt nach dem Exempel Irak). Das Vertrauen in diese wird gerade jetzt wieder durch die Rückzugsgefechte von Bush und Blair unterminiert, was dann aber auch die Folge haben könnte, dass die amerikanischen Bürger, aber auch die Alliierten späteren Gefahrenhinweisen keinen Glauben mehr schenken.